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Hotel Rätze war mal ein Hightech-Haus

Das Hotel wurde in Rekordzeit gebaut und hatte schon eine eigene Stromversorgung. Für eine Ausstellung werden Bilder und Geschichten gesucht.

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© André Braun

Von Jens Hoyer

Döbeln. Die Geschwindigkeit, die man vor 120 Jahren vorlegte, war für heutige Verhältnisse atemberaubend. Am 25. Juli 1896 teilte der Gastronom Robert Rätze dem Stadtrat Döbeln seine Pläne zum Bau eines Hotels mit und fragte wegen einer Schankgenehmigung nach. Schon fünf Tage später bekam er eine Zusage. Ein reichliches Jahr später eröffnete er das Hotel Rätze an der Stelle, wo die Bahnhofstraße auf den Wettinplatz trifft. Der große Eckbau bekam eine pompöse Stuckfassade. Das Ecktürmchen und die Verzierungen über den Dachgauben hat das Gebäude längst eingebüßt. Aber die restaurierte Fassade zeigt immer noch viel von der Präsentationslust, die man in der sogenannten Gründerzeit hatte.

Heute nennt sich das ehemalige Hotel „Haus der Demokratie“, aber seine Geschichte ist nicht vergessen. Im Gegenteil. Der Verein Treibhaus, der seit 2001 in dem Haus Jugend- und Migrantenarbeit betreibt und Kleinkunst im Café Courage organisiert, will zum 120. Jahrestag die Geschichte des Hotels aufarbeiten.

Das denkwürdige Datum fällt zusammen mit dem 20-jährigen Bestehen des soziokulturellen Vereins. Am 2. September wird es eine „Geburtstagsfeier“ geben. Und eine Ausstellung zur Geschichte des Hauses, sagte Sophie Spitzner, Mitarbeiterin des Vereins. Zusammen mit Stephan Conrad leitet sie das Projekt, in dem junge Leute gemeinsam zur Geschichte forschen. Die Voraussetzungen sind nicht schlecht: Über das Hotel Rätze gibt eine ganze Reihe von Unterlagen im Rathaus.

Gasmotor im Keller

Robert Rätze, der aus Mischwitz bei Meißen stammt, hatte seinerzeit schon ein Restaurant im Haus Bahnhofstraße 51 in Pacht, aber keine Option bekommen, die Pacht zu verlängern. Also sollte ein eigenes Hotel samt Restaurant her. Bis heute liegen die Bauunterlagen im Bauarchiv der Stadt. Grundrisse und ein Entwurf der Fassade. Der Bau war auf dem neuesten Stand. Hightech würde man heute sagen. Im Keller des Hotels stand ein Gasmotor und ein Generator, die den Strom für die 63 Elektrolampen im Haus erzeugten. Das Döbelner Elektrizitätswerk wurde erst 1905 in Betrieb genommen. Neben den Gästezimmern gab es im Haus auch mehrere Wohnungen.

Rätze, der bei der Eröffnung 30 Jahre alt war, hatte nicht viel von seinem Hotel. Schon ein reichliches Jahr später wurde es von einem Ferdinand Hamel betrieben, 1900 verkaufte Rätze das Haus. „Es ist nicht ersichtlich, warum er das getan hat“, sagte Sophie Spitzner. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte wechselten es immer wieder die Besitzer und wurden es Umbauten vorgenommen. Besonders nobel scheint das Hotel nicht immer gewesen zu sein. Es gebe Hinweise, dass illegales Glücksspiel in den Räumen betrieben wurde. „Wir wollen spannende Geschichten finden. Wer war hier? Was wurde umgebaut?“, sagte Sophie Spitzner. Die Akten geben darüber nur ungenügend Auskunft. Deshalb plant der Verein Treibhaus für 7. Mai ein Zeitzeugengespräch bei Kaffee und Kuchen, zu dem alle eingeladen sind, die etwas zum Hotel Rätze erzählen können und die Unterlagen und Fotos haben. Vor allem Fotos der Innenräume fehlen gänzlich, so Spitzner.

Ende 1972 wurde das Hotel Rätze geschlossen. Nach einigen Jahren Leerstand zog der Rat des Kreises mit dem Amt für Landwirtschaft ein. Nach der Wende waren verschiedene Ämter der Stadtverwaltung in den Räumen untergebracht, eine Versicherung, sogar ein Getränkehandel. Der Verein Treibhaus zog 2001 ins Erdgeschoss und richtete das Café Courage ein. Vor zehn Jahren übernahm der Verein Haus der Demokratie das Gebäude. Seitdem wurde mit Unterstützung des Stadt eine Menge Geld in die Sanierung gesteckt.

Zeitzeugengespräch zum Hotel Rätze am Sonntag, 7. Mai, von 15 bis 18 Uhr im Café Courage. Kontakt zur Arbeitsgruppe unter Tel. 03431 6052973 und per E-Mail unter [email protected].