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Im Gemisch-Rausch

Hunderte Mopedfahrer treffen sich an diesem Sonnabend in Bautzen. Vor allem einer Marke gilt ihre Leidenschaft.

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© Matthias Weber

Von Miriam Schönbach

Bautzen. Schon von Weitem ist der typisch klingelnde Klang zu hören. Vollgas touren die Jungs mit ihren Simsons über den Asphalt. Die Zwei-Takt-Motoren scheppern. Für die Mokick-Fahrer aus dem Zittauer Gebirge ist dieser Sound wie Musik. Der Duft des Benzin-Öl-Gemischs im Verhältnis 1:50 macht sie glücklich. Grau-blau steht der Qualm in der Luft. „Das ist unser Begriff von Freiheit“, sagt Martin Herbig. Mit seinen Gemischrausch-Freunden organisiert er an diesem Sonnabend in Bautzen die große Mopedausfahrt zum Saisonstart.

Zu den Gemischrausch-Freunden gehören zwölf Simson-Liebhaber aus dem Zittauer Gebirge. Ihre Maschinen sind zum Teil doppelt so alt wie sie selbst. Die Geburtstage der Fahrer liegen alle weit nach der Wende. „Die Leidenschaft haben wir von den Eltern übernommen“, sagt Max Eismann. Gemeinsam mit einem Freund ruft er die Truppe vor drei Jahren ins Leben. Die Kumpels kennen sich aus der Schule und dem Dorf. Die Mopeds finden sie noch in Garagen oder Scheunen, zum Teil sind sie fahrbereit, manchmal taugen sie nur noch zum Ersatzteillager.

Ihre Simsons sind alle im VEB Fahrzeug und Jagdwaffenwerk Suhl, der später zum IFA-Industrieverband Fahrzeugbau der DDR gehörte, vom Band gelaufen. Hervorgegangen ist der Betrieb aus einem 1740 gegründeten Stahlhammer. Im 19. Jahrhundert übernehmen dort die Brüder Löb und Moses Simson die Regie. Fortan werden Jagd- und Militärwaffen gebaut. Hauptauftraggeber ist vor allem die preußische Armee. Zu dieser Produktion kommt ab 1896 der Bau von Fahrrädern hinzu, auch an einem Automobil versuchen sich die Eigentümer des Unternehmens.

Wenn eine Schraube übrig bleibt

Saisonstart in Bautzen

Was? Zum Auftakt in die Moped-Saison werden am Sonnabend, dem 1. April, in Bautzen Hunderte Fans von Simson und MZ erwartet.

Wo? Im AKF-Businesspark, Dresdener Straße 70A. Der Eintritt ist frei.

Wann? Von 10 bis 18 Uhr

Ausfahrt? 35-Kilometer-Runde über Göda und Wetro – organisiert von Gemischrausch Oberlausitz, Start der Ausfahrt um 13.30 Uhr.

Programm? Unter anderem: Meet & Greet mit Günther & Hindrich – bekannt aus dem Film „Simply the Worst“, Angrillen, Livemusik, Teilemarkt, Leistungsprüfstand und Gelegenheit zum Fachsimpeln.

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Die Beschäftigung mit der Geschichte ihrer Zweiräder gehört für die Moped-Freunde ebenso dazu wie die wöchentlichen Treffen in Oderwitz. Fast jeder hat seine Maschine schon mal komplett auseinander- und wieder zusammengebaut. „Wenn eine Schraube übrig bleibt, hast du was besser gemacht als die Konstrukteure“, sind sie sich einig. Die ersten Simsons werden in Suhl Mitte der 1950er-Jahre gebaut. Damals produziert das Werk auch noch Motorräder. Doch schon 1962 erfolgt die Spezialisierung auf sogenannte Kleinkrafträder. Die „Schwalbe“ und der „Roller“ gehören unter anderem dazu. Bei den Ausfahrten der Gemischrausch-Freunde dominieren allerdings die Klassiker: S 50 und S 51.

Dabei bringen die Fahrer ihre Zweiräder auch schon mal an den Rand der Leistungsfähigkeit. Bei der ersten großen Ausfahrt im Herbst 2015 ging es von Bautzen aus in Richtung Mönchswalder Berg. Dort hieß es für etliche Fahrer: absteigen und schieben. 18 Prozent Steigung waren einfach zu viel für 3,6 PS. „Der ganze Wald stand in einer blauen Wolke“, sagt Martin Herbig mit einem Schmunzeln.

Simson-Fahren ist Entschleunigung

Startpunkt der Ausfahrt war damals, wie an diesem Wochenende, der AKF-Businesspark in Bautzen. AKF steht für Automobile - Krafträder - Fahrzeugteile. Seit 14 Jahren handelt das Unternehmen mit Ersatzteilen und Zubehör für DDR-Zweiräder – mit Schwerpunkt Simson. Knapp 20 000 Artikel umfasst das Sortiment. Regelmäßig zum Saisonauftakt sowie zum -ende kommen die Zweiradfans zu einem großen Treffen zusammen. Stiegen bei der ersten Ausfahrt gerade einmal 100 Simson-Fahrer auf ihre Maschinen, so sind es mittlerweile fast fünfmal so viele. Die Fans kommen aus Sachsen, manche sogar aus dem Großraum Berlin. Für die Anreise transportieren sie ihre Mopeds auf Anhängern. Denn „Simsonfahren bedeutet Entschleunigung“, sagt Kevin Gowinkowski, „Andere joggen, um den Kopf frei zu bekommen. Wir fahren Moped.“

Allerdings sitzt der Maschinenbaustudent erst seit wenigen Tagen wieder auf seinem „Bock“. Kurz vor Schlegel hat ihm im vergangenen Jahr eine Autofahrerin die Vorfahrt genommen. Nach zwei Tagen im Koma ist er wieder aufgewacht. Die Beurlaubung an der TU Dresden folgte, wie zahlreiche Operationen. Auch vom Moped ist nicht viel übrig geblieben. Nun steht eine neu erworbene Simson in der Garage. „Ich hatte schon ein mulmiges Gefühl, als ich zum ersten Mal wieder aufgestiegen bin. Aber nach fünf, sechs Kilometern war es wie früher“, sagt der 20-Jährige. Vorsichtiger geworden ist er trotzdem.

Diese Rücksicht wünschen sich die Moped-Freunde auch von den Autofahrern. „Wir werden zur Ausfahrt die Strecke teilweise absperren, damit niemand in Gefahr gerät“, sagt Martin Herbig. Statt ins Oberlausitzer Bergland führt die Tour in diesem Jahr Richtung Bautzener Gefilde.

Mit dem Moped an die Ostsee

Der große Traum der Gemischrausch-Mitglieder ist es, irgendwann einmal auf der B 96 an die Ostsee zu rollen. Allerdings ist es schwer, einen gemeinsamen Termin zu finden. Zur Gruppe gehören Schüler, Studenten, Schichtarbeiter und Landwirte. Nur Mädchen fehlen augenscheinlich unter den Schraubern.

Vielleicht aber schreckt die Simson-Liebhaber auch die Strecke. Knapp 500 Kilometer sind es auf der Fernverkehrsstraße bis zur Küste. Philipp Zachmann weiß, wie das eigene Hinterteil nach 450 Kilometern schmerzt. Mit seinem Cousin ist er vor zwei Jahren nach Erlangen gefahren. „Ich wollte mal ausprobieren, ob es klappt. Bei 40 Grad waren wir 14 Stunden unterwegs. Zum Schluss haben wir uns über jede rote Ampel gefreut“, sagt er. Zwei Tage später führte die Tour wieder zurück.

Bei ihrer Ausfahrt an diesem Sonnabend werden sich die Moped-Freunde dagegen ganz entspannt in den Sattel schwingen. Die 35-Kilometer-Runde führt gemütlich von Bautzen über Göda und Wetro. Doch spätestens, wenn auf der Landstraße der typisch scheppernde Klang zu hören ist und der Geruch des Öl-Benzin-Gemischs in der Luft liegt, dann fühlt sich jeder im Fahrer-Feld ein bisschen wie „Easy Rider“.