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Herz über Kopf

Francesco Friedrich fährt zum dritten WM-Titel hintereinander. Es ist ein Sieg des Willens und der Physiotherapeuten.

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© Eibner-Pressefoto

Von Tino Meyer, Innsbruck

Diesmal ist seine Frau die Erste. Als die Tribüne tobt, die Konkurrenten staunen und auch die Trainer ein Stück weit fassungslos sind, gibt Magdalena Friedrich die ihr innewohnende Zurückhaltung auf und rennt einfach los. Vorbei an den Bahnarbeitern, Verbandsfunktionären und Fotografen legt sie vermutlich den Lauf ihres Lebens hin, nachdem Ehemann Francesco soeben Ähnliches vollbracht hat.

Totgesagte leben länger. Die Botschaft auf den Shirts der neuen alten Weltmeister ist deutlich – und Thorsten Margis zu platt und fassungslos, wie er sagt, um zu jubeln.
Totgesagte leben länger. Die Botschaft auf den Shirts der neuen alten Weltmeister ist deutlich – und Thorsten Margis zu platt und fassungslos, wie er sagt, um zu jubeln. © dpa

Die Uhren zeigen 12.17, als am Sonntag der neue alte Zweierbob-Weltmeister feststeht. Zum dritten Mal hintereinander ist Friedrich – angeschoben vom Hallenser Thorsten Margis – zum Titel gerast und spätestens jetzt ein ganz, ganz Großer seines Sports. Geschafft haben das vor ihm lediglich die italienische Legende Eugenio Monti, der von 1957 bis 1962 sogar fünfmal in Folge gewonnen hat, sowie Bundestrainer Christoph Langen in den 1990er-Jahren.

Der Triumphator von Innsbruck kann mit solchen historischen Vergleichen wenig anfangen, für den Legendenstatus fühlt er sich als 25-Jähriger noch viel zu jung. Und Magdalena Friedrich interessiert der Ausflug in die über hundertjährige Bob-Geschichte erst recht nicht. Sie will den Sieger jetzt in den Arm nehmen, herzen, küssen, am liebsten nie mehr loslassen. Und er sie offenbar auch nicht. Wie die Trophäe, die ihm am Abend bei der Siegerehrung in der Innsbrucker Altstadt überreicht wird, trägt er seine Frau stolz durch die Bremszone zurück in den Zielbereich.

2013, als ihr Francesco, den sie eigentlich alle nur Franz rufen, in St. Moritz zu ihrer und aller Überraschung zum ersten Titel gerast ist, hat es diese innigen Momente erst Stunden nach der Entscheidung auf einem Parkplatz abseits des Eiskanals gegeben. 2015 in Winterberg, beim zweiten Titel und nach dem katastrophalen Olympiajahr, haben sich beide schon im Zielbereich gefunden – nach den offiziellen Angelegenheiten wie Trainer-Glückwünsche, Presse-Statements und Blumen-Zeremonie.

Und nun, beim dritten Mal, ist sie tatsächlich die Erste, weil er tatsächlich wieder Erster ist.

Es sind Augenblicke, die für sich sprechen nach einem Sieg mit Ansage, wenn auch einer verspäteten. Erst nach dem dritten Lauf wird schließlich klar, dass Friedrich wirklich das Unmögliche möglich machen kann. Da nämlich hat er dieses Grinsen im Gesicht, das Gewissheit bedeutet. Nach furioser Fahrt und Bahnrekord sind die 0,15 Sekunden Rückstand zum Führenden nach dem ersten Tag, dem bayerischen Vorjahres-WM-Zweiten Johannes Lochner und Anschieber Joshua Bluhm aufgeholt. Zeitgleich gehen beide in den letzten Lauf, in dem sich Lochner einen Fahrfehler leistet und Friedrich den Sieg perfekt macht.

Lange bleibt es ungewiss

Vor der Ansage mit dem Grinsen ist allerdings vor allem eines gewesen: die große Ungewissheit. Auch dafür muss man Friedrich nur ins Gesicht schauen. Der gebürtige Pirnaer spricht ohnehin selten und wenn, dann nicht viel. Von der ersten WM-Woche in Innsbruck sind es jedoch bestenfalls Versatzstücke, die in Erinnerung bleiben werden, Worte wie Unsicherheit, Muskelfaserriss, Physiotherapie, Risiko, Punktlandung. Gerade mal drei Wochen liegt schließlich jene Verletzung im Adduktorenbereich des rechten Oberschenkels zurück, die den angestrebten Titel-Hattrick plötzlich zu einer aussichtslosen Sache hat werden lassen.

Der Sieg nach der „schwierigsten Wettkampfvorbereitung“ und dem „härtesten Rennen meiner Karriere“, wie Friedrich erzählt, hat deshalb besonders viele Namen. Euphorie ist ihm ohnehin nicht geheuer, doch noch vor jeglicher Form von Freude bedankt er sich bei den Physiotherapeuten des Verbands und auch denen „zu Hause in Dresden, Pirna und allen, die mitgeholfen haben. Ohne sie hätte ich es nie geschafft.“

Drei Wochen lang wird Friedrich täglich behandelt, und das stundenlang. Jeweils kurz nach sechs Uhr ist er an den beiden Renntagen aufgestanden, hat sich dick tapen lassen, danach erwärmt, ist danach wieder behandelt und anschließend erneut getapt worden. Und das alles für die 50 Meter am Start, die in Innsbruck über Sieg und Niederlage entscheiden. „Ich musste mich erst wieder rantasten, die Schritte wieder treffen“, sagt er nach dem ersten Tag. Da ist er noch Zweiter.

Das Entscheidende beim Start ist nämlich nicht nur die Geschwindigkeit an sich. Jeder einzelne Schritt muss passen, idealerweise in Übereinstimmung mit dem Anschieber. Zu kurz laufen ist genauso suboptimal wie ein zu langer Sprint, womöglich im Bemühen, den Schlitten noch mehr zu beschleunigen. Das kann im Training tausendfach geübt sein, im Wettkampf entscheidet darüber allein der Kopf.

„Ich kenne meinen Körper. Und natürlich habe ich seit der Verletzung immer in mich hineingehört. Nach dem dritten Lauf wusste ich, dass wir gut unterwegs sind.“ So etwas sagt Friedrich. In Wort-Kategorien wie geil oder Wahnsinn lässt sich dagegen sein Lächeln klassifizieren. Es ist dann immer besonders strahlend – wie nach dem vierten Lauf.

Erst da, sagt er, habe endlich wieder alles gepasst, fast jedenfalls. Friedrich/Margis schaffen ihre beste Startzeit. Das Lochner/Bluhm noch schneller sind, lässt sich leicht verschmerzen. Die Sieger wissen, dass ihr Bob spätestens im zweiten Streckenabschnitt deutlich überlegen ist.