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„Ich bin meine eigene Frau“

Theresa May wird neue britische Regierungschefin. Intern nennen sie sie die „Eiskönigin“. Zu Unrecht.

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© Reuters

Von Jochen Wittmann, SZ-Korrespondent in London

Die Choreografie des Machtwechsels steht fest. Zuerst wird David Cameron am Mittwochnachmittag in einer Audienz bei der Queen seinen Rücktritt einreichen. Danach steigt die neue Chefin der Konservativen Partei, Innenministerin Theresa May, in ihren Dienstwagen, um zum Buckingham Palast zu fahren. Dort findet dann statt, was man als die Zeremonie des Handkusses bezeichnet: Elizabeth II. ernennt Theresa May zur Premierministerin. Großbritannien bekommt damit die zweite Regierungschefin nach Margaret Thatcher.

2014: Wandern am Hohbalmen in Zermatt (Schweiz).
2014: Wandern am Hohbalmen in Zermatt (Schweiz). © imago/i images
1980: Hochzeit mit dem Banker Philip John May. Das Foto zeigt ihre Eltern, ihre Großmutter (r.) und die Schwiegereltern (l.)
1980: Hochzeit mit dem Banker Philip John May. Das Foto zeigt ihre Eltern, ihre Großmutter (r.) und die Schwiegereltern (l.) © imago/i images
1966: Die zehnjährige Pfarrerstochter (l.) bei einer Feier im privaten Kreis.
1966: Die zehnjährige Pfarrerstochter (l.) bei einer Feier im privaten Kreis. © imago/i images

Ob sie sich als eine neue Thatcher, als eine „Eiserne Lady“ sähe, wurde May gefragt, als sie sich Anfang Juli als Kandidatin für den Posten des Parteivorsitzes vorstellte. „Ich bin meine eigene Frau“, protestierte die 59-Jährige. „Ich bin Theresa May, und ich denke, dass ich die beste Person bin, um Premierministerin dieses Landers zu werden.“ Auch den Vergleich mit Angela Merkel mag die kinderlose Pfarrerstochter nicht gern hören.

Aber es gibt schon eine ganze Reihe von Charakteristiken, die May mit Thatcher oder auch Merkel verbinden würden: Kompetenz, Verhandlungsgeschick, Nüchternheit, Nervenstärke, Detailwissen und nicht zuletzt: ein stählerner Machtwille gepaart mit einem unbedingten Glauben an sich selbst.

Vor Theresa May liegt eine Menge Arbeit. Die erste Aufgabe wird sein, ihr neues Kabinett zusammenzustellen. Es wird erwartet, dass Außenminister Philip Hammond und Schatzkanzler George Osborne in einer Rochade ihre Posten tauschen werden. Eine der wichtigsten Ernennungen betrifft ein neues Ressort: das Ministerium für die Brexit-Verhandlungen. May hat versprochen, es mit einem Brexit-Befürworter zu besetzen.

Für den Posten würde sich Ex-Justizminister Chris Grayling anbieten. Der neue Brexit-Minister muss Mays Vorgabe, einen möglichst günstigen Zugang zum EU-Binnenmarkt zu erreichen, mit ihrer anderen Vorgabe in Einklang bringen: nämlich wieder Kontrolle über die Einwanderung zu erreichen. Doch die EU wird über eine Einschränkung der Personenfreizügigkeit kaum mit sich reden lassen.

Ein günstiges Zeichen nach dem Chaos der letzten Wochen: Die Märkte reagieren positiv auf die neue Premierministerin. Das Pfund hat seinen Absturz gestoppt, die Aktien des FTSE 250 Index erholten sich.

Alles neu macht die May? Genau das wird von ihr nicht erwartet. Die Frau mit der Vorliebe für extravagante Schuhe steht einerseits für Kontinuität, war sie doch im Referendumswahlkampf eine Vertreterin des „Remain“-Lagers. Sie hat versprochen, Camerons Sozialreformen weiterzuführen.

Doch die neue Premierministerin hat auch signalisiert, dass gravierende Veränderungen bevorstehen. Sie strebe ein Großbritannien an, „das für jeden funktioniert und nicht nur für die wenigen Privilegierten“, sagte sie. Sie will das Gehalt der Bosse beschneiden, Aktionären ein bindendes Votum über Managergehälter geben und mehr Arbeitnehmerrechte einführen: Sitze für Arbeitervertreter in Unternehmensvorständen nach deutschem Vorbild.

Für eine Politikerin, die seit Amtsantritt der Konservativen vor sechs Jahren ununterbrochen im Kabinett sitzt, weiß man wenig über Theresa May. Sie sei, gab sie selbst zu, keine gute Small-Talkerin und säße lieber über ihren Akten, als bei Pub-Besuchen politische Kontakte zu pflegen.

Den Spitznamen „Eiskönigin“ trägt sie, weil sie sich im dienstlichen Umgang betont unnahbar gibt. Im Privatleben jedoch, berichten ihre Vertrauten, sei sie aufgeschlossen und warmherzig. May hat seit 2013 mit einer Erkrankung an Diabetes zu kämpfen, und das mag erklären, dass sie sich in erster Linie auf die Dinge konzentrieren will, die es zu erledigen gilt.

Die Frau, die schon im Alter von zwölf Jahren der Konservativen Partei beitrat, ist auch politisch nicht so einfach zuzuordnen. Sie vertritt stramm rechte Positionen bei klassischen konservativen Themen wie Verteidigung, Einwanderung oder innerer Sicherheit. Sie hat sich aber auch als sozial liberal geoutet, als sie für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe stritt. Und sie war diejenige, die bei den Konservativen das Projekt begann, die Partei zu modernisieren und in die Mitte der Gesellschaft zu holen. „Wisst ihr“, sprach sie 2002 als Generalsekretärin zu den Delegierten des Konservativen Parteitags, „wie die Leute uns nennen? Die fiese Partei.“

Das hat sich mittlerweile geändert. Aus den einstmals homophoben, sozialdarwinistischen und mit strammst rechten Positionen liebäugelnden Konservativen ist eine Volkspartei geworden, die einen „mitfühlenden Konservatismus“ propagiert. May hatte diese Entwicklung angeschoben, David Cameron, der 2006 Parteivorsitzender wurde, hat sie weiter vorangetrieben, und man darf sich sicher sein, dass die neue Premierministerin das Projekt einer sozial liberalen Ausrichtung weiter verfolgen wird.

Indem sie die Konservative Partei weiter in die Mitte und teilweise sogar auf sozialdemokratisches Terrain rückt, verfolgt sie auch eine klare Machtstrategie: Sie will damit der Labour-Partei das Wasser abgraben. Was ihr jetzt, wo sich die Labour-Partei gerade selbst zerfleischt, leichter denn je fallen sollte.