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„Ich will hier nicht weg“

Das Stendaler U hat keinen guten Ruf. Dabei hat sich hier vieles zum Guten verändert, sagt ein Mieter.

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© Sebastian Schultz

Von Stefan Lehmann

Riesa. Neulich musste sich Bernd Kühne sehr zusammenreißen. Ein junges Pärchen lief vor seinen Augen an einigen Kindern vorbei, die am Stendaler U Fußball spielte. Im Vorbeigehen schimpfte die Frau über die „Assis“ in dem Wohnblock. „Da musste ich mir tüchtig auf die Zunge beißen“, sagt Kühne. Ob die beiden aus dem gegenüberliegenden Wohnblock an der Magdeburger Straße kamen, weiß er nicht. In den Hochhäusern wurden zuletzt Unterschriften gesammelt, weil am „U“ Fußbälle gegen den Giebel geschossen werden und sich in direkter Nähe Jugendliche zum Trinken und Feiern treffen – und damit die Anwohner um ihren Schlaf bringen.

Kühne ärgert sich darüber. Ohnehin hat das Stendaler U nicht den besten Ruf. Solche Schlagzeilen könnten es noch schlimmer machen, fürchtet er. Und das völlig zu Unrecht, sagt Kühne. Seit 40 Jahren lebt er in Riesa, 2005 ist er ins „U“ gezogen, bewohnt seither eine Wohnung, von der aus er direkt auf den Wohnblock an der Magdeburger Straße schaut. „Als ich hierher gezogen bin, gab es hier viel Leerstand und die Mieten waren preiswert“, erzählt der Rentner. Damals sei der Wohnblock an der Stendaler Straße, der in Weida scherzhaft „Erichs letzte Rache“ genannt wird, tatsächlich noch als Problemfall bekannt gewesen, bestätigt Andreas Näther. Sein Verein Sprungbrett hat 2013 hier das Quartiersmanagement übernommen, nachdem auch der Vermieter des Blocks gewechselt hatte. Alkohol und Drogenhandel seien große Probleme gewesen, sagt Näther. Diesen Stempel trage das „U“ auch heute noch, obwohl die Situation heute merklich besser geworden sei.

Dem schließt sich Bernd Kühne an. Er fühle sich wohl im „U“. Es gebe eine gute Busanbindung und kurze Wege, beispielsweise zum Einkaufen. „Weida ist für mich der schönste Stadtteil“, sagt Kühne deshalb. Trotzdem reagierten viele, auch jüngere Leute gleich, wenn er sie überzeugen will, ins „U“ zu ziehen. „Da ziehen wir nicht hin“, diese Reaktion erhalte er oft.

Für Bernd Kühne steht dagegen fest: „Ich will hier eigentlich nicht weg.“ In den vergangenen Monaten seien in dem Block viele Asylbewerberfamilien eingezogen. „Anfangs war ich da auch skeptisch“, sagt Kühne. Man höre ja doch einiges. Aber Probleme mache von denen im Stendaler U keiner. „Das sind zu unserer Schande immer die Deutschen.“ So wie im aktuellen Fall, in dem insbesondere eine Gruppe deutscher Jugendlicher Probleme bereitet. Die allerdings kommen laut Bernd Kühne nur zum Teil aus dem „U“. „Und der Vermieter hätte auch gar keine Handhabe.“ Denn die Garagen gegenüber des Wohnblocks, an denen sich die Jugendlichen zum Trinken treffen, gehören nicht zum Grundstück. Schwieriger liegt der Fall bei den ballspielenden Kindern. „Zum Spielen kommen aber auch Kinder aus der Magdeburger Straße“, erklärt Kühne. Er fordert auch ein Stück mehr Toleranz ein. „Als gegenüber gebaut wurde, da war es auch laut, und wir mussten mit dem Krach leben.“

Dass in dem Gebäude vornehmlich Familien mit Kindern wohnen, liegt laut Andreas Näther auch daran, dass die Wohnungen dafür günstig geschnitten sind. Wer sich also kein Eigenheim leisten kann, für den sei das „U“ eine gute Alternative. „Hier werden immer Familien mit Kindern wohnen.“ Deshalb hält der Sprungbrett-Chef es auch für so wichtig, sich mit den Nachbarn zu arrangieren. Ende November treffen sich die Bewohner des Wohnblocks zu einer Bürgerversammlung. Näther lässt durchblicken, auch die Anwohner der Magdeburger Straße einladen zu wollen.

Auch Anwohner Bernd Kühne hält das für den richtigen Weg. „Man sollte miteinander arbeiten, nicht gegeneinander.“