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Hochwasserschutz sorgt für Ärger

Wesenitz-Anrainer in Neukirch haben Angst vor Überflutungen. Erst recht, seitdem am und im Fluss vor ihrer Haustür gebaut wurde.

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© Steffen Unger

Von Ingolf Reinsch

So etwas brauchen Frank Mittrach und seine Familie nicht noch mal. Beim Wesenitz-Hochwasser vor fünf Jahren stand bei ihnen das Wasser 80 Zentimeter hoch im Haus. Möbel, Teppiche, Elektrogeräte – alles futsch. Rund 30 000 Euro habe der Schaden betragen, sagt der Neukircher.

© SZ-Grafik: Sylvia Tietze

Sein Haus steht rund 20 Meter vom Ufer entfernt. Wenn jetzt Gewitter und Starkregen angekündigt sind, läuten bei Frank Mittrach und seinen Nachbarn die Alarmglocken. Kürzlich sei der Fluss bei einem Regen innerhalb einer knappen Stunde bedrohlich angestiegen, sagt er. Einige Tage später, bei unserem Besuch, plätschert die Wesenitz wieder friedlich vor sich hin. Nur das niedergedrückte Gras neben dem Flussbett zeigt noch, in welcher Breite sich die Wesenitz ausgedehnt hat.

Deutlich höherer Wasserstand

Die Landestalsperrenverwaltung (LTV) – zuständig für die Wesenitz – ließ in diesem Teil des Neukircher Niederdorfes 2010 für einen besseren Hochwasserschutz bauen. Mitten in der Bauzeit kam das Hochwasser. Über 50 Jahre lebe er in diesem Haus am Fluss, sagt Frank Mittrach. Nie gab es zuvor Überflutungen im Gebäude. Bis 2010. Dabei dürfte es Zufall gewesen sein, dass das Baugeschehen und extreme Niederschläge im August jenen Jahres zeitlich zusammenfielen. Normalerweise beträgt der mittlere Abflusswert der Wesenitz 320 Liter in der Sekunde. An 23 Tagen im Sommer 2010 lag dieser Wert über 800 Liter pro Sekunde, betrug also mehr als das Zweieinhalbfache des Normalen. Der Wasserstand sei deshalb deutlich höher als in anderen Jahren gewesen; die Böden waren gesättigt und konnten kein Wasser mehr aufnehmen, argumentiert die LTV. Vom Hochwasser betroffenen Neukirchern bleibt nichts anderes übrig, als das zur Kenntnis zu nehmen. Aber sie sind seitdem sensibilisiert und skeptisch.

Im Zusammenhang mit den Instandsetzungsarbeiten im Jahr 2010 erheben Frank Mittrach, Walter-Jürgen Pietsch und andere Einwohner schwere Vorwürfe gegen die LTV. Sie beobachteten, wie zwar die Flutrinne tiefer gesetzt, aber gleichzeitig das Flussbett schmaler gemacht wurde, um die Fließgeschwindigkeit zu erhöhen. Beide Randbereiche wurden mit Steinen und Schotter aufgefüllt. Frank Mittrach: „Sicher ist durch den Ausbau der Wesenitz die Fließgeschwindigkeit bei normalem Wasserstand gestiegen. Bei Hochwasser kann aber der Fluss wesentlich weniger Wasser aufnehmen.“ Hinzu kommt: Dort, wo Steine und Schotter liegen, lagern sich Sand und anderes angeschlemmtes Material ab. Der ideale Nährboden für Gras, Brennnesseln und Wildkräuter, die bis zu einem Meter hoch stehen und dem Fluss zusätzlich Raum nehmen. Sollte man sich nicht viel mehr Gedanken darüber machen, das Volumen des Flusses zu erhöhen und an bestimmten Stellen auszuweiten, anstatt den Fluss einzuengen?, fragen Frank Mittrach und Walter-Jürgen Pietsch. Nach ihrer Beobachtung wurde bei den Bauarbeiten 2010 wesentlich mehr Material im Flussbett verbaut als ausgebaggert wurde.

Fluss wurde nicht verengt

Dem widerspricht die Landestalsperrenverwaltung. „Eine bautechnische Verengung des Fließquerschnitts hat nicht stattgefunden. In den Gewässerabschnitten erfolgte eine Instandsetzung. Dabei wurden Abflusshindernisse, wie Bäume und Anlandungen, beseitigt, alte Wehranlagen zurückgebaut und eine Niedrigwasserrinne angelegt“, teilte Romi Reichow vom Betrieb Spree/Neiße der LTV auf Anfrage mit. Ihren Angaben zufolge seien circa 27 000 Kubikmeter Material dem Fluss entnommen, aber nur rund 2 000 Kubikmeter neu eingebaut worden. „Das Abflussprofil wurde hydraulisch optimiert, nicht eingeengt. Nach Abschluss der Instandsetzungsarbeiten kann die Wesenitz wesentlich mehr Wasser aufnehmen als vorher“, so Romi Reichow. – Zurzeit lässt die LTV im Neukircher Oberdorf und in Ringenhain bauen. Walter-Jürgen Pietsch und Frank Mittrach sehen, dass dort vieles anders, aus ihrer Sicht besser gemacht wird, indem Ufermauern beseitigt und der Fluss durch Böschungen verbreitert wird und folglich mehr Wasser aufnehmen kann. „Wenn im Oberdorf der Hochwasserschutz funktioniert und wir hier unten das Nadelöhr sind, haben wir künftig noch größere Probleme“, befürchtet Walter-Jürgen Pietsch. Probleme, die sich möglicherweise auch flussabwärts auf Putzkau oder Bischofswerda auswirken könnten. – Diese Gefahren sieht die Landestalsperrenverwaltung nicht. Romi Reichow: „Es erfolgte keine Schlechterstellung, da bewusst mit den Sanierungsmaßnahmen im Neukircher Niederdorf begonnen wurde und die Baumaßnahmen entlang der Wesenitz hydraulisch aufeinander abgestimmt sind.“

Trotzdem bleibt die Angst vor dem nächsten Stark- oder Dauerregen bei den Wesenitz-Anrainern im Neukircher Niederdorf. Am liebsten wäre es ihnen, die LTV würde die Baumaßnahmen von 2010 rückgängig machen und der Wesenitz ihr Flussbett in der früheren Breite wiedergeben. Die Minimalforderung sei, dass einmal im Jahr das Gras im Fluss gemäht und wenigstens aller zwei Jahre die Ablagerungen auf dem Schotter beseitigt werden, sagt Frank Mittrach. Laut LTV werde einmal im Jahr am Ufer gemäht, und größere Anlandungen werden beseitigt, „wenn sie den Abfluss behindern“. Doch nicht alle Ablagerungen dürfen beseitigt werden. „Sedimente sind auch Grundlage für das Wachstum von Wasserpflanzen und Laichhabitat für die Fischbestände in der Wesenitz, darunter geschützte Arten“, sagt Romi Reichow.

Für Frank Mittrach, der am Fluss wohnt, stellt sich die Frage allerdings anders: „Die Wesenitz wurde saniert. Zum Wohl der Tiere oder zum Verderb der Menschen?“