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Im Reich der Geheimen

Im Sommer will der Chef des Bundesnachrichtendienstes in seine neue Zentrale in Berlins Mitte einziehen. Es ist der größte und geheimste Neubau des Bundes in der Nachkriegszeit.

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Von Jörg Blank

Wenn Bruno Kahl von seinem schmalen Balkon nach schräg links sieht, sind Kanzleramt und Bundestag zu sehen. Geradeaus in der Ferne liegt der Berliner Teufelsberg. Der Ausblick aus seinem neuen Büro im siebenten Obergeschoss erinnert den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) künftig jeden Tag an Kernelemente seiner Arbeit. Regierungszentrale und Parlament stehen für die Aufsicht über den deutschen Auslandsgeheimdienst. In den vergangenen Jahrzehnten wurde er immer mal wieder von Skandalen durchgeschüttelt.

Das Atrium des BND-Neubaus ist transparenter als seine Hausherren.
Das Atrium des BND-Neubaus ist transparenter als seine Hausherren. © dpa
Chef aller BND-Beamten: Bruno Kahl
Chef aller BND-Beamten: Bruno Kahl © dpa
Die Umrisse des Gebäudes sind als Ornamente auf den Türen zu sehen.
Die Umrisse des Gebäudes sind als Ornamente auf den Türen zu sehen. © dpa

Der Teufelsberg symbolisiert Vergangenheit: Im Kalten Krieg hatten die Amerikaner dort ihre Abhöreinrichtungen, mit denen sie Richtung Osten lauschten. Lange schon sind die US-Behörden abgezogen. Aber noch heute mahnt der Ort, wie wichtig die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Behörden war – und heute im Kampf gegen den Terror für den BND wieder ist.

Er habe „das große Glück einer guten Übersicht Richtung Westen“, sagt Kahl, als er bei der Präsentation des neuen Fotobuchs „Kleihues + Kleihues: BND. Die Zentrale“ über das neue Gebäude im Herzen Berlins auf einem Podium sitzt. „Blick aufs Parlament, Blick auf das Bundeskanzleramt“ – das sei bestimmt kein Zufall. Und Kahl schiebt launig hinterher: „Das ist ja auch richtig so.“ Ständig unter Beobachtung, so kann man das auch sehen.

Bis zum Sommer residiert Kahl noch in einer gut 130 Jahre alten Ex-Kaserne der preußischen Garde-Schützen im Stadtteil Lichterfelde. Dann wird der 55-Jährige endlich an die Chausseestraße in Berlin-Mitte umziehen. Der BND-Gebäudekomplex dort ist das größte Bauprojekt des Bundes in der Nachkriegszeit – und das geheimste. Nach dem Abzug der meisten Bauarbeiter von dem 14 Fußballfelder großen Areal und dem Beginn der Sicherheitschecks von Gebäude und Technik dürfen selbst Geheimdienstmitarbeiter nur noch in jene Trakte, die für ihre Arbeit nötig sind.

Kahls Präsidentenbüro: 42 Quadratmeter, kugelsichere Scheiben, heller Holzschreibtisch mit grauem Bürosessel, gegenüber eine moderne schwarze Sitzgruppe für Gäste. Eine Dusche gibt’s in Schrittnähe, falls es mal heiß hergeht oder lange dauert, ein Bett aber nicht: „Der Präsident schläft nicht bei der Arbeit“, sagt man im BND. Sein Büro sei „bescheiden und wohlproportioniert, so, dass ich mich sehr wohl fühle dort“, sagt Kahl selbst. Parkettfußboden und Eichenholzvertäfelung der Wände – das seien fast die einzigen präsidialen Unterschiede zu den anderen Büros, heißt es.

So ganz stimmt das dann doch nicht. Auswerter und Analysten, jene BND-Leute, die das harte Brot der Geheimdienstler kauen und nicht das verklärte James-Bond-007-Bild bedienen, müssen meist zu zweit auf 17 funktionellen Quadratmetern zurechtkommen. Steht einem ein Einzelbüro zu, sind es elf Quadratmeter – übertrieben groß ist das nicht, aber etwas mehr als nach den Vorschriften zulässig.

Für jeden gibt es zwei Computer und zwei Telefone. Ein System für die geheime interne Kommunikation, abgeschottet nach außen als Schutz vor den Kollegen aus Moskau oder Peking. Top secret eben. Und ein zweites, mit dem Kontakt zur Außenwelt aufgenommen werden kann.

5 200 Büros sind insgesamt in dem Komplex untergebracht, etwa 4 000 Spione werden hier arbeiten, wenn alle eingezogen sind. 700 sind es jetzt schon, darunter die für Terrorismusabwehr zuständige Abteilung. Kahl hofft, dass seine Leute bis Ende des Jahres komplett eingezogen sind. „Es sieht im Moment sehr gut aus“, sagt er. Der Pilotumzug sei fast pannenfrei verlaufen, Schwierigkeiten noch nicht aufgetaucht. Das war in der Bauzeit anders. Der Einzug verschob sich in den vergangenen Jahren wegen Pannen etwa an der Klimaanlage immer wieder. Als Unbekannte Wasserhähne abschraubten und einen Gebäudeteil unter Wasser setzten, amüsierte sich die halbe Republik. Statt wie ursprünglich geplant 720 Millionen Euro kostet die neue Geheimdienstzentrale am Ende wohl knapp 1,1 Milliarden Euro – plus 400 Millionen für Ausstattung und Umzug.

Das Lagezentrum, Herz des Geheimdienstes, liegt gut geschützt im Kern des Gebäudes. Braune Holzvertäfelung, brauner Teppich, die Uhren an der Wand zeigen die Zeit in New York, London, Berlin, Moskau und Peking. Nach dem Umzug werden hier die Nachrichtendienst-Lagen mit dem Präsidenten sein, Krisensitzungen, Videokonferenzen. Damit jeder gut zu sehen ist, sind Kameras in die Wände rundherum eingelassen. 50 BND-Leute können hier an den in Hufeisenform aufgestellten Tischen gleichzeitig arbeiten. Überall sind Mikrofone angebracht, auf halber Höhe liegen Regie- und Dolmetscherkabinen – falls mit Kollegen von einem befreundeten ausländischen Dienst konferiert werden muss.

Zwei solche Krisenzentren können falls nötig nebeneinander arbeiten. Und der Präsident ist im Ernstfall in wenigen Sekunden da – es sind von seinem Präsidentenbereich im siebenten Stock nur wenige Meter bis zum Aufzug ins Lagezentrum.

Dass sich die Zeiten für die Auslandsspione geändert haben, hat Kahl schon oft klar gemacht. Früher, als die Zentrale noch im Wald in Pullach bei München versteckt hinter hohen Mauern lag, sei der BND eine verschworene Gemeinschaft mit klarem Feindbild gewesen, sagt er nun. Schon lange sei das alte „Schottenprinzip“, als der eine Kollege nicht wissen durfte, woran der andere arbeitete, vom Prinzip „Need to share“ abgelöst. Will heißen: Man überlegt heute genau, was für den Erfolg der Arbeit mit anderen im Dienst geteilt werden muss.

Die Architektur des Neubaus soll der modernen Arbeitsweise entgegenkommen. Zwei riesige Atrien im Zentrum des Hauptgebäudes sollen den Austausch erleichtern und Wege verkürzen. Zwar können sich die Mitarbeiter nach der Sicherheitsphilosophie im Dienst nicht beliebig im Haus bewegen. Der Zutritt zu den Räumen der jeweiligen Abteilungen wird per Chipkarte freigegeben. Für alle zugänglich sind 50 „Kommunikationszonen“, ausgerüstet mit Stehtischen, Mikrowelle und Herdplatten. Ihre Handys müssen die Agenten aber schon am Eingang abgeben – zu hoch ist die Abhörgefahr. Mehr als 4 600 Schließfächer stehen dafür bereit.

Auch Kunst haben die Architekten am Bau untergebracht – neben den Plastiken draußen sind in den Atrien, für die Öffentlichkeit unsichtbar, Schriftzüge an die Wände gemalt. „Es ist Nacht und der Budapester Bahnhof still und schön“ heißt eine Zeile, eine andere: „Der letzte Weizen stand noch.“ Es sind willkürlich gewählte Sätze aus Tagebüchern der Künstler Antje Schiffers und Thomas Sprenger, sie sollen an kryptologische Verfahren anknüpfen.

Kahl ist stolz auf den Neubau, das ist ihm anzumerken. „Der BND gehört mit seinem globalen Anspruch auch als wichtiger internationaler Partner auf die nachrichtendienstliche Weltbühne“, sagt er selbstbewusst. Nicht jedes Land habe eine Armee, aber jedes einen Auslandsnachrichtendienst – und alle wollten „eher mehr als weniger mit dem BND zusammenarbeiten“. Nur das oft pauschale Misstrauen in der Öffentlichkeit nage „sehr an den Mitarbeitern des BND“. Da helfe es dem Dienst, wenn er nun ein Gebäude bekomme, „wo er sich nicht mehr verstecken muss“.

Ansonsten zeigt sich der BND-Chef bescheiden. Die persönlichen Akzente, die er in seinem Präsidentenzimmer setzen werde, würden karg ausfallen, hat er kürzlich dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel verraten. Auf dem Schreibtisch werden die Fotos seiner Töchter stehen – Kahl ist verwitwet. Und für den leeren Platz an der Wand habe er „noch eines von diesen Christo-Dingern, von diesen Grafiken mit dem verpackten Reichstag, mal schauen, ob das passt“. (dpa)