Neustadt. Vor zehn Jahren stieg Neustadts Einwohnerzahl innerhalb eines Tages rasant an. Am 1. August 2007 fusionierten die ehemalige Gemeinde Hohwald und die Stadt Neustadt. Berthelsdorf, Langburkersdorf, Rückersdorf, Rugiswalde, Nieder- und Oberottendorf wurden zu Ortsteilen der Stadt, die Bewohner zu Neustädtern, Manfred Elsner Bürgermeister von allen Einwohnern. Heute sitzt Peter Mühle (NfN) an der Spitze der zusammengeschlossenen Ortschaft. Doch schon seit 1989 war er durchgängig im Stadtrat und hat die Zeit der Fusion miterlebt.
Welches Fazit ziehen Sie nach zehn Jahren Fusion?
Herr Mühle, waren Sie von Anfang an ein Befürworter der Fusion gewesen?
Ja, und ich bin es bis heute. Es war ein natürlicher, langer Prozess des Annäherns. Und nach zehn Jahren sieht man, dass es der richtige Schritt war.
Langer Prozess auch deshalb, weil der erste Bürgerentscheid 2005 negativ ausfiel. Erst 2007 wollten sich die Hohwälder angliedern. Wurde diese Entscheidung davon beeinflusst, dass Manfred Elsner 2006 von Hohwald ins Neustädter Rathaus wechselte?
Geht die Leitfigur, folgen die Bürger, da ist schon etwas Wahres dran. Die erste negative Entscheidung hatte sicherlich noch auf Ängsten basiert, die mit der Wahl Manfred Elsners nachließen.
Haben sich diese Bedenken der Bevölkerung bestätigt?
Die Hohwälder stellten sich damals Fragen wie: Was wird mit uns? Werden wir hintenangestellt? Ich glaube, dieser Identitätsverlust ist nicht eingetreten. Aber eine Gemeindefusion zieht sich über mehrere Jahre, das gilt auch für das Umdenken in den Köpfen. Es wird immer einzelne Personen geben, die die Fusion negativ sehen, sowohl in der Stadt als auch in den Ortsteilen. Aber auch diese Meinungen werden irgendwann weniger werden und in ein paar Jahren ganz verschwunden sein. Ich kenne bislang niemanden, der sich als Verlierer der Eingemeindung bezeichnen würde.
Können Sie Beispiele nennen, wo das vereinte Neustadt auf der ehemaligen Gemeindeflur von Hohwald investiert hat?
Es gab damals eine Fusionsprämie vom Freistaat, in unserem Fall war das knapp eine halbe Million Euro – quasi als Belohnung. Diese wurde je zur Hälfte an die beiden Partner ausgezahlt. So konnten Projekte schneller angepackt werden, wie die Sanierung des Schlossdachs oder der Bau des Kunstrasenplatzes in Langburkersdorf. Auch genannt werden muss die Scheune in Niederottendorf, die zur Vereinsscheune umgebaut wurde.
Diese Projekte wären also in dieser Form ohne die Fusionierung gar nicht möglich gewesen?
Doch, aber sicherlich nicht so zeitnah. Durch den Zuwachs der Bevölkerung hat sich auch die Aufstellung des Haushalts verändert, es gibt höhere Schlüsselzuweisungen vom Freistaat als zuvor, mehr freiwillige Projekte konnten angegangen werden. Die Gesamtgemeinde hat finanzielle Stabilität, ein größeres Budget und somit auf alle Fälle mehr Spielraum.
Wo können Sie noch eine positive Bilanz ziehen?
Bei der Industrie vor allem. Der Industrie- und Gewerbepark war in den Neunzigern von Neustadt und Hohwald gemeinsam aufgebaut und bewirtschaftet worden, also bereits vor der Fusion. Als sich die Möglichkeit bot, das ehemalige Dachziegelwerk zu erwerben, wurde ganz schnell gehandelt. 2011 wurde es abgebrochen und neue Flächen für die Ansiedlung von Unternehmen entstanden. Die letzte Fläche wird demnächst verkauft, dann ist alles belegt. Und sicherlich ist die Revitalisierung der Kirschallee ein Projekt, das man so und vor allem so schnell hätte nicht stemmen können. Vergleicht man mal das Gewerbegebiet mit vorher – irre, was hier alles passiert ist. Für solche Großprojekte benötigt es die geballte Kraft einer Stadt.
Der demografische Wandel macht auch vor Neustadt nicht Halt, die Bevölkerung sinkt weiter. Was tun gegen diese Entwicklung?
Wir verlieren rund 100 Einwohner im Jahr. Nicht durch Zu- und Wegzug, das muss man deutlich sagen, sondern wegen des demografischen Wandels, also der höheren Anzahl von Sterbefällen zu den Geburten. Wir müssen deshalb versuchen, neue Bürger anzulocken. Eine Chance wären die Pendler, die jeden Tag zur Arbeit nach Neustadt fahren. Durch das Angebot neuer Wohngebiete zum Beispiel. Ein weiteres ist gerade in Vorbereitung.
Welche Aufgaben sind noch zu erledigen, die durch die Fusion aufgekommen sind?
Da wäre ganz weit oben ein einheitlicher Flächennutzungsplan, der genau zeigt, wie welche Gebiete nutzbar sind, also wo kann ich bauen, wo kann sich Industrie ansiedeln, wo sind landwirtschaftliche Flächen und so weiter. Der fehlt bisher. Wir werden dieses Jahr damit beginnen, die Haushaltmittel sind eingeordnet. Wichtig ist auch, die Infrastruktur auszubauen, wir haben ja zusammen mit Sebnitz und Stolpen eine Initiative zum Ausbau der Straßen, beispielsweise einen Kreisverkehr an der Kirschallee, angeschoben.
Andere Gemeinden im Landkreis denken auch über eine Fusion nach, aktuell Dohna und Müglitztal. Würden Sie allgemein dazu raten?
Es muss passen, sowohl geografisch, als auch in der Mentalität. Beide Seiten müssen es wollen. Bei uns hat es gepasst.
Das Gespräch führte Nancy Riegel