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Heute mal figurbetont

Lisa Marie Melzer schlüpft gern in die Rollen japanischer Comic-Heldinnen. Das Zauberwort heißt Cosplay.

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© Franziska Hummel

Von Henry Berndt

Die Augen müssen funkeln, blitzen, ja strahlen. Und groß sollen sie wirken. Allein für ihr Make-up braucht Lisa eine Stunde. Heute will sie wieder zu Honoka werden, der Hauptfigur aus der japanischen Anime-Serie „Love Live!“, die hierzulande nur den wenigsten ein Begriff ist.

Eher schon kennt man in Deutschland japanische Kinderserien wie „Heidi“, „Mila Superstar“ oder „Captain Tsubasa“, die in den 90ern endlos im Privatfernsehen wiederholt wurden. Auch das sind Animes, zu erkennen an den riesigen Augen ihrer Figuren, im Vergleich zu geradezu winzigen Nasen und Mündern. Auch Lisa Marie Melzer hat diese Serien gesehen und geliebt. Mit 13 zeigte ihr eine Freundin in der Schule, wie man Mangas zeichnet – die Comics nach gleichem Stil. Seitdem zeichnete auch Lisa für ihr Leben gern. Sie wurde erwachsen, doch die Serien aus Fernost blieben in ihrem Herzen.

Heute, mit 19, schlüpft Lisa gern in die Rolle von Anime-Figuren. Seit etwa einem Jahr ist sie Cosplayerin, so nennt man den Verkleidungstrend, der in den 90ern aus Japan in alle Welt exportiert wurde und der hierzulande gerade erst so richtig Fahrt aufnimmt. Von Superman bis Pokemon hat jeder seine Fans. Ein kurzer Besuch auf der Leipziger Buchmesse genügt, um sich davon zu überzeugen: Cosplay ist mehr als ein Gag durchgeknallter Faschingsfreunde. Cosplay ist inzwischen eine Kulturform.

„Es gibt unheimlich viele Klischees über uns“, sagt Lisa, die sich in dieser Welt „Lxzerella“ nennt – eine Mischung aus ihrem Spitznamen Liz und Cinderella, auch so einer Heldin ihrer Kindheit. Die Klischees handeln im weitesten Sinne davon, dass Cosplayer dumm und in der Regel arbeitslos seien. Außerdem zeigten sie auffällig oft viel nackte Haut.

Lisa ist das beste Gegenbeispiel. An den Semperschulen in Dresden lernt sie Grafik- und Mediengestaltung, ist gerade im letzten Lehrjahr. „Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht, auch wenn Animes in der Schule keinen besonders guten Ruf haben.“ Später will Lisa am liebsten zum Fernsehen. Erst hinter die Kamera, vielleicht ja sogar mal davor. Insgeheim träumt sie davon, Schauspielerin zu werden.

So weit ist das mit der Cosplayerei davon ja nicht entfernt, mal abgesehen davon, dass sie das hier nur für sich macht. „Es ist meine Art, mal kurz aus dem Alltag zu entfliehen“, sagt sie. Mehrmals im Monat kauft sie im Internet neue Kostüme von Anime-Figuren, die ihr gefallen. Auch die Serien schaut sie online. Honoka, das Mädchen mit den orangefarbenen Haaren und dem Pferdeschwanz an der Seite gehört zu ihren absoluten Favoriten. „Ich finde, sie steht mir“, sagt Lisa. Vor allem in Honokas besonderer Aufmachung als „kleiner Teufel“ findet sie sich in dem Charakter wieder. Ein offenes Gemüt, aber auch ein bisschen faul und verfressen. „Ja, das passt.“ Neben ihrem Kostüm braucht sie für die Verwandlung vor allem ihre blauen Kontaktlinsen. Sie selbst hat dunkelbraune Augen und trägt auch im Alltag Kontaktlinsen, hat also Übung.

Strikte Regeln gibt es unter Cosplayern nicht. Die einen ziehen sich nur ein Kleid an und posieren daheim vor dem Spiegel, die anderen werden komplett eins mit ihrer Rolle, gehen raus in die Stadt, handeln und sprechen wie die Figuren, die sie darstellen. „Das wäre mir aber zu krass“, sagt Lisa, die sich vor allem für Shootings in Schale wirft. Dann läuft sie auch schon mal in voller Montur durch die Straßen. „Das verlangt viel Selbstbewusstsein, aber in der Gruppe geht es“, sagt sie. Viele Passanten würden dann spontan an einen Junggesellinnenabschied denken. Einige schüttelten den Kopf, andere wollten Fotos machen und so manches kleine Mädchen rufe: „Mama, das ist Manga.“

Auch wenn sich Lisa über die positiven Reaktionen freut, im Endeffekt möchte sie für ihre Leidenschaft nur toleriert werden. „Ich schäme mich nicht für mein Hobby.“ Auch ihre Familie bremse sie nicht. Noch wohnt sie bei ihren Eltern in Striesen, zieht aber gerade mit ihrem Freund zusammen, der sich selbst nicht verkleiden mag, die Fotos aber toll findet. „Auch meine Oma fragt immer, wann ich endlich wieder neue Bilder schicke“, sagt Lisa und lacht.

Bei Facebook und Instagram hat Lisa Profile als Lxzerella. Bis sie das Cosplay für sich entdeckte, hielt sich das Interesse an ihren Bildern dort in Grenzen. Inzwischen hat sie immerhin über 1 200 Instagram-Abonnenten. In den Kommentaren wird sie mit Komplimenten überschüttet und auf so mancher Convention schon von Fans erkannt. Zum Beispiel auf der Leipziger Buchmesse oder auch der jährlichen Dresdner DeDeCo, auf die Beine gestellt vom gleichnamigen Verein.

Die Fangemeinde wächst

Bislang trafen sich die Fans der japanischen Jugendkultur im St. Benno-Gymnasium, doch das platzte zuletzt aus allen Nähten. Deswegen steht für 2018 der Umzug in die Messe bevor.

Außerdem veranstaltet derselbe Verein am 25. November im Ballhaus Watzke den zweiten Dresdener Cosplayball, zu dem Hunderte Teilnehmer angekündigt sind. Im Regelwerk der Einlasskontrolle ist zu lesen: „Schrittbereich, Bauchnabel sowie Brust müssen blickdicht verpackt sein.“ So ist das manchmal mit den Klischees.

Lisa gibt ihre Hoffnung nicht auf – dass Cosplayer irgendwann nicht mehr als diese Typen angesehen werden, die zur falschen Zeit Fasching feiern.

www.instagram.com/lxzerella