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„Ich will mich auch weiter einmischen“

Oskar Lafontaine über die Zukunft des Euro, Chancen der Linkspartei und seinen ungeliebten Genossen Dietmar Bartsch.

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Herr Lafontaine, Sie wurden als Bundesfinanzminister als der gefährlichste Mann Europas beschimpft. Jetzt sind einige ihrer damaligen Ideen Allgemeingut. Gilt hier: Wer zu früh kommt, den bestraft die Politik?

Das kann man so sehen. Aber viel wichtiger als meine persönliche Befindlichkeit ist, dass in Sachen Finanzmärkte für alle Länder gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Denn die Regulierung der Finanzindustrie schon in den Jahren 1998/99 hätte natürlich immense Schäden verhindern können. Leider waren die europäischen Regierungen dazu nicht bereit. Heute unterliegen alle Staaten der Diktatur der Finanzmärkte.

Wird der Euro überleben?

Wenn die Regierungen Europas ihre Politik nicht grundsätzlich ändern, kann der Euro nicht überleben. Das Euro-System ist falsch konstruiert. Man kann nicht ein gemeinsames Geld, eine gemeinsame Währung haben ohne eine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Vor allem die zwingende Koordinierung der Lohnpolitik wurde in den letzten zehn Jahren viel zu wenig beachtet. Das führte dazu, dass in einigen Ländern die Löhne zu stark stiegen, in Deutschland viel zu wenig. Deutschland hat Lohndumping betrieben mit der Folge, dass Deutschland vielen Ländern mehr Waren verkauft, als es aus diesen Ländern importiert hat. Dadurch mussten sich diese Staaten verschulden, um die deutschen Waren zu bezahlen.

Die Löhne in Deutschland sind doch nicht verantwortlich für die Schulden Griechenlands.

Doch. Der Zusammenhang ist einfach. Wenn zwei Länder Handel miteinander treiben, und das eine Land verkauft dem anderen sehr viel mehr Waren als umgekehrt, kann sich das Land, das weniger Waren verkauft, nur verschulden. Sonst kann es ja den Export des anderen Landes, in diesem Fall den Export Deutschlands, gar nicht bezahlen. Natürlich hat auch die griechische Politik durch leichtfertiges Geldausgeben zur Verschuldung des Staates erheblich beigetragen.

Eben. Viele Länder haben aus anderen Gründen über ihre Verhältnisse gelebt.

Der Satz „über unsere Verhältnisse leben“ muss erklärt werden. Die Rentner, die Arbeitnehmer und die sozial Bedürftigen haben nicht über ihre Verhältnisse gelebt. Über ihre Verhältnisse gelebt haben alle Halbirren, die in der Finanzindustrie Spekulationsgeschäfte gemacht und Boni kassiert haben. Über ihre Verhältnisse gelebt haben politische Eliten, die wie in Griechenland Militärausgaben zu verantworten haben, die unter keinem Gesichtspunkt vertretbar sind. Und über ihre Verhältnisse gelebt haben auch Länder, die in großem Umfang importiert haben, ohne dass sie in gleichem Umfang aus ihrer eigenen Produktion exportieren konnten.

Ist es überhaupt sinnvoll, den Euro zu retten? Und wenn, auf welchem Weg?

Der Euro ist eine Klammer Europas. Ich bin für den Fortschritt der europäischen Einigung, daher muss der Euro gerettet werden. Es gibt einen Königsweg. Die Europäische Zentralbank muss direkt Kredite an die Staaten vergeben mit strengen Auflagen. Mit dieser direkten Kreditvergabe der Europäischen Zentralbank an die Eurostaaten wären mit einem Knopfdruck der ganze Finanzmarkt und die ganzen Ratingagenturen lahmgelegt.

Das wären so eine Art Eurobonds durch die Hintertür.

Nicht ganz, weil auch die Eurobonds auf den Finanzmärkten gehandelt werden. Eurobonds durch die Hintertür haben wir schon lange, weil die Europäische Zentralbank in großem Umfang das Eurosystem stützt und Staatsanleihen kauft.

Welche Auflagen an Staaten wären nötig?

Für Griechenland etwa das radikale Kürzen der Militärausgaben. Die ganze Unglaubwürdigkeit der deutschen Politik kann man daran erkennen, dass Griechenland der größte Importeur deutscher Waffen ist. Ganz Europa müsste eine Vermögensabgabe, also eine Reichenbesteuerung einführen. Was Politik und Öffentlichkeit endlich lernen müssen, ist: die Schulden der Staaten sind vor allem das Vermögen der reichen Leute. Die Millionäre in Deutschland haben mehr Geld als die Bundesrepublik Schulden hat. Die europäischen Millionäre haben zehn Billionen Dollar Finanzvermögen, die Eurostaaten zehn Billionen Euro Schulden.

Und was kostet die Euro-Rettung Otto Normalbürger?

Die Entscheidung ist ganz einfach. Entweder man holt sich das Geld von den reichen Leuten, oder man holt sich das Geld bei den Arbeitnehmern und sozial Bedürftigen. Letzteren Weg will Merkel in Europa durchsetzen, weil sie sich wie alle europäischen Staaten nicht an das Geld der reichen Leute traut. Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine Politik gehabt, die die Reichen immer reicher und die Arbeitnehmer und Rentner relativ immer ärmer gemacht hat. Diese Politik muss endlich durchbrochen werden.

Sehen Sie denn für 2013 die Chance, dies als Linkspartei in der Bundesregierung mitgestalten zu können? Oder setzen Sie ganz auf Opposition?

Die Linke will die Dinge im Interesse und zum Nutzen derjenigen verändern, die die Verlierer der letzten Jahrzehnte waren. Das sind Arbeitnehmer, Rentner und sozial Bedürftige. Wenn wir Partner finden, wenn SPD und Grüne zu einem politischen Neuanfang bereit sind und diese programmatische Neuorientierung ernst meinen, dann ist eine Zusammenarbeit möglich. SPD und Grüne haben die Finanzmärkte dereguliert und sind mitverantwortlich an der katastrophalen Verschuldung, die infolge der Bankenkrise die Staaten erfasst hat. Voraussetzung wäre auch, dass sich Deutschland nicht weiter an Interventionskriegen, also an Kriegen zur Sicherung von Rohstoff- und Absatzmärkten, beteiligt.

Sind Sie selbst wieder fit genug, um sich stärker auf der Bundesebene einzubringen?

Ich habe mich in den letzten Monaten schon stärker eingebracht auf der Bundesebene. Und ich will mich auch weiter einmischen. Aber das bedeutet nicht, dass ich über irgendwelche Personalfragen und Führungsfragen in der Linken spekuliere. Wir haben zwei gewählte Vorsitzende, und eine linke Partei muss den Ehrenkodex haben, dass sie die gewählten Vorsitzenden in ihrer Arbeit solidarisch unterstützt.

Dennoch: Nächsten Juni soll eine neue Parteispitze gewählt werden. Einige Ihrer Genossen wollen dazu die Mitglieder in einer Art Urwahl befragen. Was haben Sie dagegen?

Ich selbst habe den verbindlichen Mitgliederentscheid bei politischen Richtungsfragen für unser Grundsatzprogramm vorgeschlagen. Unverbindliche Befragungen aber sind eher problematisch, denn die Mitglieder wollen entscheiden und nicht unverbindlich befragt werden. Aber das Parteiengesetz schreibt zwingend vor, dass Parteivorsitzende von Parteitagen gewählt werden. Darüber hinaus ist bei Personalfragen eine Befragung schon deshalb problematisch, weil sie während der Amtszeit der gewählten Vorsitzenden läuft. Das ist der Unterschied zu der damaligen Befragung der SPD. Der Vorsitzende Engholm war zuvor zurückgetreten. Heute hat die Linke gewählte Vorsitzende. Auch aus Respekt vor ihnen verbietet sich nach meiner Überzeugung während ihrer Amtszeit eine Befragung.

Ihr Ex-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch hat seine Kandidatur für den Parteivorsitz angekündigt. Das Verhältnis zwischen ihnen ist gespannt. Haben Sie sich inzwischen mal ausgesprochen und die Probleme ausgeräumt?

Wir führen normale Gespräche. Ich habe aber im Kreis der Landesvorsitzenden deutlich gemacht, dass ein Vorsitzender die Unterstützung des Parteitages haben muss. Er muss sich der Unterstützung des Parteitages für seine Politik sicher sein. Aus diesen Gründen habe ich dazu geraten, dass alle, die sich bewerben, das auf dem Bundesparteitag tun sollten.

Die Bundespartei hat sich nach ihren Worten in den letzten eineinhalb Jahren nicht sehr geschickt bewegt. Was muss sich ändern?

Wir dürfen uns nicht mit Nebenthemen beschäftigen, die unsere Wählerinnen und Wähler nicht interessieren. Und wir dürfen uns nicht in endlose Personaldiskussionen verstricken. Das lenkt nur davon ab, dass wir die einzige Partei sind, die eine schlüssige Antwort auf die Finanzkrise hat.

Gespräch: Peter Heimann