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Herr der Glocken

Vom Radebeuler Rainer Thümmel stammt das Buch über Sachsens Geläute – jetzt erscheint das Glockenbuch seiner Stadt.

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© Norbert Millauer

Von Peter Redlich

Radebeul. Gleich ob Christ oder nicht – den Glockenklang seiner Kirche in der Nachbarschaft kennt fast jeder. Rainer Thümmel kennt alle der nahezu 4 000 Geläute in Sachsens evangelischen Kirchen. Der promovierte Diplomingenieur für Metallformung aus Radebeul gehört zu Sachsens wenigen Glockensachverständigen der Evangelischen Landeskirche. Von ihm stammt „Glocken in Sachsen: Klang zwischen Himmel und Erde“ – das einzigartige 432-seitige Werk für alle, die mehr über Klang und Entstehung wissen wollen.

Rein arbeitsrechtlich ist der 76-Jährige inzwischen im Ruhestand. In der Wirklichkeit aber noch lange nicht. Sein Sachverstand ist gefragt. Etwa für die St.-Marien-Kirche in Frankfurt an der Oder, für deren Gemeinde er sich um die neue Glocke bei den Gießern in Innsbruck kümmerte. Mit 5 166 Kilogramm die schwerste in seiner 20-jährigen Laufbahn als Glockensachverständiger.

Dagegen ist sein jüngstes Werk eher mini. Allerdings nur äußerlich. „Eine Liebeserklärung an meine Stadt“, nennt er das 86-seitige Buch in den blauen Farben Radebeuls. „Glocken und Turmuhren in Radebeul – Klänge, die das Leben begleiten“ hat er es genannt.

Gemeinsam mit dem Radebeuler Fotografen Klaus-Peter Meißner ist Thümmel auf 21 Türme gestiegen. Die reichlich bekannten, wie die Luther- und die Friedenskirche sowieso, aber auch auf private Türme, wie den vom Bilzsanatorium, vom Meinholdschen Turmhaus, vom Niederlößnitzer Rathaus oder in den Turm von Altfriedstein sind die beiden geklettert. 170 Fotos gibt es im Buch. Vor allem aber die teils kuriosen Geschichten um die Glocken und Turmuhren sind lesenswert.

Wer weiß schon, dass die älteste Glocke der Stadt im Turm von Altfriedstein hängt. Von 1743 stammt sie und ist eine sogenannte Uhrschlagglocke, die die Viertel-, halben und vollen Stunden anschlägt. Genauso wie die zwei Uhrschlagglocken im Bilzsanatorium. Sie hängen noch dort, obwohl das Werk der Uhr seit Jahrzehnten auf 12 Uhr stehengeblieben ist. In Bronze hängen die beiden Glocken noch da. Was nicht selbstverständlich ist. Genau im März vor 100 Jahren wurden in Deutschland Glocken für die Kriegsproduktion eingesammelt, zerschlagen und eingeschmolzen. Nur ganz wenige Gemeinden konnten das damals verhindern.

Die verrückteste Glockengeschichte hat Rainer Thümmel übrigens in Meißen erlebt. Die dortigen Glocken der Trinitatiskirche von Meißen-Zscheila hatten – welch Wunder – den Zweiten Weltkrieg überstanden. Aus Geldnot wollte sie jedoch der Pfarrer unmittelbar nach 1945 verkaufen. Eines der ältesten Geläute im Kreis Meißen. Ein Denkmalpfleger konnte die Aktion stoppen. Aber eine Glocke war weg. Thümmel: „Um 2000 konnte die dritte Glocke unter meiner Aufsicht wieder hergestellt werden, das Geläut so wie vor über 300 Jahre wieder erklingen.“ Selbst nach Rom zu der im Zentrum der Katholiken einzigen protestantischen Kirche wurde der Radebeuler gerufen, um deren Schilling-Geläut, einst gegossen bei einer Thüringer Gießerei, wieder auf Vordermann zu bringen.

Mit 15 Jahren als junger Bursche hat Rainer Thümmel mal stolz Wache vor den abgenommenen Trachauer Glocken gehalten. Vielleicht ist damals, unbewusst, das Interesse geweckt wurden, sagt der Montaningenieur, der zu DDR-Zeiten im Stahlwerk Riesa seinen Lohn verdiente.

Die Glockengeschichte Radebeuls aufzuschreiben, habe er nur zu gern getan. Anregung kam dazu auch aus dem Rathaus von Oberbürgermeister Bert Wendsche. Die Stadt hat das Buch herausgegeben. Rainer Thümmel nahm kein Honorar dafür.

Vorgestellt wird „Glocken und Turmuhren in Radebeul“ für alle, die es interessiert, am kommenden Dienstag, 19 Uhr, in der Stadtbibliothek Radebeul-Ost. Ab Donnerstag soll es das Buch für 17,50 Euro in einer Auflage von nur 2 000 Exemplaren in Radebeuls Buchläden, der Tourist-Information und im Stadtarchiv geben.