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Ich glaub, ich hab ’ne Meise!

Am Wochenende war große Volksvogelzählung. Die Gelegenheit für einen lauschigen Freisitz mit Feldstecher.

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© Marko Förster

Von Jörg Stock

Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Nix los im Vogelhaus. Prall gefüllt ist es mit Körnern, Kernen, Apfelstückchen, und trotzdem kommt kein Besuch. Kann der Fachmann helfen? Andreas Kunzmann besieht das Futterangebot. Für alle was dabei, sagt er. Auch der Standort ist gut. Frei stehen sollte das Haus, damit Katzen sich nicht anpirschen können. Nein, die Flaute hat wohl eher mit dem Winter zu tun, genauer gesagt damit, dass es keinen gibt. Aber womöglich kommt er ja noch, sagt Herr Kunzmann. „In einem Monat sieht es vielleicht ganz anders aus.“

Vogel-Volkszählung

Am Pirnaer Vogelhaus des Reporters herrscht zurzeit Leere, trotz des üppigen Futterangebots. Wegen des milden Winters gibt es kaum Zuzügler aus Nord und Ost.
Am Pirnaer Vogelhaus des Reporters herrscht zurzeit Leere, trotz des üppigen Futterangebots. Wegen des milden Winters gibt es kaum Zuzügler aus Nord und Ost.
Die Kohlmeise ist nach vorläufiger Auswertung der häufigste Vogel im Landkreis und in Sachsen. Bundesweit ist sie die Nummer zwei hinter dem Haussperling.
Die Kohlmeise ist nach vorläufiger Auswertung der häufigste Vogel im Landkreis und in Sachsen. Bundesweit ist sie die Nummer zwei hinter dem Haussperling.
Zutreffendes ankreuzen! Jede festgestellte Vogelart wird erfasst, aber nur so viele Tiere pro Art, wie sich zeitgleich binnen einer Stunde zeigen.
Zutreffendes ankreuzen! Jede festgestellte Vogelart wird erfasst, aber nur so viele Tiere pro Art, wie sich zeitgleich binnen einer Stunde zeigen.

Aber gezählt wird heute. Es ist „Stunde der Wintervögel“. Der Naturschutzbund Deutschland will wissen, welche Vögel, Arten und Zahl, in den Gärten und Parks auftauchen, um Rückschlüsse auf das Zugverhalten und die Populationsentwicklung zu ziehen. Jeder, der Lust hat, kann helfen. Die Zählstunde, dieses Jahr zum achten Mal anberaumt, gilt als die größte wissenschaftliche Mitmach-Aktion Deutschlands. Im letzten Jahr beteiligten sich rund 120 000 Menschen, im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge waren es über 600.

Diesmal bin ich auch dabei, in Pirnas Süden, dem Musikerviertel. Als Späher habe ich mir Andreas Kunzmann von der Pirnaer Fachgruppe Ornithologie organisiert. Der 56-Jährige aus Copitz befasst sich seit der Kindheit mit Vögeln, inspiriert zuerst vom naturverliebten Großvater und dann von einem mitreißenden Bio-Lehrer. Seine Gestalt, wettergegerbtes Gesicht, Rauschebart, Fernglas – verrät einen, der das Draußensein gewöhnt ist. Auch die Anzugsordnung. Um eine Stunde in der Januarluft zu sitzen, reicht ihm ein T-Shirt völlig aus.

Flaute am Vogelhaus

Wegen der Flaute am Vogelhaus beziehen wir unseren Zählposten auf dem stillgelegten Spielplatz eines ehemaligen Kindergartens gleich nebenan. Eine alte Pappel, ein Mammutbaum, dazwischen Hasel und anderes Gesträuch. Die Sonne im Rücken stellen wir unsere Klappstühle auf. Elf Uhr – die Zählung beginnt.

Kaum hingehockt, piepst es links im Gebüsch. Kleine, flinke Federbälle. Andreas Kunzmann äugt durchs Fernglas. Kohlmeisen, zwei Stück. Ich mache Kreuzchen. Je Vogelart notiert man die höchste Anzahl, die man zeitgleich sieht. Die Kohlmeise ist Titelaspirant. Im Vorjahr war sie der häufigste Vogel in Sachsen und bundesweit auf Platz 3 hinter Haussperling und Amsel.

Apropos: Wo steckt der Sperling? Noch keiner zu sehen und zu hören. Der vermeintliche Allerweltsvogel steht auf der Vorwarnliste bedrohter Arten. Vor allem im Offenland haben es der Sperling und viele andere schwer. Weil die Blüten fehlen, fehlen auch Insekten zum Fressen. Glyphosat ist in Kunzmanns Augen ein Teil des Problems. Und hier in der Siedlung? Das Paradies? Es könnte besser sein, findet er. Zwar hat jeder ein Futterhäuschen im Garten. Aber möglichst auch einen englischen Rasen. Wo nichts blüht, sagt er, schwindet das Nahrungsangebot für Vögel enorm.

Wieder geht Kunzmanns Okular hoch. „Blaumeise … zwo … nee, drei … und Eichelhäher … hinter uns!“ Den bunten Häher mochte Kunzmann als Kind am liebsten, krauchte mit dem Opa schon in aller Herrgottsfrühe durch den Busch, um ihn zu entdecken. Der Häher sieht Menschen und andere Eindringlinge aber immer zuerst und verpetzt sie krächzend, weshalb man ihn auch den Waldpolizisten nennt.

Doch noch ein Sperling

Ein dunkler Schatten geht in gehöriger Distanz in einer Buche nieder. Nah genug für Kunzmanns Feldstecher. Eine Nebelkrähe, mittlerweile ein typischer Stadtbewohner. Aufmerksam äugt der grauschwarze Vogel in die Gegend. Was hat er vor? Natürlich Futtersuche, sagt Kunzmann, und das den ganzen Tag. Er lacht in seien Bart. „Krähen haben keine festen Essenszeiten.“

Wieder Meisen. Und der Eichelhäher, diesmal zu zweit. Ein Bussard schreit. Hätten wir richtig Winter, wäre der Greif vielleicht in Frankreich. Irgendwo tschilpt es jetzt, hart und prägnant. Ein Haussperling. Ist der Bursche also doch da. Fast hätte ich ihn überhört. Andreas Kunzmann nicht. Er ist geeicht auf die Stimmen der Natur. Lernen kann das jeder, sagt er. Aber man muss sich darauf einlassen, muss „das Fenster“ aufmachen. „Mit Smartphone und Knopf im Ohr geht das eher schlecht.“

Die Zeit ist um. Unsere Bilanz: vier Blaumeisen, drei Kohlmeisen, zwei Amseln, zwei Eichelhäher, Mäusebussard, Krähe, Spatz und Buntspecht. Andreas Kunzmann packt das Fernglas weg. Er hätte mehr erwartet. Einerlei. „Wir stehen hier nicht unter Leistungsdruck.“ Schon zu Himmelfahrt kommt eine neue Chance für alle Naturgucker: die Stunde der Gartenvögel.