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Ich loab mir hoalt mei Nieske

Hans Berger hat eine Vorliebe für Geschichte und Gedichte. In der Nieskyer Bibliothek trägt er nun einige historische Verse in Mundart vor.

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© André Schulze

Von Alexander Kempf

Mal hebt Hans Berger seine Stimme, dann senkt er sie wieder. Jede Pause beim Lesen von Gedichten setzt der Senior ganz bewusst, damit die vorgetragenen Zeilen umso stärker nachklingen. Denn der Ton macht bekanntlich die Musik. Und die Verse, die der 85-Jährige in Oberlausitzer Mundart vorträgt, haben ihre ganz eigene Melodie. Mehr als 20 Gedichte hat er in einem grünen Hefter von verschiedenen Dichtern zusammengetragen, also eine „ganze Wolke“, wie er selbst sagt. Viele sind ein Loblied auf das „wunderscheene Nieske“. Am Mittwoch wird er die gesammelten Werke in der Nieskyer Stadtbibliothek vorlesen oder besser zum „Klingen bringen“.

Das Programm heiße übrigens „Niesky meine Heemte“, stellt Hans Berger klar. Nicht Heemke wie es fälschlicherweise auf einer Einladung zur Veranstaltung heißt. „Heemte kommt von Heimat“, erklärt er. Ob das Publikum genauso textsicher ist, das wird sich am Mittwochabend zeigen. Eine Übersetzung ins Hochdeutsche schließt Hans Berger aber aus. Denn das würde den Werken ihren Charakter rauben. „Ich kann die Gedichte doch nicht auf Hochdeutsch bringen. Dann klingen sie nicht mehr. Es wurde damals so gesprochen und darum hat man es auch so aufgeschrieben“, sagt er. Tatsächlich sammeln sich in Niesky seit jeher sehr viele verschiedene sprachliche Einflüsse.

Die Gründungsväter der Stadt kamen zwar aus Böhmen, erklärt Hans Berger. In den umliegenden Dörfern aber, die später teilweise auch eingemeindet worden sind, ist die Oberlausitzer Mundart gesprochen worden. Später kamen zudem sächsische, schlesische und auch wendische Einflüsse hinzu. „Wir haben in Niesky praktisch eine multikulturelle Sprache“, sagt Hans Berger. Vor langer Zeit habe sogar jedes Dorf einen ganz eigenen Zungenschlag gehabt. Auch Ortsnamen wie Nieder Seifersdorf oder Thiemendorf hätten einst anders geklungen. Zum Bedauern von Hans Berger sei aber vieles damals nie genau aufgeschrieben und dokumentiert worden. So hat selbst er, der sich für Sprachen, Dialekte und Mundart interessiert, heute mitunter Probleme Dinge zu verstehen.

Bestes Beispiel sei der alte Zungenschlag aus See, das heute einer von vielen Nieskyer Ortsteilen ist. „Wenn ich das vorlese, würde sich das für Sie wie Chinesisch rückwärts anhören“, sagt Hans Berger mit einem Lächeln. Er selbst ist übrigens gebürtiger Moholzer, später aber in Neusärchen aufgewachsen. Dort wohnt er noch heute in dem von seinem Vater erbauten Holzhaus, das sich seit der Wende aber hinter einer Dämmung versteckt. Mit der Holzhaussiedlung von einst, von der Hans Berger so viele alte Fotos besitzt, hat das Viertel heute nicht mehr viel gemein. „Weil sie alle das Streichen nicht mehr wollten“, erklärt der Holzhausbesitzer. Denn die Pflege der Häuser ist sehr aufwendig.

Literatur und Geschichte haben den gelernten Tischler Hans Berger schon immer fasziniert. „Ich kenne ihn schon lange als wichtigen Ansprechpartner“, sagt etwa die Nieskyer Museumsleiterin Eva-Maria Bergmann. Für sie hat er schon mehrfach kleine Berichte zum Beispiel über die örtlichen Holzhäuser verfasst. Solche Berichte aus erster Hand helfen, die Nieskyer Geschichte für die Nachwelt zu bewahren und erlebbar zu machen. Hans Berger selbst würde gerne noch seine Memoiren schreiben, erzählt er. „Das wäre ein Bestseller“, verspricht er humorvoll. Schließlich sei er in Niesky bekannt wie ein „scheckscher Hund“. Allein ihm fehlt die Zeit. Auch sein Haus und die Pflanzen benötigen viel Zeit.

Auf den Literaturabend am Mittwoch freut er sich dennoch sehr. „Für mich ist das kein Stress“, sagt Hans Berger. Er will mit der Veranstaltung den Nieskyern einen besinnlichen und schönen Abend bescheren. „Geld hat mich noch nie interessiert“, sagt er. Das kann Bibliotheksleiterin Carola Vogt-Kliemand nur bestätigen. Ihr hat er schon angeboten, die Veranstaltung bei großem Interesse auch an einem Nachmittag zu wiederholen. Denn dem einen oder anderen Senior ist die Uhrzeit möglicherweise zu spät. Über Niesky habe es in der Bücherei übrigens schon viele Veranstaltungen gegeben. Aber ein Gedichtabend in Oberlausitzer Mundart, das sei eine echte Premiere, so Carola Vogt-Kliemand.

Wer am Mittwochabend auf den Geschmack kommt, für den gibt es in der Nieskyer Stadtbibliothek jederzeit eine kleine Auswahl an Oberlausitzer Mundart. Ob sie selbst jedes Wort bei der Lesung verstehen wird, das weiß Carola Vogt-Kliemand noch nicht so genau. Die gebürtige Petershainerin hofft aber darauf, das eine oder andere Wort aus ihrer Kindheit aufzuschnappen, das bei den Eltern, Großeltern und Urgroßeltern noch geläufiger als heute gewesen ist. Manches hat die Zeit dennoch überlebt. So kennt sie Kartoffeln etwa noch als Abbern.

Hans Berger macht sich um die Verständigung keine Sorgen. Er hat jahrelang im Nieskyer Literaturverein mitgearbeitet und schon verschiedene humorvolle Veranstaltungen mit echtem Oberlausitzer Zungenschlag organisiert. „Die älteren Leute haben das alle verstanden“, sagt er zuversichtlich. Und die Jüngeren können ja am Mittwoch eine ganz neue Welt entdecken. „Das sollte man wiederbeleben“, sagt auch Carola Vogt-Kliemand. Schon jetzt spiele Regionalliteratur in der Nieskyer Bibliothek eine große Rolle. Es gibt zum Beispiel einen separaten Bereich für Belletristik zum Thema Schlesien. In Zukunft soll der noch um zusätzliche Fachliteratur erweitert werden.

Niesky meine Heemte: Der Gedichtabend mit Hans Berger in Oberlausitzer Mundart findet am 8. Februar um 19 Uhr in der Nieskyer Stadtbibliothek am Zinzendorfplatz 10 statt.