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Hier ist die Heimat

Zwei Männer, zwei Leben, ihr Deutschland. Sie kamen als Vertragsarbeiter und trotzen bis heute vielen Anfeindungen.

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© Stefan Becker

Von Stefan Becker

Aus der Traum. Auto-Mechaniker wollte er lernen in der DDR. Als fitter Schrauber heimkehren nach Mosambik, später mal eine Werkstatt eröffnen und sich im Sinne des Sozialismus um Kupplungen und Zylinderkopfdichtungen kümmern.

Natürlich kam alles völlig anders, als Emiliano Chaimite im November 1986 mit einem Interflug-Flieger voller Landsleute in Berlin Schönefeld landete, doch eines begleitet den kräftigen Mann bis heute: das Kümmern. Beim Zwischen-Stopp in Paris durfte er erst mal seinen Pass abgeben und einen Vertrag unterzeichnen, schließlich sah er seiner sonnigen Zukunft als Vertragsarbeiter entgegen. „In der Euphorie hätten wir alles unterschrieben“, erinnert sich Chaimite an die schicksalshafte Signatur, dank derer er in einer Gießerei landete.

Von Leben, Liebe und Leid der sogenannten „Madgermanes“ wird er am Donnerstagabend gemeinsam mit Morgado-Vasco Muxlhanga in der Dreikönigskirche erzählen. Die Veranstaltung bildet das Ende der Internationalen Woche gegen Rassismus. Auch von Anfeindungen ihnen gegenüber können die beiden berichten, deren Geschichte untrennbar mit der Wiedervereinigung zweier völlig verschiedener deutscher Staaten verbunden ist.

Gegenwärtig sei der Rassismus offener und direkter, sagt Muxlhanga, der seit 25 Jahren als IT-Spezialist in der Stadtverwaltung arbeitet und mit seiner Familie in Moritzburg lebt. Er habe erlebt, dass er im Bus und in der Bahn unvermittelt beschimpft worden sei und meide mittlerweile öffentliche Verkehrsmittel.

Und früher, zu DDR-Zeiten? Muxlhanga tischt die düstere Anekdote von der Gaststätte auf: Nach der Arbeit im Schlachthof habe er mit zwei Kommilitonen schnell etwas essen wollen, um nicht mit knurrendem Magen in den anschließenden Vorlesungen zu sitzen. Das Trio reihte sich brav in die Schlange ein und wartete auf die Ansage der Kellnerin. Die übersah die Männer geflissentlich und rief zwei Plätze aus. Beim nächsten Auftritt hatte sie dann nur einen Platz im Angebot. Das Schauspiel habe sich so lange wiederholt, bis nur noch die drei Gäste aus Mosambik vor der Tür standen.

„Unsere Pause war fast vorüber, und wir hatten wirklich Hunger, da haben wir uns bei der Dame höflich beschwert, und prompt erhielten wir Einlass“, erzählt Muxlhanga. Doch kaum saß das Trio am Tisch, da kam schon der Kellner angerannt und knallte drei Humpen Bier auf die Platte. „Wir wollten kein Bier trinken, bloß eine Kleinigkeit essen“, sagt der Mann mit dem deutschen Pass und lächelt.

„Oh ja, Dresden war schon damals extrem“, sagt Chaimite. Während sich die Vertragsarbeiter fast auf Schritt und Tritt der „sozialistischen Bruderhilfe“ erfreuten und so gut wie gar nichts ohne Aufsicht machen durften, genossen die Gast-Genossen zum Beispiel in Magdeburg zumindest außerhalb des Wohnheims so ziemlich alle gewährten Freiheiten des Arbeiter- und Bauern-Staates.

Als sich Muxlhanga 1980 als 19-Jähriger für die Reise in die DDR entschied, herrschte bereits Bürgerkrieg in Mosambik. Seine Familie wollte ihn in Sicherheit wissen, und die Aussicht auf eine versprochene Ausbildung reizte doppelt, die Heimat für die Dauer von vier Jahren zu verlassen. Bis dahin wäre der Krieg gewiss beendet, und die Fleischfabrik in Maputo würde sich bestimmt über jeden qualifizierten Facharbeiter freuen. Den ersten Dämpfer erhielt die Hoffnung gleich zur Begrüßung bei der Ankunft in Schönefeld am 4. November morgens um 4 Uhr – Schnee und Frost.

Dann die real existierende Arbeitswelt: Schweinehälftenschieber statt Lehrling wie vereinbart. Die jungen Männer aus Mosambik riskierten einen Streik für ihre Rechte und konnten fortan lernen, später auch studieren. Desillusioniert kehrte der Heimkehrer wieder zurück nach Dresden, denn die Fabrik lag in Trümmern, und das Land befand sich weiter im Krieg.

Und zur Krönung dann die Wiedervereinigung: Die neue Bundesrepublik wollte sich der Gastarbeiter aus Afrika und Asien mit einer Kopfgeld-Prämie von 3 000 D-Mark für immer entledigen. Viele nahmen das Angebot an, andere aber kümmerten sich um eine Zukunft in der neuen Heimat, wie Muxlhanga und Chaimite.

Ohne Status standen sie da, eigentlich hatten sie keine Chance, doch genau die nutzten sie. Vor wenigen Wochen erhielten beide ihre Gratifikationen zum 25-jährigen Berufsjubiläum, Krankenpfleger Emiliano Chaimite vom Klinikum Dresden und EDV-Fachmann Morgado-Vasco Muxlhanga von der Stadt Dresden.

Familienmensch Muxlhanga schrieb bisher zwei Bücher über sein Leben in Deutschland. Vereinsmensch Chaimite bekam vor wenigen Tagen die Zusage, dass sich der Afropa e.V. ab Juni professionell um die Betreuung von Flüchtlingen im Gebiet rund um die Neustadt kümmern soll. Das freut den Kümmerer ganz besonders, schließlich liegt es ihm am Herzen, dass aus jedem Flüchtling etwas wird, durch Eigeninitiative und mit der nötigen Hilfe.

Im kleinen Festsaal der Dreikönigskirche in der Hauptstraße 23 lädt der Ausländerrat Dresden e. V. heute um 19 Uhr zur Veranstaltung „Madgermanes - Ausbeutung unter deutscher Flagge?“ Das Grußwort spricht Oberbürgermeister Dirk Hilbert. Als weiterer Gast der Diskussionsrunde kommt der Reporter und Buchautor Philipp Hedemann.