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„Ich hätte nicht gedacht, dass sie so unfähig sind“

Edward Snowden gibt sein ausführlichstes Interview seit seiner Flucht. Was ihn betrifft, lüge die NSA bis heute.

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Von Jens Schmitz, SZ-Korrespondent in Washington

Auf dem Titelbild hält der meistgesuchte Mann der Welt die US-Flagge im Arm wie ein schutzbedürftiges Kind. Im Inneren des Technik-Magazins „Wired“ wirkt Edward Snowden selbst oft verloren. Um zu verhindern, dass seine Landsleute das Thema Überwachung vergessen, hat der 31-jährige NSA-Informant das bislang ausführlichste Interview seit seiner Flucht nach Moskau gegeben.

Snowden gewährt dabei nicht nur Einblicke in seine Lebensgeschichte. Der Computerspezialist berichtet auch über ein vollautomatisches US-Programm, das ungewollt Kriege auslösen könne. Er enthüllt, dass der Auslandsgeheimdienst NSA 2012 aus Versehen den gesamten Internetverkehr in Syrien lahmlegte. Und er zeigt sich überzeugt, dass er den USA eines Tages ins Netz gehen wird. „Was ich getan habe, habe ich nicht aus Eigennutz unternommen“, beharrt Snowden. Er habe der US-Regierung angeboten, freiwillig ins Gefängnis zu gehen, wenn das dem richtigen Zweck diene. „Aber wir dürfen nicht zulassen, dass das Gesetz eine politische Waffe wird.“ Der ehemalige NSA-Mitarbeiter sitzt seit gut einem Jahr im Moskauer Exil; Russland hat seine Aufenthaltsgenehmigung gerade um drei Jahre verlängert.

„Wired“-Autor James Bamford schreibt, Snowden habe sich lange gesträubt, über seine persönlichen Hintergründe zu sprechen. Dann entsteht aber doch das Porträt eines überdurchschnittlich intelligenten jungen Mannes, der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 aus Patriotismus in die Spionagearbeit rutschte und schließlich Zugang zu den obersten Geheimhaltungsstufen hatte. Anders als von den US-Diensten anfänglich behauptet, sei Snowden weder ein Versager in der Schule noch ein kleines Licht in der Hierarchie der Dienste gewesen, schreibt Bamford. Der Reporter hat im Vietnamkrieg selbst zeitweise für die NSA gearbeitet und sich dabei ebenfalls als Whistleblower betätigt. Nun veröffentlicht er ein Foto, das zeigt, wie der damalige Geheimdienstchef Michael Hayden 2011 mit Snowden posiert.

Bamford bestätigt, dass Snowden keinen Zugriff mehr auf die von ihm entwendeten Daten hat. Trotzdem gibt es neue Enthüllungen. Dazu gehört die Arbeit der NSA an einem Programm namens MonsterMind, das Cyberangriffe nicht nur abwehren, sondern auch vollautomatisch Gegenattacken starten soll. Snowden zufolge setzt es voraus, dass sämtlicher Internetverkehr in die USA permanent analysiert wird – für ihn eine klare Verletzung der Verfassung. Darüber hinaus könnten automatisierte Gegenangriffe aber auch zu ungewollten Eskalationen führen. „Diese Attacken können manipuliert sein“, warnt er. „Jemand könnte beispielsweise in China sitzen und vortäuschen, dass so ein Angriff aus Russland kommt. Und dann schießen wir gegen ein russisches Krankenhaus zurück. Was passiert als Nächstes?“

Anders, als von US-Diensten behauptet, will Snowden weit weniger als 1,7 Millionen Dokumente kopiert haben. Er habe sich sogar bemüht, Spuren zu hinterlassen, damit die Agenturen erkennen könnten, dass er keineswegs alle Dateien kopiert habe, in die er Einsicht genommen habe. Aber die Inspektoren hätten die Hinweise wohl übersehen. „Ich nahm an, dass es ihnen schwerfallen würde“, sagt Snowden. „Ich hätte nicht gedacht, dass sie komplett unfähig sind.“

Zu dem Verdacht, dass es mindestens eine weitere undichte Stelle bei der NSA gibt, sagt Snowden nur: „Sie haben ihre Probleme immer noch nicht im Griff. Und wenn das der Fall ist, wie können wir als Öffentlichkeit der NSA dann vertrauen mit all unseren Informationen?“ Die Agentur verweigerte eine Stellungnahme dazu.

Bamford zufolge war Snowden bei den Treffen in verschiedenen Moskauer Hotels gut gelaunt. Er meide Gegenden mit Menschen aus dem Westen, und den wenigen Russen, die ihn erkennen, begegne er mit einem verschwörerischen Finger an den Lippen. Trotzdem mache er sich über seine Zukunft keine Illusionen: Bei aller Vorsicht werde ihm eines Tages ein Fehler unterlaufen, sodass US-Dienste ihn orten könnten. Die Frage sei aber ohnehin nicht, welche Enthüllung als Nächstes folge. „Die Frage ist, was tun wir?“