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Hier entscheiden die Kühe selbst

Hochmoderne Melkroboter sind im Milchviehbetrieb in Haßlau in Betrieb. Das lockt Landwirte aus ganz Deutschland an.

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© Dietmar Thomas

Von Verena Toth

Roßwein/Haßlau. Nummer 66 trabt gemütlich in den Gitterstand. Der Appetit nach Kraftfutter hat die Schwarz-Bunte angelockt. Das plötzliche Rattern und Zischen unter ihrem Bauch scheint das Tier überhaupt nicht zu stören. Während sie sich an ihrem Futter – präzise abgemessene zwei Kilogramm – genüsslich bedient, fährt vollautomatisch ein Roboterarm unter ihr prall gefülltes Euter. Die Reinigungsbürsten schrubben die Zitzen, dann sucht ein Laserlicht mit optischen Sensoren die richtige Position für die Melktrichter, durch die die Milch wenige Sekunden später gesogen wird. Reichlich acht Minuten lang dauert es, bis Kuh Nummer 66 im Stall von Christian Kalbhenn um 18,1 Kilogramm leichter vom vollautomatischen Melkroboter wieder in den Stall entlassen wird.

Vier Melkroboter der neuesten Generation arbeiten seit kurzem im Milchviehbetrieb in Haßlau. Der Roßweiner Landwirtschaftbetrieb ist erst der dritte in ganz Deutschland, in dem der Roboter mit dem verheißungsvollen Namen Astronaut 5 zum Einsatz kommt. Deshalb hatte die Herstellerfirma Lely am Donnerstag rund 120 Landwirte aus Sachsen-Anhalt, Thüringen, Bayern, Baden-Würtemmberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen eingeladen, um die modernen Melkanlagen im Haßlauer Stall in Aktion zu erleben.

Rund 380 Kühe kommen täglich bis zu drei Mal in die Box. Am Halsband erkennt die Anlage, um welche Kuh es sich handelt. Der Computer in der unscheinbaren Box weiß alles über das Tier. Auf dem Display ist zu sehen, wie viel Kraftfutter dem Tier während des Melkens zusteht, welche Milchmenge die Kuh beim letzten Mal gegeben und wie viele Kälber sie schon geboren hat, und wie lange es etwa dauert, bis das Tier gemolken ist. Dabei wird jede der vier Sauganlagen an den Zitzen einzeln angesteuert. Die Tiere entscheiden selbst, wann sie zum Melken kommen. In dem offenen Stall haben die Kühe Platz zum Liegen, Wiederkäuen, Laufen und Fressen. „Sie entscheiden über ihren Tagesablauf selbst und entwickeln dabei ein Zeitgefühl“, erläutert der Fachmann. Sollte dennoch eine Kuh mal zu früh zum Melkstand kommen, erkenne das der Computer und entlässt das Tier aus der Box, ohne dass der Melkvorgang gestartet wird.

Christian Kalbhenn setzt schon seit langem auf die vollautomatischen Melkanlagen. Neben den vier neuesten Lely-Anlagen stehen bei ihm auch noch sechs Vorgängermodelle im Dienst. „Ich bin seit 1995 hier im Betrieb beschäftigt. Kurz nach der Wende wurde die Anlage damals noch mit einem herkömmlichen Melkstand ausgestattet. Doch seit dem es die automatischen Melkroboter gibt, haben wir diese auch hier im Stall eingesetzt. Ich bin immer offen für Neues und Innovatives“, berichtet der 44-jährige Landwirt. Auch die stete Reinigung des Stalls übernimmt mittlerweile ein Roboter. Das Tierwohl sei ihm jedoch besonders wichtig.

„Der neue Roboter ist wesentlich leiser und somit für die Tiere angenehmer, da der Arm nicht mehr mit Druckluft, sondern mit einem Elektromotor bewegt wird“, erklärt Caroline Klutke vom Lely Center Sachsen. Sie und die Marketingleiterin des Roboterherstellers, Madeleine Grüner, hatten den Tag der offenen Tür im Haßlauer Hof organisiert und die Landwirte eingeladen. „Der Betrieb von Christian Kalbhenn bot sich besonders wegen des Standorts, aber vor allem auch wegen der jahrelangen Erfahrung und guten Zusammenarbeit an“, erläutert Vertriebsmitarbeiterin Carolin Klutke. Die Fachleute aus allen Teilen der Republik konnten sich nicht nur in einer Betriebsbesichtigung einen Eindruck von der Arbeitsweise der Melkroboter verschaffen, auch in einem Vortrag wurde ihnen die moderne Technik vorgestellt. Der neue Astronaut sei wesentlich energiesparender, und auch die Wartung der Anlage falle weniger aufwendig aus, erläutern die Lely-Vertreterinnen. Das alles bedeute eine Zeitersparnis, sowohl für die Produktion als auch für die Anlage selbst.

Die Milchviehanlage in Haßlau, an der insgesamt drei Teilhaber beteiligt und in der sechs Mitarbeiter beschäftigt sind, wächst derzeit noch weiter. Ein neuer Stall ist im Entstehen und soll laut Plan Ende des Jahres fertiggestellt sein. Im neuen Stall werden 280 weitere Plätze für die Milchkühe geschaffen. Das perspektivische Ziel sei, insgesamt 600 Milchkühe in den Ställen zu haben. Ausgestattet werde die neue Anlage mit vier der neuen Roboter, so Kalbhenn.

„Natürlich sollen mit neuer Technik vor allem auch die Arbeitsbedingungen für den Landwirt und die Effizienz verbessert werden“, erläutert der Betriebsleiter. Obwohl es längere Wege für die Landwirte bedeute, sollen die Roboter aber auch im neuen Stall so angeordnet werden, dass für die Kühe möglichst wenig Wartezeit vor der Anlage ensteht.

So muss auch Kuh Nummer 282 nur wenige Augenblicke warten, bis ihre Vorgängerin gemächlich aus der Box trabt. Nachdem der Sensor zunächst einige Schwierigkeiten hat, ihr Euter zu finden, fließt kurze Zeit später auch hier die weiße Flüssigkeit in den großen Tank. Ganze
23,8 Kilogramm hatte diese Kuhdame dieses Mal zu geben, vermerkt der Computer und wartet auf die nächste Kandidatin.