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„Ich möchte bei meinen Lesern das Kopfkino einschalten“

Holger Böwing ist nicht nur Leiter der Herrnhuter Förderschule, sondern auch Autor. Ein Gespräch über Humor und Schreibideen.

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Von Anja Beutler

Holger Böwing verwandelt Alltagsleben in Literatur. Nach zwei Romanen ist ein Kurzgeschichtenband erschienen, der sich mit Menschen befasst, die anders sind: Die Zukurzgekommenen. Dabei schreibt der 56-Jährige, der als Sonderpädagoge die Förderschule der Herrnhuter Diakonie leitet, nicht nur über Menschen mit Behinderung. Seine Protagonisten sind oder fühlen sich auf verschiedene Weise benachteiligt.

Herr Böwing, sind Bücher die Chance, Schwächeren Gehör zu verschaffen?

Für mich persönlich ist die Literatur die naheliegende Möglichkeit, Menschen eine Stimme zu geben.

Woher kommen Ihre Geschichten – nur aus eigenem Erleben?

Ich habe sowohl in meinen Romanen als auch in den Kurzgeschichten eigene Erlebnisse verarbeitet, aber ich greife auch Dinge auf, die mir andere erzählt haben.

Verfremden Sie die Geschichten für Ihre Bücher dann noch oder sind sie absolut authentisch?

Die Konflikte in den Geschichten sind authentisch. Aber ich verfremde in der Tat – sonst würde ich ja Berichte schreiben. Ich möchte daraus Literatur machen, denn das Lesen dieser tragischen Geschichten soll Spaß machen. Mein Stichwort ist: Kopfkino. Ich möchte, dass bei den Lesern das Kino im Kopf aktiv wird, dass sie sich in die beteiligten Figuren hineinversetzen können, Empathie entwickeln.

Wie schaffen Sie das – mit möglichst umfassenden Beschreibungen?

Nein, ich gehe sehr sparsam mit Worten um. Wenn ich eine Geschichte erarbeite, ist das zunächst erst einmal sehr viel, was ich aufschreibe. Dann, wenn das Geschriebene sozusagen ein bisschen abgehangen ist, kürze ich. Ich streiche viel. Man muss nicht alles aussprechen, um etwas gut zu sagen. Das ist aber richtig harte Arbeit. Und so ist es keine Seltenheit, wenn ich an einer Erzählung, die am Ende vielleicht sieben Seiten lang ist, einen Monat intensiv arbeite. Ich steige da dann voll rein. Weil das anstrengend ist, schiebe ich manchmal auch einen guten Stoff eine Weile vor mir her.

Wann schreiben Sie? Sie sind ja als Förderschulleiter voll berufstätig.

Ich habe zwei wichtige Spielregeln: Die erste ist, täglich zu schreiben. Die andere, einen optimalen Zeitpunkt zu finden. Und das ist bei mir der frühe Morgen. Ich stehe dann eine Stunde früher auf, als ich es eigentlich müsste, um pünktlich zur Arbeit zu kommen. Das ist so gegen 5.30  Uhr. So habe ich wenigstens jeden Tag etwa 45 Minuten zwischen Frühstück und Abfahrt nach Herrnhut. Am Sonnabendvormittag oder manchmal auch am Sonntag arbeite ich drei bis vier Stunden literarisch.

Reagieren die Menschen, deren Geschichten Sie erzählen?

Die meisten Reaktionen bekomme ich bei Lesungen. Oft diskutiere ich mit den Gästen danach noch, so kommt man ins Gespräch. Bei einer dieser Lesungen waren Eltern von Behinderten mit dabei, die ich persönlich kenne. Ich war nicht sicher, wie sie auf die eine Geschichte reagieren würden. Zwei von ihnen kamen dann aber auf mich zu und waren total begeistert.

Liegt das vielleicht daran, dass Ihre Geschichten viel Humor haben?

Humor ist für mich sehr wichtig. Zum einen, weil bei den tragischen Geschichten Lachen die Seele reinigt. Zum anderen, weil die Fallhöhe in den Geschichten größer wird. Und damit auch die Wirkung und die Betroffenheit. Was nicht passieren darf, ist, dass man die Protagonisten bloßstellt.

Die Zukurzgekommenen – Roman in Geschichten von Holger Böwing ist im Grünberg Verlag erschienen. ISBN: 978-3-933713-45-2, Preis: 15,80 Euro. Der Autor hat bereits die Romane Jakob Leising und Fabler geschrieben.