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„Ich gehe an die Seele“

Mit Musik kann man Blockaden lösen, Ängste abbauen, Krankheiten heilen. Die Elbland-Reha nutzt sie deshalb zur Therapie.

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© Anne Hübschmann

Von Susanne Plecher

Großenhain. Auf der Speicherkarte, die Cindy Thieme jeden Tag auf Arbeit nutzt, befindet sich keine einzige Textdatei. Dafür enthält sie Musik in Hülle und Fülle: klassische Werke von Mozart und Haydn, Märsche und Operetten, aber auch Blues- und Jazzstücke. Und sehr viele Rock- und Popballaden. „Über sieben Brücken musst du gehn“ von Karat oder „Let it be“ von den Beatles gehören zu den Stücken, die die junge Großenhainerin am häufigsten abspielt.

„Let it be“ (Lass' es sein) lenkt dabei auf eine völlig falsche Fährte, denn Cindy Thieme erwartet von den Menschen, für die sie die Musik aussucht, alles andere, als etwas einfach sein zu lassen. Sie müssen im Gegenteil wieder aktiv werden. Denn sie sind Patienten, die kürzlich einen Schlaganfall oder ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten haben, die mit Parkinson oder den Folgen einer Hirnblutung klarkommen müssen. „Musik kann ihnen dabei helfen, die Krankheit zu verarbeiten und ins Leben zurückzufinden“, sagt die 33-Jährige. Seit Anfang Februar ist sie die neue Musiktherapeutin in der Elbland-Reha.

Musik wird zur Brücke

Klänge und Rhythmen lösen Blockaden, bauen Ängste ab, helfen bei der Entspannung. Das ist vor allem für jene wichtig, die urplötzlich aus ihrem gewohnten Leben gerissen wurden. „Wer einen Schlaganfall hatte und auf einmal Lähmungserscheinungen hat, der ist traumatisiert, manchmal depressiv“, so Cindy Thieme. Doch, was Viele nicht wissen: Selbst, wer nach einem Schlaganfall nicht mehr sprechen kann, hört noch. Musik kann dadurch zu einer Brücke werden.

Sie lernt die Patienten kennen, kurz, nachdem sie in der Rehabilitationsklinik auf dem Bobersberg angekommen sind. Zu diesem Zeitpunkt können die meisten nicht reden, sind teilweise gelähmt. Manchmal kann sich ein Patient nur durch ein Zwinkern verständigen. Sensibel prüft sie, ob sich über die Musik ein Zugang zu ihnen herstellen lässt. „Hauptsächlich wird funktionell mit ihnen gearbeitet“, sagt sie mit Blick auf die Physio- und Logotherapeuten. Die kümmern sich wunderbar um Muskulatur und Motorik. Die emotionale Ebene bleibt aber außen vor. „Ich gehe an die Seele“, sagt Cindy Thieme. Dafür gibt es kein Standardrezept, sondern wohl genauso viele Herangehensweisen wie Patienten. Manchen summt sie ein Kinderlied oder alte Volksweise vor, oft nimmt sie ihre Gitarre mit, Klangschalen oder den Monochord. Die vielen Saiten, die auf dem langen Resonanzkasten angebracht sind, erklingen alle im gleichen Ton, aber sie erzeugen Obertöne und lassen den Holzkörper schwingen. Das wirkt beruhigend und tiefenentspannend.

Patienten meist aufgeschlossen

Die meisten Patienten reagieren positiv und aufgeschlossen. Manche antworten auf die Kontaktaufnahme, indem sie zurücksummen oder die Hand bewegen. Ein einfacher Lidschlag kann für Cindy Thieme ein großer Erfolg sein, wenn der Mensch zu einer anderen Regung zunächst nicht in der Lage ist. Ist die Reha vorangeschritten und der Patient stabiler, wird gemeinsam musiziert. Trommeln, kleines Schlagwerk und Rasseln stehen dafür zur Verfügung – und die große Musikauswahl auf der Speicherkarte. Zu ihren Patienten zählt zurzeit ein ehemaliger Spielmann. Er mag die Märsche, die sie ihm vorspielt, und trommelt immer häufiger den Rhythmus mit. Über die Musik finden sie ins Gespräch. Das ist die ideale Wirkung ihrer Therapie.

Eigentlich ist Cindy Thieme Betriebswirtschaftlerin, geschult in der Auswertung von Zahlenkolonnen und Controlling-Abläufen. Bis Ende Januar hat sie das täglich gemacht. Was sie nun tut, fühlt sich für sie richtiger an. Neben ihrem Beruf hat sie sich weitergebildet, an einer privaten Einrichtung in Bad Klosterlausnitz studiert. Eine ihrer frühesten Erinnerungen ist, wie ihre Mutter auf der Mandoline Lieder vorspielte. Sie selbst hat mit fünf Jahren Geige gelernt, später kamen Klavier und Gitarre dazu. „Mein wichtigstes Instrument ist aber die Stimme, denn über sie lässt sich das Persönliche besser übertragen.“