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„Ich habe nichts gegen antiautoritäre Erziehung“

Die Großschweidnitzer Chefärztin Sabine Hiekisch erntet Beifall für ihr Erziehungsplädoyer – aber auch harsche Kritik.

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© Matthias Weber

Von Anja Beutler

So ein Echo hat Sabine Hiekisch beileibe nicht erwartet. Als die Chefärztin am Fachkrankenhaus in Großschweidnitz vor einigen Wochen in der SZ erklärte, dass mehr und mehr Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten zu ihr kommen und sie eine wichtige Ursache bei Erziehungsdefiziten sehe, erhielt sie über mehrere Wochen unzählige E-Mails und Briefe. Auch in den sozialen Netzwerken ging es hoch her, weil Frau Hiekisch für Kinder mehr Halt, einen verlässlichen Rahmen und weniger Beliebigkeit einforderte. Hat die erfahrene Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie nun recht oder ist ihre Haltung abgestandene DDR-Pädagogik – wie es einige Kommentatoren behaupten?

Sabine Hiekisch legt die Hände auf ihren Schreibtisch. An ihrer Meinung hat sich nichts geändert. Und deshalb freut sie natürlich auch, dass sie offenbar vielen Eltern und Erziehern aus dem Herzen gesprochen hat: „Die allermeisten Reaktionen waren sehr positiv“, sagt sie. Immer wieder habe sie Zuschriften bekommen – aus Dresden, Bautzen und sogar Schleswig-Holstein. Manche wollten sie einladen, vielleicht auch einmal zu einem Vortrag in die Kita zu kommen.

Dass sie einer einengenden DDR-Erziehung das Wort geredet habe, wie einige Kritiker sagten, weist sie allerdings deutlich von sich – zumal sie in ihrer Berufskarriere solche negativen Auswüchse oft genug gesehen hat.

Sie erhält dabei durchaus auch Rückendeckung von Professor Manfred Jödecke, der an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Hochschule Zittau/Görlitz im Bereich Heilpädagogik und Inklusion lehrt. „Warum tut man alle DDR-Erfahrungen immer so pauschal ab?“, fragt er sich. Der Erziehung im Osten oder anderswo generell einen Stempel aufzudrücken, hält er für falsch. Natürlich seien Bevormundung oder Regeln, die nicht hinterfragt werden dürfen, indiskutabel. „Aber, dass Eltern Grenzen setzen, ist okay“, sagt der Wissenschaftler, der Frau Hiekischs Beobachtungen und Analysen als sehr erfrischend empfunden hat.

Was Manfred Jödecke ebenso wie Sabine Hiekisch kritisierten, ist der Glaube mancher Eltern, sie bezahlten ja für die Betreuung ihrer Kinder einen Elternbeitrag, also könnten sie dafür die Erziehung ihrer Kleinen erwarten. „Bei dieser Abgabementalität fangen viele Probleme an“, analysiert die Ärztin mit den kurzen blonden Haaren. Und da setzt auch die Familientherapie im Großschweidnitzer Krankenhaus an, die eben nicht nur mit den Kindern, sondern auch mit den Eltern arbeitet. „Es geht darum, die Beziehung zum Kind wieder intensiver zu machen, die wirklichen Bedürfnisse der Kleinen zu erkennen – und das ist eben nicht die Barbie-Puppe“, skizziert die Ärztin einen Kern der Arbeit mit Kindern und Eltern am Fachkrankenhaus, der nach wie vor stark nachgefragt ist.

Kinder brauchen Grenzen

Lernen müssen die Eltern meist auch, ihren Kindern Kritik – positiv wie negativ – zu geben und selbst auch zu ertragen, wenn man ihnen ihre Fehler vorhält. Das funktioniere gut in einer Gruppentherapie: „Denn die Fehler der anderen erkennt man, das steht schon in der Bibel“, sagt Frau Hiekisch. Auf diese Weise weisen sich die Eltern in der Therapiegruppe selbst auf die Fehler wie zu viel Ablenkung durch das Mobiltelefon hin und „es bedarf keines besserwisserischen Therapeuten“, sagt die Ärztin und lächelt. Zwei Familienhäuser hat das Fachkrankenhaus inzwischen – gewissermaßen für familiäre Problemfälle. Eltern und Kinder sollen sich ganz ohne Alltagsstress wieder näherkommen und daraus lernen. Auf die Weise versuchen Frau Hiekisch und ihre Kollegen, so manches zu kitten, was zuvor kaputtgegangen war. Begrenzt sind die verschiedenen Therapien auf vier bis acht Wochen.

Damit Familien gar nicht erst in eine solche Spirale kommen, wünscht sich die Chefärztin wieder mehr Aufmerksamkeit der Eltern – mehr Erziehung eben. „Ich habe übrigens auch nichts gegen antiautoritäre Erziehung oder andere Modelle“, erklärt sie. Wichtig seien dabei aber immer Grundwerte und damit auch Grenzen: „Sonst bekommen Sie lauter Egoisten, aber keine Individualisten.“ Die Kinder müssten aber lernen, dass ihre Freiheit spätestens an der Nasenspitze des anderen ende. Andernfalls werde es schwierig, sie für das weitere Leben gut zu wappnen.

Ute Wunderlich, Geschäftsführerin der Schkola gGmbH, die im Süden des Kreises drei Schulen und eine Kita bewusst als Alternative zu staatlichen Einrichtungen betreibt, sieht sich mit Sabine Hiekischs Maximen ebenfalls im Einklang. „Ich kann das in vielen Punkten bestätigen und ergänzen“, erklärt sie. Kommunikation zwischen Erwachsenen und Kindern, feste Regeln, Rituale, Freiheiten – aber nicht ohne Grenzen – sind für sie und ihre Kollegen wichtige Bausteine bei der Erziehung. Vor allem auch, da eben viele Eltern in ihrem Arbeitsalltag nicht mehr täglich zu einer gemeinsamen Mahlzeit zu Hause sind. Einen Teil dieser Erziehungs- und Bildungsaufgaben wolle die Schkola übernehmen, um die Kinder fit zu machen.