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Im „Luxuswohnheim“

Nach Monaten der Betreuung von Asylbewerbern zieht das DRK eine erste Bilanz – und hat Überraschendes gelernt.

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© Andreas Weihs

Von Dominique Bielmeier

Meißen/Landkreis. Freitagmorgen in Meißen-Bohnitzsch. Ein paar Männer laufen mit Mülltüten in den behandschuhten Händen über das Gelände des früheren Studentenwohnheims der Verwaltungsfachhochschule, sammeln fallengelassene Papiere oder benutzte Plastikteller ein. In einem Treppenaufgang eines der Häuser wartet ein junger mit einem etwas älteren Mann vor einer Tür. Der Frau, die ihm öffnet, erklärt er auf Englisch, sein Freund brauche noch eine Decke, da er krank sei und nachts immer sehr friere. Alltag in der Erstaufnahme.

Sarah Schenke heißt die Mitarbeiterin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), die dem Asylbewerber – einem von rund 720 in Bohnitzsch – die Tür geöffnet hat. Sie ist 27 und die Leiterin des Camps, das Anfang September die dritte von mittlerweile vier Erstaufnahmeeinrichtungen im Kreis Meißen wurde. Für die SZ hat sie sich Zeit genommen, um nach knapp drei Monaten Einsatz in Bohnitzsch ein erstes Fazit der Arbeit des DRK zu ziehen.

Und das fällt überraschend aus: Kommt es in anderen Asylheimen schon einmal vor, dass sich Massenschlägereien entwickeln oder die Bewohner für schnellere Asylverfahren in den Hungerstreik treten – so geschehen in der Mehrzweckhalle der Verwaltungsfachhochschule in Meißen – herrscht in Bohnitzsch seit Wochen der Frieden, der sich auch am Freitagmorgen präsentiert. Mehr noch: Asylbewerber, die nach der Erstaufnahme auf Wohnungen im Landkreis verteilt wurden, zum Beispiel in Meißen oder in Großenhain, tauchen nicht selten wieder in Bohnitzsch auf. Weil es ihnen dort besser gefällt.

Frieden dank einer Liste

Das Geheimnis dieser Erstaufnahmeeinrichtung? Sarah Schenke spricht von einem „Luxuswohnheim“ im Vergleich zu vielen anderen sächsischen Camps. Damit meint sie mehr als die Ausstattung, auch wenn es in Bohnitzsch einen Fitnessraum gibt, den die männlichen Asylsuchenden gerne nutzen, einen Sportplatz, auf dem Groß und Klein Bälle schießen, und tägliche Deutschkurse, die rege besucht werden. Vor allem dürfen die Bewohner hier selbst etwas tun: Ob als Helferinnen im „Kindergarten“, einer ehemaligen Studentenwohnung, in der drei Asylbewerberinnen die Kinder des Camps betreuen, oder als Praktikant in der Verwaltung, der beim Kopieren und Aktenordnen hilft. Die Initiative der Asylsuchenden ist gefragt.

Manchmal steht dahinter auch ein „Muss“ oder zumindest ein „Soll“, wie beim heutigen Camp-Reinigungstag. Aber auch so, erzählt Sarah Schenke, fragten viele Bewohner nach, wo sie mithelfen könnten. Wer technisch versiert ist, arbeitet dann in der Fahrradwerkstatt, andere übersetzen für ihre Mitbewohner im Camp.

Das ist eine der Sachen, die Sarah Schenke und ihre 45 Mitarbeiter erst lernen mussten: Asylbewerber sind die besten Dolmetscher. Deshalb wird inzwischen von jedem Flüchtling, der neu ins Camp kommt, erfasst, ob er auch Englisch oder Deutsch spricht und gerne für andere übersetzen möchte. So ist die sprachliche Hürde für die DRK-Leute ganz gut zu meistern.

Was daneben ganz entscheidend für den Frieden in der Erstaufnahmeeinrichtung sorgt, ist ein einfacher gedruckter Aushang, der täglich erneuert wird: Auf einer Liste steht, wer am nächsten Tag zur Befragung oder medizinischen Erstuntersuchung nach Chemnitz fahren soll. Zurzeit kommen die Asylbewerber nämlich direkt aus München nach Meißen. Die Liste sei das Wichtigste, das diese Einrichtung ausmacht, das, was das Leben der Flüchtlinge hier bestimmt, so Sarah Schenke.

Regelmäßig Kontrollen

In der Anfangszeit der noch jungen Erstaufnahmeeinrichtung hätte das mit dem Zettel noch nicht so gut funktioniert. Der Konflikt war programmiert: Bewohner, die schon länger im Heim lebten, beobachteten, wie Nachzügler nach Chemnitz gebracht wurden, während sie selbst weiter auf ihre Termine warteten.

Anfang September und Anfang Oktober passierte so auch in Bohnitzsch, was bundesweit immer wieder über Erstaufnahmeeinrichtungen zu lesen ist: Asylbewerber gerieten aneinander, die Polizei musste anrücken. Solche Zwischenfälle habe es nicht mehr gegeben, seit es mit der Liste klappe, erzählt Sarah Schenke. Die Campleiterin sorgt mit ihren Mitarbeitern jedoch auch sonst umfassend dafür, dass es so weit erst gar nicht mehr kommt.

So führt die Security regelmäßig Kontrollen der Wohnungen und Hauseingänge durch. Die Wachleute schauen nicht nur nach der Sauberkeit, sondern suchen auch nach Situationen, die vielleicht einmal eskalieren könnten. Manchmal werden alkoholische Getränke gefunden, die im Heim verboten sind, manchmal Messer oder zerlegte Feldbetten, die als Schlagstöcke genutzt werden könnten. Solche Dinge werden dann sofort eingezogen. Und wenn Asylbewerber aus der Stadt zurück ins Heim kommen, gibt es Taschenkontrollen.

Nikolaus-Aktion

Trotz dieses teils strengen Regiments kommt es immer wieder vor, dass ehemalige Heimbewohner wieder in Bohnitzsch auftauchen – weil es in den Dörfern, in denen sie nach der Erstaufnahme gelandet sind, viel weniger für sie zu tun gibt, oder sie sich weiter mit ihren Freunden aus dem Camp treffen wollen. Für die Heimleiterin ist das zwar schmeichelhaft, aber eine schwierige Situation: „Das geht natürlich nicht, wir haben ja gar nicht die Kapazität, hier noch mehr Gäste aufzunehmen“, sagt Sarah Schenke.

Das Gehen könnte manchem Asylbewerber bald noch etwas schwerer fallen. Anfang Dezember soll es eine Nikolaus-Geschenke-Aktion für die rund 150 Kinder geben, die im Kindergarten des Camps teilweise schon Sterne für die Adventszeit basteln – auch um die Tradition des deutschen Weihnachtsfestes kennenzulernen.

Das DRK freut sich weiterhin über Spenden wie Kleidung, Bettwäsche, Spielzeuge, Bollerwagen, Fahrräder, Musikinstrumente und mehr.