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Herr über hundert Maschinen

Danilo Schulz fand bei Temedia in Bischofswerda einen Job. Und kletterte eine Sprosse auf der Karriereleiter.

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© Steffen Unger

Von Ingolf Reinsch

Bischofswerda. Neunzig Webmaschinen rattern im Takt unterm Hallendach. Für Danilo Schulz klingen die Anlagen wie Musik. Der 32-Jährige trägt dazu bei, dass sie problemlos laufen. Als Mechaniker pflegt, wartet und repariert er die Technik. Sollte es mal irgendwo in der Weberei klemmen, wird zuerst nach ihm gerufen.

Auf großen Rollen wird das gewebte Grundmaterial für die Binden aufgespult – und gleich weiterverarbeitet.
Auf großen Rollen wird das gewebte Grundmaterial für die Binden aufgespult – und gleich weiterverarbeitet. © Steffen Unger
Temedia stellt nicht nur Verbandsmaterial her, sondern bestückt auch komplette Verbandstaschen.
Temedia stellt nicht nur Verbandsmaterial her, sondern bestückt auch komplette Verbandstaschen. © Steffen Unger
Porsche ist einer der Kunden. Verbandstaschen aus Bischofswerda werden im Werk direkt ans Band geliefert.
Porsche ist einer der Kunden. Verbandstaschen aus Bischofswerda werden im Werk direkt ans Band geliefert. © Steffen Unger

Sachsenweit hat die Textilindustrie zu kämpfen. In Bischofswerda erlebt sie gerade eine Wiedergeburt, nachdem die Dresdner Herrenmode Ende 2012 ihren Betrieb schloss. In zwei der auf dem ehemaligen Hero-Gelände zuletzt gebauten Hallen produziert jetzt die Temedia GmbH mit rund 100 Mitarbeitern. Hergestellt werden die verschiedensten Binden, die im Gesundheitswesen gebraucht werden, darunter Fixier-, Mull-, Gips-, Polster- und Universalbinden unterschiedlicher Größen. Erster Arbeitsschritt ist das Weben. Oder das Ketteln als besondere Form der Wirktechnik. Dafür stehen zusätzlich 16 Raschelmaschinen in dem großen Saal. Auf diesen Maschinen werden Binden gewebt, die zum Beispiel zur Behandlung von Venenentzündungen gebraucht werden.

Gute Anbindung zur Autobahn

Temedia hatte bisher mit insgesamt rund 80 Beschäftigten in Großröhrsdorf und Schönbach bei Löbau produziert. Zwischen beiden Standorten lagen rund 50 Kilometer. „Wir haben Geld und Zeit auf der Straße verloren“, sagt Betriebsleiter Wolfgang Körber. Nun wird unter einem Dach gearbeitet. Die Lage zwischen beiden Standorten, das Vorhandensein leerer Hallen und die gute Anbindung an die Autobahn gaben den Ausschlag, sich für den Standort Bischofswerda zu entscheiden.

Mit dem Umzug wuchs die Belegschaft um fast 20 Mitarbeiter. Auch Danilo Schulz gehört zu jenen, die im vergangenen Jahr neu eingestellt wurden. Der junge Mann aus Bretnig, der in Großröhrsdorf Bandweber gelernt hatte, wollte sich beruflich verändern. Er hatte zwei Jobangebote. Er entschied sich trotz eines etwas längeren Arbeitsweges für Bischofswerda. „Die menschliche Seite stimmt“, war sein Bauchgefühl von Anfang an. Es sollte ihn nicht trügen. Der junge Familienvater begann im April 2015 als Weber und stieg schon kurze Zeit später zum Mechaniker auf. „Die Arbeit macht Spaß. Sie ist abwechslungsreich. Kein Tag ist wie der andere“, sagt Danilo Schulz. Er arbeitet, wie seine Kollegen auch, im Dreischichtsystem von Montag bis Freitag.

Nicht alle Job-Hoffnungen erfüllt

Allein in der Weberei, die im Obergeschoss der früheren Hero-Lagerhalle eingerichtet worden ist, wurden vergangenes Jahr sechs neue Mitarbeiter eingestellt. Nachdem Ende 2014 bekannt geworden war, dass Temedia nach Bischofswerda umzieht, gab es viele Bewerbungen, vor allem von Frauen, die früher bei der Dresdener Herrenmode gearbeitet haben. „Einige haben wir eingestellt“, sagt Wolfgang Körber. Jedoch konnten längst nicht alle Hoffnungen auf einen neuen Job erfüllt werden. Die Arbeit bei dem Verbandsmittelhersteller erfordert Spezialkenntnisse in der Bandweberei, die bei Hero nicht gebraucht wurden. Hinzu kamen dort die speziellen Berufe eines Bekleidungsherstellers, wie Näherin und Büglerin. Berufe, für die wiederum Temedia keine Verwendung hat.

Danilo Schulz eilt im Websaal zwischen den Maschinen hin und her, schaut, ob alles läuft. Nur selten muss er eingreifen. Zentimeter um Zentimeter weben die Maschinen das Rohmaterial für die Binden. Auf großen Rollen wird es aufgespult. Zwei Etagen tiefer, im Basisgeschoss, wird das Webmaterial später auf Maschinen abgespult und über Wasserdampf erhitzt. Die Binden erhalten dadurch ihre Elastizität. In den folgenden Arbeitsschritten werden sie gegebenenfalls beschichtet, auf Länge geschnitten und verpackt. Dann gehen sie entweder gleich in den Versand – oder ins Zwischengeschoss, wo Binden und anderes Material in Verbandstaschen verstaut werden. Temedia, eine 100-prozentige Tochter der Holthaus Medical GmbH & Co. KG Remscheid, füllt unter anderem für alle großen deutschen Automobilhersteller die Verbandstaschen. Was die Mitarbeiter in Bischofswerda mit geübten Handgriffen verpacken, wird in den Fabriken von Audi, VW, Mercedes oder Porsche direkt ans Band geliefert. Rund zehn Spediteure kommen täglich ins Bischofswerdaer Werk, bringen leere Taschen oder holen die vollen ab. „Es läuft exakt nach Fahrplan. Da zählt jede Minute“, sagt Betriebsleiter Wolfgang Körber. Logistik wird daher großgeschrieben. In einer zweiten Halle, die Temedia mietet, wurde ein Hochregallager mit 1 200 Palettenstellplätzen eingerichtet.

Arbeitsprozesse werden überprüft

Das Mutterunternehmen investierte rund eine Million Euro, um die bisherigen Werke in Bischofswerda zusammenzuführen. Geschäftsführer Alexander Holthaus vergleicht den jetzt erreichten Arbeitsstand mit der Hardware, die nach dem Umzug vor Ort ist. Als nächstes gehe es nun um die Software, das Feintuning, um den Betrieb so effektiv wie möglich zu führen. „Wir schauen uns alle Arbeitsprozesse kritisch an, prüfen, was wir noch besser machen können“, sagt Alexander Holthaus. Bei der jetzt erreichten Belegschaftsstärke soll es zunächst bleiben. Trotzdem wird Temedia auch in diesem Jahr einstellen. Mitarbeiter, die beispielsweise die Rente mit 63 nutzen, werden ersetzt. Zudem bildet das Unternehmen Lehrlinge zum Bandweber aus; aktuell gibt es zwei Azubis. Für den Bereich Forschung, Entwicklung und Qualitätssicherung wird in diesem Jahr ein neuer Arbeitsplatz geschaffen. „Es hat Sinn, Forschung und Entwicklung dort anzusiedeln, wo auch produziert wird“, sagt Alexander Holthaus. Ein klares Bekenntnis zum Standort Bischofswerda, mit dem das Familienunternehmen aus Remscheid auf lange Sicht plant.