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„Ich war schon in der DDR gegen Tunnel“

Stadtplaner Ditmar Hunger will, dass die Neustädter Röhre verschwindet. Die Zeit für solche Bauwerke sei vorbei.

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© Sven Ellger

Von Peter Hilbert

Aufmerksam verfolgt Ditmar Hunger derzeit die Debatte um den Neustädter Fußgängertunnel. Der promovierte Stadt- und Verkehrsplaner hält sie für absurd. Denn die Zeit derartiger Bauwerke sei längst vorbei. „Nur oberirdische Fußgängerüberwege sind eine vernünftige Lösung“, sagt der 69-jährige Dresdner, der zum Ende der DDR-Zeit für die Verkehrsplanung in Dresden zuständig war.

Verkehrsexperte Ditmar Hunger hat sich intensiv mit dem Neustädter Fußgängertunnel befasst. Eine Wiedereröffnung bezeichnet er als wirtschaftlichen Unfug.
Verkehrsexperte Ditmar Hunger hat sich intensiv mit dem Neustädter Fußgängertunnel befasst. Eine Wiedereröffnung bezeichnet er als wirtschaftlichen Unfug. © SZ/Peter Hilbert

Nach der Verkehrsphilosophie der 1960er-Jahre wurden autogerechte Städte mit vier- bis sechsspurigen Straßen und andererseits Fußgängerzonen gebaut, so auch in Dresden. Damals gab es keine Autobahn Richtung Prag, also wurde eine breite Trasse durch die Stadt geschaffen. Die Große Meißner Straße, die Carolabrücke und die St. Petersburger Straße entstanden in den 60er- und 70er-Jahren, verweist Hunger auf den Anfang. In dem Zuge wurden auch die Fußgängertunnel am Pirnaischen Platz sowie dem Neustädter Markt und parallel dazu die Fußgängerzonen zwischen Hauptbahnhof und Albertplatz gebaut.

Ende der 1980er-Jahre habe der damalige Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer (SED) erkannt, dass Dresden eine neue, fußgänger- und fahrradfreundliche Verkehrsplanung braucht. Anfang 1988 holte er den damals 42-jährigen Hunger als Chef des Büros für Stadtverkehr ins Rathaus. Der hatte sich unter anderem in Halle-Neustadt als Verkehrsplaner einen Namen gemacht.

Kurz danach erläuterte der Experte bei einer Tagung zum Fußgängerverkehr seine Vorstellungen an der Dresdner Verkehrshochschule. „Das schlug wie eine Bombe ein“, sagt er. Denn Hunger sprach sich dagegen aus, Fußgänger unter die Erde zu verbannen. Letztlich konnte er erreichen, dass bereits geplante weitere Fußgängertunnel am Hauptbahnhof, dem Dr-Külz-Ring und der Wilsdruffer Straße aus dem Generalverkehrsplan gestrichen wurden.

Den sehr aufwendig gestalteten Tunnel am Neustädter Markt lobte er zwar als „schönsten der DDR“. Für optimal hielt der Fachmann ihn dennoch nicht, schon wegen der enormen Umwege. So setzte er zuerst durch, dass Überwege zur dortigen und zu weiteren Straßenbahn-Haltestellen geschaffen wurden. Als Verbindung zur Hauptstraße seien die Wege jedoch viel zu schmal. Deshalb gibt es oft Gedränge.

Das jetzt geplante Zuschütten hält Hunger, der ab Anfang der 90er-Jahre ein Planungsbüro führte, für längst überfällig. Der Tourist, der von der Augustusbrücke kommt, hat den Goldenen Reiter im Blick und will zu ihm spazieren. „Doch dann wird er in ein Loch geschickt“, beschreibt er die Konsequenz. Das sei schon zu DDR-Zeiten auch für Bellevue-Gäste ein Problem gewesen. Zumal ein Tunnel mit seinen steilen Rampen besonders für Behinderte, Rollstuhlfahrer oder ältere Leute erhebliche Nachteile hat. „Deshalb würden viel zu wenige Fußgänger durchgehen. Das rechnet sich nicht“, argumentiert der Planer mit Blick auf die jährlichen Betriebskosten von rund 35 000 Euro.

„Deshalb wäre es goldrichtig, den Tunnel ein für alle Mal zu schließen“, resümiert er. Dank des Hochwassers und der Fluthilfemittel von über 656 000 Euro könnte der Tunnel zugeschüttet und ein Überweg geschaffen werden. Doch der Stadtrat ist auf der jüngsten Sitzung umgeschwenkt und will das verhindern.

Die ursprünglich im Artikel befindliche Abstimmung zur Zukunft des Tunnels wurde am 24. Mai um 13 Uhr beendet. Die Ergebnisse erfahren Sie am Mittwoch in der Sächsischen Zeitung oder hier auf SZ-online.