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„Ich werde doch noch gebraucht“

Hans-Joachim Pläschke war mit 20 der jüngste Görlitzer Schlossermeister. 75 wird er an diesem Freitag. Ruhestand? Kein Thema!

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ralph Schermann

Hans-Joachim Pläschke feiert an diesem Freitag seinen 75. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch! „Ach was“, winkt er ab. Er fühlt sich viel jünger, sagt der Inhaber des Sicherheitsfachgeschäftes und Schlüsseldienstes auf der Salomonstraße. Die Arbeit macht noch immer Riesenspaß. Und vor allem: „Ich werde doch noch gebraucht!“

Das Haus auf der Salomonstraße hatte Pläschkes Vater 1932 gekauft, um darin eine Schlosserei einzurichten. Hier wuchs Hans-Joachim auf, immer einen Hund an seiner Seite – so wie „Seppl“ 1952 vor dem noch heute genutzten Hauseingang.
Das Haus auf der Salomonstraße hatte Pläschkes Vater 1932 gekauft, um darin eine Schlosserei einzurichten. Hier wuchs Hans-Joachim auf, immer einen Hund an seiner Seite – so wie „Seppl“ 1952 vor dem noch heute genutzten Hauseingang. © privat

Das wird er seit 1962. Damals starb sein Vater. „Damit war meine Jugend zu Ende“, erzählt Hans-Joachim Pläschke, der unerwartet den Betrieb der Eltern übernehmen musste. „Andere gingen tanzen, ich studierte Buchführung“, erinnert er sich. Plötzlich war er für zehn Arbeiter der Chef.

Rein rechtlich war das kein Problem, denn Pläschke war mit 20 Jahren schon Meister. Er hatte nach der 8. Klasse beim Vater gelernt, drei Jahre als Geselle gearbeitet und 1960 vom Dresdner Kunstschmied Karl Bergmann den Meisterbrief bekommen. Schweißtechnologie wollte er weiter studieren und blieb als Schlossermeister beim Stahlbau. Erst 1980 spezialisierte sich die Firma auf Sicherheitstechnik und Schlüsseldienste. Einen besonderen Vorteil aber gab es: Der kleine Privatbetrieb hatte immer auch so viele staatliche Aufträge, dass Chef Pläschke unabkömmlich war. Auch für die Wehrpflicht. Und die DDR-Behörden ließen ihn sogar schon als 33-Jährigen auf Besuch zu Westverwandten reisen.

Von Kindheit an aber blieb die Salomonstraße 23 seine Heimat, auch wenn er schon lange in Biesnitz wohnt. Vater Oskar Pläschke hatte 1925 eine Schlosserei auf der Emmerichstraße 4 begründet und war 1932 auf die Salomonstraße umgezogen. Damals kaufte Pläschke senior das Haus und übernahm die Drahtzaunfabrik von Paul Bielaß. Bis zum Tod von Oskar Pläschke hieß die Firma daher „Stahlbau und Drahtzäune“. Heute wird das sanierte Haus von zwei verfallenden grauen Häusern flankiert. „Hier bin ich aufgewachsen, dieser Verfall ärgert mich“, sagt Hans-Joachim Pläschke und zeigt auf die maroden Nachbarbauten. Erinnerungen hat er griffbereit. Er erinnert sich nicht nur mit Wehmut an die Zeiten, in denen die Salomonstraße eine belebte Schwester der „Berliner“ war. Sicher könnte er längst den Ruhestand genießen. Aber es zieht ihn doch jeden Tag wieder in die Firma, in der er zwar Ehefrau und eine Verkäuferin beschäftigt, längst aber keinen anderen Handwerker mehr. Der Einzelkämpfer bietet dennoch Schlüsseldienst rund um die Uhr. „Um Mitternacht dauert es freilich etwas länger“, schmunzelt er und kann nicht verstehen, wenn Leute auf unseriöse Anbieter von weither mit ihren überzogenen Rechnungen hereinfallen: „Die paar Görlitzer Handwerker sollte man doch kennen.“ Tatsächlich stimmen sich die vier gestandenen Görlitzer Schlüsseldienste stets ab: „Egal ob Urlaub oder sonst was – irgend einer von uns ist immer dienstbereit“, sagt Pläschke. Dazu zählt auch die Firma vom Obermarkt. Der dortige Chef Robert Bullmann „hat zehn Jahre alles von mir gelernt, was man dazu braucht“, berichtet Hans-Joachim Pläschke, und es schwingt etwas Stolz mit. Denn Robert Bullmann ist sein Neffe.

So wie die Arbeit, lässt sich Pläschke auch in der Freizeit nicht von der 75 stören. „Das ist nur eine Zahl“, betont er. Früher hat er Tanzmusik gespielt mit Kurt „Saftl“ Gerlach, er Bass, „Saftl“ Saxofon. Heute spielt er Akkordeon in der Erwachsenengruppe der Musikschule Fröhlich, tritt mit zwei Damen im Akkordeon-Trio „Die fröhlichen Drei“ auf, singt im Görlitzer Shanty-Chor. Regelmäßig ist er mit Vierbeinern auf dem Hundeplatz zu finden. Seit seiner Kindheit war immer ein Hund an seiner Seite, egal ob Pudel oder Dogge. Zurzeit begleitet ihn der fünfjährige Mischling Ella.

Obwohl es Hans-Joachim Pläschke vorkommt, als liefe alles in den jüngsten Jahren überschaubarer, gibt es weder privat noch beruflich Leerlauf. „Es ist sehr komisch“, überlegt er, „aber seit ich als Rentner dem Geld nicht mehr hinterherrennen muss, kommen die Aufträge ganz von allein.“ Immer öfter wird seine professionelle Beratung in Sicherheitsausrüstungen verlangt – vom Einfamilienhaus bis zu großen Industrieobjekten. Die Referenzliste wird immer länger, Pläschke ist Partner von Feuerwehr und Polizei, Kliniken und Rathäusern, Deutscher Bahn und Stadtwerken. Museen und Kaufhäuser verlassen sich auf seine elektronischen Zutrittskontrollen, Schließanlagen und Alarmtechniken. Nur die historische Dimension nimmt ab, bedauert der Meister. Denkmalgerechte alte Türschließer oder Tresorbeschläge werden immer seltener gefragt. Dafür nehmen die Notöffnungen zu. „Seit bei neuen Mietwohnungen Türen automatisch zufallen müssen, steht so mancher Mieter jetzt öfter mal im Hausflur“, sagt Pläschke. Wie sollte er da ans Aufhören denken?