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„Ich bin einfach da“

Edith Görne hilft sterbenden Menschen. Jahrelang hat sie ehrenamtlich im Radebeuler Hospiz gearbeitet.

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© Norbert Millauer

Von Nina Schirmer

Radebeul. An einer Würdigung in der Zeitung liegt ihr eigentlich gar nichts, stellt Edith Görne gleich zur Begrüßung klar. Und dann auch noch ein Foto – da wäre ihr ja eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt lieber. Die Rentnerin will keine Bewunderung. Dabei ist bewundernswert, was sie tut. Und wie sie es tut.

Frau Görne trägt ein braunes Kleid über dem weißen Pullover. Knielang mit einem schmalen Gürtel in der Taille. Ziemlich modern für eine 77-Jährige. Doch es passt zu ihr. Sie ist aufgeweckt, sogar etwas frech auf eine charmante Art und Weise. Edith Görne redet offen, so wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Auch über ein Thema, über das viele Leute lieber schweigen. Aus Angst oder Unsicherheit. Für Edith Görne ist der Tod etwas ganz Natürliches. Sie hat in ihrem Leben viele Menschen sterben gesehen und sie in ihren letzten Tagen und Stunden begleitet.

1998 kam sie das erste Mal ins Hospiz nach Radebeul. Hier leben Menschen, denen die Ärzte nicht mehr helfen können, die „austherapiert“ sind. Ein schreckliches Wort, findet Edith Görne. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Sterbenden ihre verbleibende Zeit so angenehm wie möglich zu machen.

Dieser Entschluss fiel vor langer Zeit. An einem Tag im Jahr 1963 hatte sie ein Schlüsselerlebnis, erzählt die Dresdnerin. Damals war sie 24 Jahre alt und lag in Leipzig im Krankenhaus. In einem Zimmer mit 30 anderen Patienten. Die Frau neben ihr litt an Leberkrebs. Endstadium. „Sie hat vor Schmerzen geschrien“, sagt Edith Görne. Irgendwann haben die Krankenschwestern die Patientin in ein Einzelzimmer geschoben. Frau Görne ist aufgestanden und hat sich neben die Sterbende gesetzt. Mehr konnte sie nicht tun. Aber dass man so nicht sterben sollte, ist ihr da klargeworden. Von diesem Tag an hat sie sich mit dem Tod beschäftigt, der damals ein absolutes Tabuthema war. „In der DDR wurde nicht gestorben“, sagt die gelernte Schneiderin. Aus dem Westen ließ sie sich Bücher schicken und erfuhr so, dass es professionelle Sterbebegleitung überhaupt gibt.

Die Ausbildung hat sie mit 59 Jahren gemacht, und seitdem sie Rentnerin ist, arbeitet sie ehrenamtlich im Radebeuler Hospiz. Lange Zeit kam sie zwei ganze Tage in der Woche von ihrer Wohnung in Bühlau nach Radebeul. In den letzten drei Jahren hat sie zweimal im Monat gearbeitet. Wenn sie ins Hospiz kommt, geht Edith Görne immer an allen Zimmern vorbei und guckt an die Namensschilder. Gibt es einen neuen Bewohner? Ist jemand gestorben? Dann fragt sie die Schwestern, was anliegt: Nägel schneiden, Essen reichen, Kaffee austeilen.

An manchen Tagen macht sich jemand auf die Reise. So nennen sie in der Einrichtung die letzten Stunden der Patienten. Edith Görne setzt sich dann ans Bett des Sterbenden, wenn er keinen Besuch hat. Manchmal singt sie oder hält die Hand. Die meiste Zeit aber tut sie gar nichts. „Ich bin einfach da“, sagt Edith Görne.

Ihr Glaube hilft ihr bei der Arbeit. „Als Christin habe ich Hoffnung“, sagt sie. Den Tod der Patienten kann sie auch deshalb verkraften, weil er für die Menschen im Hospiz, auch wenn es hart klingt, eine Erlösung bedeute. Edith Görne hat die Patienten nicht gekannt, wie sie vor ihrer Krankheit waren. Das hilft.

Die schlimmsten Momente seien, wenn Eltern am Sterbebett ihrer Kinder stehen. Edith Görne nimmt die Angehörigen dann in den Arm. Von Sprüchen wie „Herzliches Beileid“ hält sie nichts. Doch es geht nicht nur traurig zu im Hospiz, sagt sie. „Wir lachen auch viel oder feiern Fasching.“

Und die Patienten geben ihr ganz viel zurück. Auch deshalb konnte sie nicht von heute auf morgen mit der ehrenamtlichen Arbeit aufhören. Obwohl sie sich eigentlich vor zwei Jahren schon einmal verabschiedet hatte. Nach Weihnachten aber ist wirklich ihr letzter Tag im Hospiz. „Ich möchte gehen, bevor sich alle fragen, wann die Olle endlich aufhört“, sagt Edith Görne.

Und zum Abschluss stellt sie noch einmal klar: „Ich bin nur eine von vielen Ehrenamtlichen im Hospiz und will keine Lobhudelei.“ Doch ihre Kollegen finden, dass eine Anerkennung auf jeden Fall gerechtfertigt ist.