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Herzschlag auf der Hauptstraße

Pferde-Drama um Wallach Paul: Mitten in der Innenstadt von Görlitz bricht das Kutschpferd bei der Arbeit plötzlich zusammen und stirbt. Es hinterlässt einen zerbrochenen Kremser und einen trauernden Kollegen.

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© Nikolai Schmidt

Von Daniela Pfeiffer

Görlitz. Ein schrecklicher Anblick: Auf der Elisabethstraße liegt gestern Mittag vor einer Kutsche ein totes Pferd. Notdürftig abgedeckt mit ein paar Decken. Zahlreiche Schaulustige beobachten das Geschehen, das sich unmittelbar auf Höhe des Wochenmarktes, ein paar Meter hinter der Volks- und Raiffeisenbank abspielt.

Was passiert ist, ist für den sichtlich schockierten Kutscher eindeutig: „Der hatte einen Arterienriss.“ Denn alles sei ganz schnell gegangen. Nur Sekunden vor seinem Fall hatte Paul mit seinem Gefährten Otto eine der Touristenkutschen, wie sie seit etwa zwei Jahren im Görlitzer Stadtbild zu sehen sind, gezogen. An Bord zwei Gäste, die sich die Stadt mal aus dieser Perpektive ansehen wollten. „Plötzlich ist er getaumelt und umgefallen“, erzählt der Kutscher. Anfangs vermutet er noch, es könne gescheut haben, weil unmittelbar daneben die Kita-Erzieher lautstark streikten. Verdi-Sprecher Detlef Heuke, der mit vor Ort war, musste sich deswegen auch den Fragen der Polizei stellen, aber ein Zusammenhang konnte nicht hergestellt werden. „Wir hatten unsere Kundgebung auf dem Marienplatz ordnungsgemäß angemeldet, auch die Instrumente, die wir brauchten, um auf uns aufmerksam zu machen.“ Was passiert war, habe er erst durch den Besuch der Polizei im Streik-Büro mitbekommen.

Die Polizei selbst sprach gestern auch von einem Verkehrsunfall. „Tragisch und schade um das Tier“, so Sprecher Thomas Knaup. Die beiden Fahrgäste und der Kutscher seien nicht verletzt worden, die Deichsel der Kutsche aber durch den Sturz gebrochen.

Das zählt für Axel Gürntke wenig. Für den Kutschunternehmer aus Radeburg, der Kutschfahrten in Moritzburg, Meißen und Dresden anbietet, ihn ist der Verlust von Paul schwerwiegend. „Wir hängen an unseren Tieren“, sagte er, selbst sichtlich berührt. Auch wenn er viele Pferde habe, werde er den Verlust von Paul schwer kompensieren können. Im Winter habe er ihm treue Dienste beim Holzrücken im Wald geleistet. „So einen finden wir nie wieder.“

Auch er ist sicher, dass Paul eine Arterie geplatzt sein muss. „Wenn ein Pferd so plötzlich umkippt.“ Matthias Barth, Tierarzt und selbst Pferdehalter, denkt genauso. „Das ist eine seltene Sache, kommt aber leider vor. Dann läuft alles Blut in die Bauchhöhle und das Tier verblutet innerhalb kürzester Zeit.“ Alle ein, zwei Jahre passiere das auch in unserer Region mal einem Pferd. Eine andere Ursache kann er sich schwer vorstellen, zumal er Paul kannte, weil er ihn als Tierarzt betreute. „Mit acht bis zwölf Jahren sind Pferde am fittesten. Und selbst wenn es erschrickt, fällt es nicht einfach so um.“ Dass die Pferde, die Gürntke im Görlitzer Rosenhof eingestellt hat, alle in gutem Zustand sind, bestätigt Tierarzt Barth. „Denen geht es gut, sie haben einen vernünftigen Futterstand und sind geimpft.“

Dennoch schlugen die Wogen vor allem im Internet gestern hoch. Von Zweifeln an der artgerechten Haltung der Tiere bis zu wüsten Beschimpfungen über Tierquälerei reichten die Kommentare auf Facebook. Allein der SZ-Eintrag zum Thema hatte bis gestern Abend über 9 000 Nutzer erreicht. „Wer die Stadt sehen will kann auch zu Fuß gehen“, schrieb eine Nutzerin. „Widerliche Menschen, die immer noch diese Kutschenfahrten anbieten! Mir fehlen die Worte“, eine andere. Und eine weitere: „Pferde gehören nicht vor eine Kutsche“.

Eine, die sich im Internet gestern vehement für die Haltung von Kutschpferden einsetzte, war die Görlitzerin Laura van Rems, die selbst Turnierreiterin ist und ihr Pferd ebenfalls im Rosenhof stehen hat. „Ich kenne die Pferde von Gürntkes. Sie werden jeden Tag ausgewechselt, damit sie sich von den Fahrten ausruhen können. Man kümmert sich einwandfrei um sie.“ Kaltblütler wie Paul und Otto seien zudem absolut geeignet für solche Kremser- und Kutschfahrten. „Sie haben eine außergewöhnliche Ruhe, ob auf der Straße Krach ist, interessiert sie nicht.“