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Hoffnung am Görlitzer Lutherplatz

Ob die Trinkerei mit der Schließung des Kiosks ein Ende hat – die einen wünschen es sich, andere fürchten es.

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© nikolaischmidt.de

Von Daniela Pfeiffer

Görlitz. Viel los ist nicht auf die letzten Tage. Aber ein paar Leute kommen dann doch vorbei am Kiosk Ecke Lutherplatz. Der eine oder andere Stammkunde ist auch dabei. Noch mal ein Bierchen holen, bevor hier endgültig das Licht ausgeht. Das ist spätestens Mitte Januar der Fall, denn die Awo hat dem jetzigen Pächter gekündigt und möchte die Übergabe bis 15. Januar.

Dagegen können Anwohner wie Michael Kalipäus (kleines Bild, rechts) zumindest hoffen, dass auf dem Lutherplatz nun weniger Alkohol getrunken wird. Zusammen mit Michael Schlegel (kl. Foto, links) hatte er im Sommer 2016 Hunderte Unterschriften für ein Alko
Dagegen können Anwohner wie Michael Kalipäus (kleines Bild, rechts) zumindest hoffen, dass auf dem Lutherplatz nun weniger Alkohol getrunken wird. Zusammen mit Michael Schlegel (kl. Foto, links) hatte er im Sommer 2016 Hunderte Unterschriften für ein Alko © Pawel Sosnowski/80studio.net

Für die Trinker, die sich vor allem im Sommer so gern am Lutherplatz versammelten und wegen denen es immer wieder Ärger gegeben hatte, ist das mit Sicherheit eine schlechte Nachricht. Zwar ist der nächste Supermarkt so weit auch nicht, aber längst nicht so herrlich nah wie der Kiosk. Lutherplatz-Anwohner Michael Kalipäus freut sich, dass der Kiosk schließt. Er war im Sommer 2016 einer der Initiatoren einer groß angelegten Unterschriftensammlung für ein Alkoholverbot am Lutherplatz. 500 Anwohner und andere Unterstützer trugen sich in die Listen ein, das Rathaus begrüßte das Engagement zwar, lehnte ein Alkoholverbot hier aber ab. Die Probleme auf dem Lutherplatz – Pöbeleien, nächtliche Ruhestörungen, Verunreinigungen – seien auch anders zu lösen.

Michael Kalipäus hat daran so seine Zweifel. „Ich begrüße sehr, dass der Kiosk schließt“, sagt er. „Aber ich denke, es wird sich nichts ändern, weil Trinker trotzdem weiter auf den Lutherplatz kommen und alles mitbringen werden. Viele haben das sowieso schon gemacht.“ Michael Kalipäus findet, dass hier alles von Jahr zu Jahr schlimmer wird, er werde wegziehen, sobald er eine andere Wohnung findet. „Das Schlimmste sind die Kinder, die alles von ihren Eltern mit erleben müssen.“

Die Awo selbst, die als Betreiber des Pflegeheimes Krölstraße direkter Anlieger des Lutherplatzes ist, hofft, dass sich durch ihre Kündigungsmaßnahme nun doch die Lage deutlich verbessert. Geschäftsführer Dirk Reinke: „Das gesamte Umfeld und die Entwicklung am Lutherplatz schadet dem Image des Zentralhospitals. Bewohner und Angehörige können nicht mehr ungestört in der Umgebung spazieren gehen, Mitarbeiter werden abends belästigt und bedrängt, die Geräusche stören die Nachtruhe der Bewohner.“ Und eben diese Gründe hatten die Awo zur Kündigung des Pachtvertrages veranlasst. „Ob sich das Trinkerproblem dadurch lösen lässt, können wir nicht beurteilen. Es ist ebenso möglich, dass sich das Problem an einen anderen Platz verlagert“, sagt Reinke. „Der Kiosk als Objekt wird keine Rolle mehr spielen.“

Es gibt Menschen, die das sehr bedauern. Anika Arlt vom Team der mobilen Suppenküche der Stadtmission gehört dazu. Jeden Mittwochabend steuert das Mobil verschiedene Plätze in der Stadt an, auch den Lutherplatz. „Dort begegnen wir Menschen, die sich untereinander kennen, voneinander wissen, aufeinander achten“, sagt sie. „Der Kiosk am Lutherplatz ist aus unserer Sicht auch Informationspunkt, Treffpunkt und auch Einkaufsmöglichkeit, falls einem die Milch zu Hause ausgegangen ist. Wir empfinden es als sehr bedauerlich, dass er geschlossen wird.“

Ja, am Lutherplatz treffen sich auch Menschen und trinken Alkohol, räumt Anika Arlt ein. Manche seien frustriert über ihr Leben, manche überfordert, manche gescheitert. „Wollen wir in unserer Gesellschaft Probleme lösen, indem wir sagen: Aus den Augen, aus dem Sinn?“ Das Problem werde dadurch nicht gelöst, sondern nur verschoben, glaubt Anika Arlt. „Wer von uns will denn behaupten können, dass er nicht auch einmal in die Situation kommen könnte, dass das Leben aus der Bahn gerät? Ich würde mir wünschen, dass wir als Gesellschaft zusammenhalten.“ Das schlimmste, was nach der Schließung des Kiosks passieren kann, sei, dass dann jeder für sich zu Hause trinkt. Dann könne auch das Team von der Suppenküche die Menschen nicht mehr erreichen.

Aber der Lutherplatz soll mit der Schließung des Kiosks nicht aus dem Fokus jeglicher Aufmerksamkeit sein. Immerhin hat die Stadt hier wie auch in der gesamten Innenstadt West Großes vor. Das ist auch ein Grund, warum die Stadt hier kein Alkoholverbot wollte. „Das Verbot wäre hier nicht die Lösung, sondern eine Einschränkung für die Bürger“, sagte Rathaussprecher Wulf Stibenz vor einiger Zeit. Stattdessen sollen Vereine und Stadt es gemeinsam richten – alle seien verantwortlich. Langfristige Angebote, die die Stadt mithilfe von Vereinen und 1,3 Millionen Euro Fördermitteln aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) umsetzen möchte, sollen die Aufwertung vorantreiben. Bis 2020 läuft die Projektzeit, die ersten von insgesamt 13 Vorhaben sind angelaufen. Eines heißt „Kinder machen den Stadtteil bunt“. Es wird vom Kinderkulturcafé Camaleon geleitet, das selbst am Lutherplatz ansässig ist. Die Hoffnung, gerade für junge Familien ein schöneres Lebensumfeld schaffen zu können, ist groß.