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„Ich bin der geilste Typ der Welt“

Wie aus schlimmen Erfahrungen eine Heldengeschichte wird – das schreibt Sebastian Herrmann in seinem Rad-Ratgeber.

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© privat

Radfahren kann fast jeder. Trotzdem haben Sie eine Gebrauchsanweisung dafür geschrieben. Warum?

Ich versuche, alle Aspekte des Fahrradfahrens in hoffentlich schön konsumierbarer Form darzustellen. Und ich versuche, das zu einer Hymne auf die schönste Fortbewegungsmöglichkeit zusammenzuführen.

Was macht für Sie den Reiz des alltäglichen Radfahrens aus?

Der besteht für mich darin, dass ich aus eigener Kraft überall hinkomme. Es befreit mich aus der erzwungenen Passivität, die S-Bahn oder den Bus zu nehmen; aus dem Stress, im Auto im Stau zu stehen und zu hoffen, dass ich es noch rechtzeitig an mein Ziel schaffe. Stattdessen kann ich meine Umwelt sehen, riechen und hören und zufrieden ankommen.

Sie fahren im Jahr rund 10 000 Kilometer. Wie kommen Sie auf diese Distanz?

Meine Frau kommt aus Freiburg, da sind wir recht häufig. Vor ein paar Wochen bin ich die Strecke zum ersten Mal am Stück gefahren – mit 326 Kilometern war es die kürzeste Strecke, die ich bei unseren Fahrten dahin je gebraucht habe. Mit dem Auto sind es gut 350, 400 Kilometer. Außerdem mache ich mit Freunden öfter mal eine längere Tour – vor allem am Wochenende.

Was war für Sie der schönste Augenblick beim Radfahren – und welcher der schlimmste Moment?

Häufig bringen die schlimmsten Erfahrungen die großartigsten Erinnerungen mit sich. Mit einem Freund habe ich mal eine Alpenüberquerung gemacht. Schon am Anfang hat es in Strömen gegossen, und es hörte nicht auf. Irgendwann ging es in Schnee über, dann war auch noch meine Bremse kaputt. Aber am Abend, bei einem Bier, wird es dann zu einer Heldengeschichte, bei der man sich selbst sagt: Ich bin der geilste Typ der Welt. Oder beim Ötztal-Marathon – nach vier langen Pässen bin ich vollkommen fertig am Timmelsjoch angekommen und musste fast heulen. Das war nur eine Spur weniger emotional als die Geburt meiner Kinder. Dann hat sich direkt vor mir einer über den Lenker übergeben, da war ich schnell wieder auf dem Boden der Tatsachen.

Trainieren Sie für diese Radmarathons?

Ich wohne am westlichen Stadtrand von München, die Redaktion liegt im Osten. Die 23 Kilometer – eine Strecke – fahre ich bei Wind und Wetter. Auch im Winter. Es sei denn, es liegt so viel Schnee, dass ich für den Weg einfach zu lange brauchen würde. Schon als Kind bin ich immer Rad gefahren. Komischerweise aber nie als Sport. Stattdessen bin ich joggen gegangen, habe mir mein Knie versaut. Bis mich ein Freund gefragt hat, ob ich mir nicht mal ein Mountainbike besorgen möchte. Vor unserer ersten Tour habe ich verhängnisvollerweise verkündet, mir konditionell keine Sorgen zu machen. Dann setzte aber eine dermaßen heftige Erschöpfung ein, die ich bis dahin nicht kannte. Die ist immer mal wieder aufgetreten – da passt der Begriff des Mannes mit dem Hammer sehr gut.

Wie bewerten Sie den derzeitigen Aufschwung im Profi-Radsport?

Mich hat es als Zuschauer nie so richtig interessiert. Da ist zwar einer schneller als die anderen, na und? Ich glaube auch keinem Profisportler – egal in welcher Disziplin –, dass er nicht dopt. Ich glaube das keinem Fußballer, keinem Radsportler und auch keinem Leichtathleten. Aber komischerweise habe ich trotzdem ein Radsportfaible entwickelt.

Warum?

Ich bin 2016 bei Paris-Roubaix und in diesem Jahr bei der Flandern-Rundfahrt bei den Jedermannrennen an den Start gegangen. Beide Male war einer dabei, der selber 20, 25 Jahre Rennen gefahren ist. Mit denen habe ich mir dann am Tag nach unserer Tour die Profirennen angeschaut. Die Experten haben mir erklärt, warum dort wer was macht. Da wird einem erst klar, dass es eben nicht nur darum geht, dass am Ende einer schneller ist, sondern dass da ganz viel Taktik im Spiel ist. Das war mir vorher nicht so klar. Ich habe es daher jetzt auch mehr mit den Eintagesklassikern. Dort hauen die Fahrer an einem Tag alles raus was sie haben und fertig.

Das Interview führte Cornelius de Haas.

Sebastian Herrmann, „Gebrauchsanweisung fürs Fahrradfahren“, Piper Taschenbuch, 224 Seiten, 15 Euro.