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Historiker forscht zu Eisenbahn-Unglück

Mehrere Kinder wurden vor 52 Jahren bei einem Unfall in Kesselsdorf verletzt. Buchautoren suchen jetzt Zeugen.

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© Rainer Heinrich

Von Christoph Pengel

Freital. Auf das Krachen folgt Stille. Nur ein paar Sekunden lang. Dann lädt sich die Luft mit Panik auf, Wimmern und Geschrei machen sich breit. Am unbeschrankten Bahnübergang Kesselsdorf hat sich ein Omnibus in die Flanke einer Schmalspurbahn-Lok gegraben. An Bord des Busses: 49 Menschen, darunter eine Gruppe von Kindern aus dem erzgebirgischen Marienberg. Der Lokführer springt vom Zug und rennt weg. Sein Kollege, der Heizer der Lok, bleibt. Er und ein Traktorfahrer versuchen, Erste Hilfe zu leisten. Dennoch sterben zwei Menschen, etliche verletzen sich teils schwer. Ein Junge verliert an diesem Tag seinen Daumen.

Diese Meldung erschien am 15.Juli 1965 in der Tageszeitung.
Diese Meldung erschien am 15.Juli 1965 in der Tageszeitung. © Archiv

So erzählt Alexander Wansky von dem Unfall in Kesselsdorf, der sich vor 52 Jahren ereignete. Dabei beruft er sich auf Erinnerungen seines verstorbenen Vaters Christian Wansky. Der arbeitete an diesem Tag, dem 13. Juli 1965, als Heizer auf der Lok. Er war regelmäßig auf der Strecke unterwegs. „Der Unfall hat ihn noch lange beschäftigt.“

Für den Museologen Peter Wunderwald ist Christian Wansky eine wichtige Quelle. Wunderwald will ein Buch über Unfälle mit Schmalspurbahnen schreiben. Es wird nicht sein erstes Werk auf dem Gebiet der Verkehrsgeschichte. „Auf schmaler Spur unterwegs in der DDR“ lautet einer der älteren Titel, etliche weitere folgten. Nun sammelt er Bilder und Hinweise zu Unfällen im ehemaligen Schmalspurbahnnetz Sachsens. Was schwierig ist, weil der Unfall wohl nicht in das Weltbild der DDR-Führung passte. Wunderwald erzählt, dass ein Zeuge, der ein Foto von den zerstörten Fahrzeugen gemacht hatte, von Beamten vor Ort gezwungen worden sei, die Filmrolle herzugeben.

Mit einigen Anwohnern in Kesselsdorf, die das Unglück erlebten, konnte Wunderwald schon reden. Aber er sucht weitere Zeugen. Seine Vermutung: Einige der Kinder, die im Bus saßen, könnten heute noch im Raum Marienberg leben. Deshalb haben sich Wansky und Wunderwald an die Presse gewandt – in der Hoffnung, dass sich Leser bei ihnen melden. Noch sind viele Fragen offen: Wie konnte es zum Zusammenstoß kommen? Wie wurden die Verletzten geborgen? Wanskys Vater erinnerte sich, dass die Marienberger Kinder von einem Ferienspiele-Ausflug in Dresden zurückkamen. Der Busfahrer wurde offenbar von der tief stehenden Sonne geblendet, während der Lokführer den Bus schon von Weitem sehen konnte. Er ließ Sand auf die Schienen laufen, um die Bremswirkung zu erhöhen, gab Pfeif- und Läutesignale. Geräusche, die in der Regel kilometerweit zu hören sind. Doch offenbar nicht für den Busfahrer, der vermutlich einen Büssing lenkte. Bei diesen Modellen war der Motor neben dem Fahrersitz eingebaut. Andere Geräusche kamen gegen das Brummen des Motors kaum an. Obwohl Schmalspurbahnen höchstens 30 Kilometer in der Stunde fuhren, konnte der Lokführer nicht mehr stoppen. Der Bus quetschte sich beim Aufprall gegen die 40 Tonnen schwere Lok zusammen. Der Lokführer lief dann einfach weg, sagt Wansky: „Er stand wahrscheinlich unter Schock.“

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Laut der von der DDR-Nachrichtenagentur ADN verbreiteten Meldung konnten bis auf drei schwer verletzte Kinder alle nach ambulanter Behandlung aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Der Junge, der seinen Daumen verlor, soll später eine überraschende Berufswahl getroffen haben: Nach Informationen von Wansky und Wunderwald arbeitet er heute als Busfahrer.

Aufruf: Die Autoren des Buches über Unfälle mit Schmalspurbahnen suchen noch weitere Zeugen des Unfalls vom 13. Juli 1965. Wer saß mit im Bus oder hat bei der Bergung der Verletzten geholfen? Kontakt: Peter Wunderwald, Rufnummer 035242 47711.