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„Ich wurde sogar schon angespuckt“

Ein Pirnaer ist seit 24 Jahren HIV-positiv. Gesagt hat er es nur zwei Personen. Ablehnung spürt er sogar bei manchem Arzt.

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© dpa

Von Ulrike Keller

In den vier Tabletten, die er jeden Tag schluckt, verbirgt sich sein Geheimnis. Ein Geheimnis, das den 52-jährigen Pirnaer nun fast sein halbes Leben begleitet. Seit 24 Jahren lebt er mit dem immunschwächenden HI-Virus in sich. Dass er nicht an Aids erkrankt ist, verdankt der gelernte Gärtner der rechtzeitig begonnenen medikamentösen Therapie. Doch was heißt es im Alltag, HIV-positiv zu sein? Das erzählt er anonym.

Unter welchen Umständen haben Sie von Ihrer Infektion erfahren?

Kurz nach der Wende machte ich eine Umschulung zum Bauzeichner in Oberbayern. 1991 klagte ich über starkes Unwohlsein, mir gings echt nicht gut. Der Leiter der Umschulung schickte mich sofort in ein Krankenhaus. Die Ärzte veranlassten einen HIV-Test. Aids war ja schon bekannt. Was ich bis heute nicht verstehe: Die Ärzte informierten ohne mein Wissen die Verantwortlichen der Umschulung.

Wie war die Reaktion?

Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bekam ich ein Einzelzimmer im Schulungsheim. Ich ertrug die Ausgrenzung nicht und drängte auf meine Rückkehr nach Hause. Es gab dann in Dresden noch Eingliederungsversuche – leider erfolglos. Seit 1996 bin ich EU-Rentner, was nur zum Teil mit der Infektion zu tun hat.

Wen haben Sie in die HIV-Diagnose eingeweiht?

Ich habe mich nur meiner Mutter und meinem Lebenspartner anvertraut, der übrigens nicht infiziert ist. Wir haben es auch nicht in der Familie bekannt gemacht. In meinem Umfeld kenne ich wenige andere Positive. Habe aber schon gehört, dass sich Familie und Freunde nach einem Outing distanzierten. Das wäre für mich ganz schlimm. Ich weiß auch nicht, wie es weitergehen soll, wenn meine Mutti mal nicht mehr ist. Das macht mich sehr traurig. Auch könnte ich es nicht ertragen, wenn meinem Freund etwas passiert und ich ihn verliere. Ich habe nicht die Kraft, mich auf neue Menschen einzustellen.

Wo im Alltag behindert Sie Ihre Infektion am stärksten?

Durch die gute Therapie bin ich eigentlich bezüglich HIV nicht eingeschränkt. Da machen mir andere Erkrankungen mehr Probleme. Geht halt alles nicht mehr so einfach wie früher, als junger Kerl (lacht). Ablehnung wegen meines Positiv-Seins erlebe ich im Alltag nicht, aber eben nicht, weil es keine gibt, sondern weil es niemand von mir weiß.

Bei Ärzten müssen Sie Ihr Positiv-Sein angeben. Wie begegnet man Ihnen da?

Vor einer Weile war ich auf der Suche nach einem Urologen in Dresden. Nach Bekanntgabe meiner Infektion verhielt er sich sehr unfreundlich. Es war nicht direkt auf HIV bezogen, aber ich hatte schon das Gefühl, dass es damit zusammenhängt. Ich habe dann all meinen Mut zusammengenommen und ihm gesagt, dass ich mit seiner Art und Weise unzufrieden bin. Schlussendlich habe ich den Arzt gewechselt. Bei dem neuen Arzt fühle ich mich wohl.

Aus welchen Gründen gehen Sie nicht zu Ärzten in Pirna?

Zum einen, weil man ewig auf Termine wartet. Zum anderen ist oft der Wissensstand in puncto HIV veraltet. Ich hatte eine Hautärztin, die hat sich nach dem Handgeben vor mir die Hände gewaschen. Da werde ich schon nachdenklich. Davon bekommt man es ja nun wirklich nicht. Wenn ich jetzt einen Facharzt brauche, schaue ich immer übers Netz nach Ärzten, die Erfahrung mit HIV haben, oder ich frage die Aids-Hilfe Dresden. Die kennen auch viele Einrichtungen, die keine Berührungsängste haben.

Welche Hilfe-Angebote vermissen Sie im Landkreis?

Ich bin mal in Kontakt mit der Aids-Beratungsstelle im Gesundheitsamt getreten. Hat mich interessiert, ob es eine Selbsthilfegruppe oder Ähnliches gibt. Leider nein. Viele wollen nicht erkannt werden, haben Angst vor Stigmatisierung. Die fahren einfach woanders hin, Berlin oder so. Im Internet sehe ich ja andere Männer, aber die wollen nicht im echten Leben angesprochen werden. Die sind nicht einmal HIV-positiv, sondern „nur“ homosexuell.

Welche Veränderungen würden Ihnen das Leben mit HIV erleichtern?

Ich denke, eine offenere Gesellschaft wäre gut. Ich will mich nicht immer verstecken müssen. Mir ist es hier im Landkreis alles zu sehr hinterm Mond. Ich wurde sogar schon mal angespuckt. Mein Positiv-Sein sieht man mir zum Glück nicht an. Aber ich kann nicht mit meinem Mann Hand in Hand durch Pirna laufen, ohne Abneigung zu erfahren.

Aber bis eine Gesellschaft offener wird, dauert es viele Jahre bis Jahrzehnte.

Vielleicht wären bekannte Menschen gut, die sich outen, damit es alltäglicher wird. Positiv zu sein, ist unheilbar, das stimmt. Aber es ist gut behandelbar, und man kann damit leben. Mein Freund arbeitet im Staatsdienst. Seine Kollegen wissen nicht einmal, dass er schwul ist. Durch Sprüche bemerkt er immer wieder Einstellungen zu anderen Lebensentwürfen. Bezüglich HIV fällt da auch schon mal das Wort „Schwulenseuche“ oder der Satz „Pass auf, dass Du Dir da nichts wegholst“, wenn er und seine Kollegen in „Kundenkontakt“ kommen.