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„Ich bin die ärmste Sau“

Alle Welt kennt GDL-Chef Claus Weselsky. Über den Gegenspieler, Bahnvorstand Ulrich Weber, spricht keiner. Zu Unrecht.

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© dpa

Von Michael Rothe

Er wirkt meist verkniffen, unnahbar, gehetzt. Dabei hat Ulrich Weber ein Büro, von dem andere Manager nur träumen können: im 24. Stock mit Blick auf Berliner Reichstag, Bundeskanzleramt und Alex. Mit ihm tauschen würden aber nur wenige: Der 66-Jährige ist Personalchef bei der Deutschen Bahn (DB) – kein Job mit Vergnügungssteuerpflicht, zumal in Zeiten von Tarifrunden mit der Lokführergewerkschaft. Wie jetzt. Erneut müssen Schlichter ran, weil sich die Wortführer Weber und GDL-Chef Claus Weselsky, das andere Alphamännchen, seit Oktober nicht einigen konnten. Es geht um ein gefordertes Lohnplus von vier Prozent – aber mehr noch um geregelte Arbeitszeit, weniger Überstunden und zwei Ruhetage pro Arbeitswoche. Und es geht um Macht und das Mandat für das gesamte Zugpersonal mit GDL-Ausweis. Bislang eher ein Kampf um Worte denn um Kompromisse, bei dem der Hüne von der Gewerkschaft seinen Gegenüber auch in Sachen Medienpräsenz deutlich überragt.

Weselsky wird Weber wohl wieder die Schau stehlen, wenn Bodo Ramelow (Linke), Ministerpräsident von Thüringen, und Matthias Platzeck (SPD), Ex-Premier von Brandenburg, am 10. März ihren Schlichterspruch kundtun. Der Personalchef kann damit leben. „Ich bin die ärmste Sau“, sagt er – nicht aus Selbstmitleid, sondern im Spaß. Der Mann mit den nach unten gezogenen Mundwinkeln à la Merkel „kann auch locker sein“, sagt Konzernbetriebsrat Jens Schwarz. Er würde auch mal tanzen und sei „bei Feten einer der Letzten“.

Doch zu jeder Tarifrunde mit der GDL hält die Republik den Atem an. Ritualisierter Wahnsinn: Reden, drohen, streiken – beim letzten Mal 420 Stunden! Berufspendler und Urlauber sind machtlos, Politiker hilflos. Ihr Gesetz zur Tarifeinheit und Entmachtung kleiner Gewerkschaften droht gerade vor dem Verfassungsgericht zu scheitern. So erwarten es demnächst nicht nur Juristen in Diensten von GDL und anderen klagenden Berufsorganisationen.

Mit der Bahn wendet ausgerechnet der Auslöser des Streits die Regel, dass nur der Tarifvertrag der mitgliederstärksten Gewerkschaft gelten soll, bis 2020 nicht an. Nachdem der Konzern mit dem GDL-Konkurrenten EVG vor Weihnachten einen Vertrag vereinbart hatte und kein anderes Tarifwerk zulassen will, ist dennoch Druck auf dem Kessel. Ulrich Weber will kein Öl ins Feuer gießen. An der Basis beliebt, in der Zentrale geschätzt und „in Führungskreisen schon fast gefürchtet“, sagt ein Aufsichtsrat. Ohne Weber gäbe es nicht die Befragung unter weltweit 300 000 DB-Mitarbeitern, die im Herbst zum dritten Mal stattfand. Mit jenem Teamplayer habe eine neue Unternehmenskultur Einzug gehalten, heißt es. Auch Ausbildung habe wieder einen höheren Stellenwert. So gibt es ein Einstiegsprogramm für nicht ausbildungsreife Jugendliche, und dort erhielten auch die ersten zehn Flüchtlinge ihre Chance.

2013 wurde ein Onlinetest für bahnaffine Schulabgänger eingeführt, um ihre Stärken zu erkennen. Seitdem sind Zeugnisnoten bei der Einstellung egal. Womöglich erinnerte sich der Krefelder bei der Neuregelung seines Schulfrusts, aus dem er keinen Hehl macht. Auch nicht aus seinen „zwei linken Händen“, die einen Handwerksberuf verhindert hätten. Der Sohn einer Hausfrau und eines Schlossers versuchte sich stattdessen als Sport- und Soziologiestudent und wurde letztlich Jurist. Ein kurviger Weg, den Weber als Zeit des Ausprobierens nicht missen will – selbst den als Panzergrenadier im Emsland. Auch in der Personalführung. „Als junger Kerl habe ich gestandene Väter rumkommandiert“, sagt der Leutnant der Reserve.

Einen solchen Führungsstil bescheinigt ihm heute noch ein Aufsichtsratsmitglied, das nicht genannt werden will. Folge: „Im mittleren Führungskreis sagt kaum noch einer offen seine Meinung.“ Immer mehr Leute hätten innerlich gekündigt. An der Basis kommt der erklärte „Verfechter von Tarifautonomie und Mitbestimmung“ besser an. Er wirbt für Teamgeist, verspricht Neueinstellungen, Bürokratieabbau, Rotationsregeln für Führungskader und bringt eine Erfolgsbeteiligung für alle ins Spiel.

Das hören nicht nur Vertrauensleute gern. Wie neulich in Hamburg. Weber ermuntert die Runde zu Fragen. Demonstrativ zieht er sein Jackett aus, damit seine Gastgeber Zeit gewinnen. Ohnehin passt die hemdsärmelige Art viel besser zu dem kleinen Mann mit den wachen Augen hinter der Hornbrille. Selbstdarstellung liegt ihm nicht. Er ist geerdet. Weber lechzt nach Infos von der Basis. Er braucht sie, damit DB 2020 mehr ist als ein Code: eine Strategie. In seinem Beritt stehen drei „D“ im Raum: Demografie, Digitalisierung, Diversity – also Antidiskriminierung bei den Reizthemen alt/jung, Frauenquote, Flüchtlinge. Gut, wenn sich da zur Weitsicht aus dem Büro auch Nahaufnahmen gesellen: mit Lehrlingen hier und Betriebsräten da. Schließlich will die Bahn nicht nur profitabler Marktführer und Umweltvorreiter sein, sondern auch unter den Top 10 der Arbeitgeber in Deutschland. Da gibt es für Weber & Co noch viel zu tun. 2015 stürzte der Konzern im Ranking des Forschungsinstituts Trendence vom 13. auf den 24. Platz.

Zu allem Überfluss ist der Konflikt mit der GDL nicht Webers einzige Akut-Baustelle. Auch die Verständigung zur Sanierung der Güterbahn DB Cargo ist gescheitert. Betriebsräte und EVG-Gewerkschaft sehen „jegliche vertrauensvolle Basis zerstört“. Vom „zahlengetriebenen Arbeitsplatzabbau, ohne ein für uns erkennbares Konzept“ ist die Rede und vom „Sargnagel für den Schienengüterverkehr“. Der Konzern hatte die Schließung von gut 100 kleineren Güterbahnhöfen und den Abbau von bis zu 3 000 der 18 000 Jobs angekündigt.

Weber hat bei seinen Vor-Ort-Visiten kein Problem, einzuräumen, dass er konkrete Unzulänglichkeiten nicht kennt. „Das nehme ich mit und werde es ansprechen“, verspricht er. Der Personalchef gilt als verbindlich und verlässlich. Auch in Hamburg kleben die Zuhörer an seinen Lippen. Gut, dass mal einer von oben vorbeischaut! Weber redet ruhig, sachlich, manchmal verleiht eine Geste den Worten Nachdruck. Er spricht gern lang, ist aber nicht langweilig. In der kleinen Runde geht’s zur Sache. Keine einstudierten Interviews wie zuvor mit 500 Jungazubis in einem Kino. Eine Mitarbeiterin, seit 40 Jahren bei der Bahn, kritisiert, dass Infrastruktur und Waggons vernachlässigt würden. Weber hört’s – aber auch ihre Identifikation: „Ich sorge mich um meine Bahn.“

Ihre Bahn ist seit 2009 auch seine Bahn. Der Mann vom Niederrhein kam nach Führungsposten bei Cubis, RWE Rheinbraun sowie Ruhrkohle und deren Nachfolger Evonik Industries in schwieriger Zeit zum Staatskonzern: kurz nach Wirtschafts- und Finanzkrise, abgesagtem Börsengang, Datenaffäre und Sparkurs. Es konnte nur aufwärts gehen. „Es war alles easy – bis 2012, unserem wirtschaftlich besten Jahr“, blickt er zurück. Seitdem gibts Probleme: im Fernverkehr mit der Pünktlichkeit und bei ICE mit kaputten Toiletten und Klimaanlagen. Nahverkehrstochter DB-Regio verliert eine Strecke nach der anderen an billigere Konkurrenz. Der Güterverkehr fährt immer tiefer in rote Zahlen, der Konzernumbau macht zu schaffen. „Es geht mir ja auch auf den Keks“, sagt Weber. „Sobald einer weiß, dass du bei der Bahn bist, hat er was zu erzählen.“ So habe er schon aus egoistischen Gründen ein Interesse, dass das aufhört. Aufhören? Vor Weihnachten hatte der Aufsichtsrat seinen Vertrag bis 2018 verlängert und ihm mit Recht und Datenschutz weitere Jobs übertragen. Man setze „auf Kontinuität, Kompetenz und Verlässlichkeit.“ Nach dem überraschenden Rücktritt von Bahnchef Rüdiger Grube ist Weber die einzige Konstante im Vorstand. Der Dienstälteste wird weiter pendeln zwischen Berlin und Krefeld. Es braucht noch Zeit für mehr Zeit für seine Frau, die zwei Kinder und drei Enkel. „Teilzeitvorstand wäre nicht schlecht“, sagt er. Und lacht.