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Im Reigen der Kleider

Seit zehn Jahren kleidet Uwe Herrmann die Debütanten des Semperopernballes ein und braucht selbst einen neuen Frack.

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© Sven Ellger

Von Nadja Laske

Mit der roten Raupe hat es angefangen. Uwe Herrmann fand sie in China. In einem der zahllosen Häuser am Rand von Shanghai, vollgestopft mit Textilien bis unters Dach. Dort kaufte der Festmodenausstatter die ersten einheitlichen Kleider für die Debütantinnen des 3. Semperopernballes: leuchtend rot, aus raschelndem Polyester. „Mit seinen Raffungen hat mich das Kleid immer an eine Raupe erinnert“, sagt Uwe Herrmann.

Wenn er heute auf die zehn Modelle schaut, die er über die Zeit für die jungen Damen geordert und später selbst kreiert hat, spricht er ganz liebevoll von jenen „130 Raupen“, die er schließlich über eine Agentur nach Dresden verschicken ließ. Fortan war Uwe Herrmann der Mann für eine immense logistische Herausforderung: Jahr für Jahr kleidet er rund 100 Debütantenpaare ein – die Frauen knöchellang in Tüll und Taft, die Herren in klassische Smokings mit passendem Hemd, Fliege und Einstecktuch.

Im ersten und zweiten Jahr des wiederbelebten Dresdner Opernballes kauften sich die jungen Tänzer ihre Ausstattung noch selbst. Von Feuerwehrrot über Weinrot bis hin zu Rosarot war alles dabei, schmale Röcke, breite Roben, schlichte Designs und Sissi-Träume. Trotz allem hatte der Tanz der Debütanten vom ersten Ball an einen festen Platz in der Eröffnungszeremonie und begeisterte das Publikum.

Auf die Raupenraffungen folgten Falten. Den vierten Ball eröffneten die Debütantinnen im Marilyn-Monroe-Stil und plissierten Signalrot. Darauf folgten ebenfalls rote Kleider in Wickeloptik, verziert mit blitzenden Perlen. Das letzte Modell von der Stange war mehr Signal als rot. Die Farbe der Liebe schien bis dahin gesetzt, nun stellte Uwe Herrmann überraschend ein pinkfarbenes Debütantenkleid vor. Von da ging es im Jahr darauf zurück auf Rot. Es sollte der letzte rote Reigen auf der Semperopernballbühne bleiben.

Im Jahr 2013 tanzen die Debütantinnen in Weiß und wurden auf der Bühne in verschiedenen Farben angestrahlt – ein unvergessener Effekt. Vielleicht am edelsten wirkte das Kleid in silbrigem Anthrazit von 2014. Es war das allererste richtige Ballkleid, weit ausgestellt mit viel Tüll unterm Taft und über und über mit Glitzer besprüht. Zum Jubiläumsball gehörte ein ganz besonderer Triumph, goldfarben und mit leuchtenden Steinen besetzt. Uwe Herrmann ließ Prinzessinnen tanzen – und im nächsten Jahr strahlende Püppchen in sanftem Pastell. Auf dem 12. Semperopernball am 3. Februar geben die Debütantinnen den Auftakt zum rauschenden Fest zum ersten Mal in blau-weißen Kleidern. „Blau ist genau wie Rot die Farbe, die uns im Leben am meisten begleitet“, sagt Uwe Herrmann. „Verkehrsschilder sind blau-weiß, Schalke 04 ist blau-weiß, die Allianz ist blau-weiß.“ Noch viel mehr aber verbinde er damit den Blauen Planeten. Auf das Design kam der Modemacher während eines Nachtfluges. Da schaute er aus dem Fenster und sah unter sich die Lichter der langgezogenen Ortschaften liegen. Entsprechend angeordnet finden sich die Glitzersteine auf der blauen Korsage des neuen Debütantenkleides wieder.

Es ist das sechste Kleid, das Uwe Herrmann selbst entworfen hat. Früher kaufte er die Kleider erst nach dem Debütantencasting. Da standen die Größen der Mädchen fest. Inzwischen lässt der Festmodenausstatter weit im Voraus etwa doppelt so viele Kleider nach seinem Entwurf nähen – in China, daraus macht er kein Hehl. Anders wäre eine Debütantenausstattung unbezahlbar, sagt er. So zahlen die jungen Leute eine Gebühr von rund 300 Euro für alles, was ein Debütant braucht, vom Outfit über Frisur und Make-up bis hin zum Tanztraining.

Erfahrung und Wahrscheinlichkeitsrechnung ergeben einen Schlüssel, nach dem Herrmann die Modelle in verschiedenen Größen zu unterschiedlichen Mengen bestellt, sodass am Ballabend jede Tänzerin ein Kleid wie auf den Leib geschneidert trägt. Bis dahin jedoch ist eine ausgefeilte Logistik nötig. „Alle 200 Debütanten unter einen Hut zu bekommen, fällt nicht ganz leicht“, gibt Uwe Herrmann zu. Jede einzelne Tänzerin, jeder einzelne Tänzer erhält Termine zum Maßnehmen, zur Anprobe und zum Abholen der Kleider und Smokings. „Vor Aufregung hören viele der jungen Leute nicht richtig zu oder vergessen, worauf es ankommt“, erzählt er. Manch besorgte Mama lasse es sich nicht nehmen, ihren jugendlichen Sohn zur Schneiderin ins Festmodenhaus zu begleiten und mache dort das Treiben zusätzlich verrückt. Zum Glück hat der Modemacher sechs Mitarbeiterinnen zur Seite, die mit Maßband, Stecknadeln und Nähmaschinen versiert das geordnete Chaos beherrschen.

In all dem Rummel darf Uwe Herrmann auch sich selbst nicht vergessen. „Ich trage seit fünf Jahren auf dem Semperopernball Frack – immer einen neuen“, verrät er. Allerdings nicht aus Modebewusstsein, Eitelkeit oder zu Werbezwecken: „Der alte wird mir einfach immer zu eng.“