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„Ich will es, ich kann es, ich schaffe es“

Ironman Jan Frodeno erzählt von der Begegnung mit dem inneren Schweinehund – und anderen Härten seines Triathlon-Alltags.

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© dpa

Nur Platz 35! Der entthronte Ironman-Weltmeister Jan Frodeno hat die Niederlage beim wichtigsten Rennen des Jahres noch nicht verdaut. „Für mich als Sportler war es eine Katastrophe, und ich brauche eventuell noch ein paar Tage mehr, um dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen“, so Frodeno auf seiner Facebook-Seite.

Anstatt auf Hawaii seinen dritten WM-Erfolg in Serie einzufahren, hatte er sich vor einer Woche von Schmerzen geplagt mit dem 35. Platz begnügen müssen. „Mittlerweile weiß ich zwar, dass es tatsächlich passiert ist. Aber wieso – dazu fehlt mir noch die Antwort“, meint der 36-Jährige. Aufgeben kam für ihn aber nie infrage.

Wie Frodeno immer wieder den inneren Schweinehund besiegt, erzählt der Triathlet in der neuen Ausgabe von NoSports.

Jan Frodeno, kennen Sie den inneren Schweinehund?

Sehr gut sogar. Wir sind per Du!

Wann treffen Sie sich?

Jeden Tag. In jeder längeren Trainingsphase, in der ich müde werde, muss ich mich zwingen und den Arsch hochkriegen. Da geht es mir wie Ihnen auch. Nur dass die Konsequenzen für mich andere sind, wenn ich es nicht schaffe, mich zu überwinden.

Das heißt?

Ich bin jemand, der sehr schlecht verlieren kann und sich schwertut mit dem Nicht-Erreichen von Zielen. Die Folge: Ich fühle mich viel mieser, wenn ich etwas nicht mache, als wenn ich mich zwinge, meine Pläne zu erfüllen.

Ihre Strategie ist also: Zwing dich, damit du gut draufkommst?

Das ist wie eine Sucht. Ich weiß: Wenn ich morgens – und sei es nur für 20 Minuten – nicht joggen gehe, bin ich den ganzen Tag ungenießbar. In den letzten drei Jahren habe ich an nur zwei Tagen mal nicht trainiert. Da lag ich erkältet zu Hause im Bett.

Sie machen bis zu vier Trainingseinheiten täglich. Wie kommt es, dass Sie sich überhaupt noch überwinden müssen?

Meine Überwindung besteht darin, immer wieder das Letzte aus mir rauszuholen. Deswegen bin ich ein Meister des inneren Monologs.

Und was brüllen Sie dem Schweinehund ins Gesicht, wenn Sie ihn sehen?

Rocket. Ich will es, ich kann es, ich schaffe es.

Rocket?

Eine Rakete, die mit geballter Nasa-Power abhebt, ist für mich in schwierigen Phasen der mentale Anker. Wenn ich dieses Bild im Kopf habe, kann ich mich daran hochziehen.

Wer hilft Ihnen mit den Psychotricks?

Einen Mentaltrainer habe ich seit Jahren nicht mehr.

Warum nicht?

Weil ich meine Freuden und Ängste inzwischen selbst am besten kenne, ich habe viel über Mentaltraining gelesen und erfahren. Ich weiß, wie ich damit umgehen muss.

Fußballtorhüter Oliver Kahn dachte zur aktiven Zeit an eine blühende Blumenwiese, wenn er den Druck aus dem Kopf vertreiben wollte.

Solche Strategien habe ich auch. Wenn ich in Hawaii beim Ironman antrete, versuche ich mir problematische Situation auch schönzureden.

Wie denn?

Etwa indem ich mir sage, dass es doch gar nicht so heiß ist, wie es sich gerade anfühlt. Oder ich im Kopf anfange Rechenspiele zu veranstalten, wie viel der Wegstrecke jetzt wohl schon hinter mir liegt.

Sie denken an Dinge, die konkret mit dem Wettkampf zu tun haben?

Ich darf nicht zu sehr abschweifen. Wenn ich anfange, daran zu denken, dass ich lieber auf dem Surfbrett stehen würde, kann es passieren, dass ich mal zehn oder sogar 15 Sekunden pro Kilometer langsamer werde. Das kann ich mir nicht erlauben.

Die unangenehmste Seite an Ihrem Sport?

Im Wettkampf zweifelsohne das Laufen, weil es mir am Ende eines Triathlons alles abverlangt. Im Training empfinde ich die Überwindung zum Schwimmen im Becken am größten, weil dieses Kachelzählen, diese öden Wiederholungen, wenig Abwechslung bieten.

Beim Marathon spricht man vom „Mann mit dem Hammer“, der ab dem dreißigsten Kilometer auftaucht und den Athleten veranlasst, all sein Tun infrage zu stellen.

Sicher ist: Er kommt. Ich weiß bei einem Acht-Stunden-Wettkampf nur nicht, wann er kommt. Ich habe schon beim Radfahren meinen Moralischen gehabt, auch mal auf den ersten 16 Kilometern der Laufstrecke, manchmal ist er auch erst bei den gewohnten 32, 33, 34 Kilometern da.

Ist das Zusammentreffen mit ihm nicht eine Frage der richtigen Ernährung?

Bei so langen Wettkämpfen kann kein Mensch genug Nährstoffe zu sich nehmen, um diese Phase komplett zu umgehen. Wenn ich beim Ironman ins Ziel komme, hören die Schmerzen auch nicht schlagartig auf, sondern es passiert, dass ich noch stundenlang weiterleide.

Schon mal das Gefühl gehabt, dass Sie Ihren extremen Willen verlieren?

2010 gab es eine Phase in meiner Laufbahn, in der ich mich ziemlich ausgebrannt fühlte. Wenn ich heute spüre, dass sich so ein Gefühl in mir breitmacht, kann ich deshalb besser dagegensteuern.

Wie machen Sie das?

Indem ich mir und meinem Körper auch mal kleine Geschenke zugestehe. Nur Askese kann ja nun nicht das einzige Mittel zur Wahl sein. Es gibt Momente, da haue ich mir einfach eine Tafel Schokolade rein.

Der größte Schweinehund Ihres Lebens?

Auf den traf ich im vergangenen Jahr bei der Weltmeisterschaft auf Hawaii.

Als Sie 2016 Ihren Ironman-Titel verteidigten.

Ich weiß, das klingt jetzt komisch. Aber da war ich wirklich kurz davor, mitten im Rennen ins Hotel abzubiegen.

Interview: Tim Jürgens