Merken

Helfer mit Herz

Annett Gerold-Fathi setzt sich für Flüchtlinge in Bautzen ein. Sie möchte Vorbild sein – und andere mitreißen.

Teilen
Folgen
NEU!
© Uwe Soeder

Von Marleen Hollenbach

Wie spät ist es? Die Deutschlehrerin spricht laut und deutlich. Sie zeigt auf die eine kleine Uhr, die sie in die Runde gegeben hat. „Wie spät ist es?“, fragt sie noch einmal. Ein junger Mann meldet sich. „Zwölf Uhr“, sagt er ohne lange nachzudenken. Die anderen Männer nicken zustimmend. 14 Flüchtlinge sitzen in einem kleinen Raum im Dachgeschoss. Dicht aneinander gedrängt. Annett Gerold-Fathi kennt fast jeden hier mit Namen. Seit März gibt sie den Flüchtlingen im Bautzener Asylheim an der Dresdener Straße Deutschunterricht. Einmal in der Woche ist die 49-Jährige hier. Ehrenamtlich, in ihrer Freizeit. Geld bekommt die Helferin dafür nicht. „Mein Lohn ist es, dass die Flüchtlinge immer wieder zu meinem Kurs kommen. Und wenn sie dann singend den Raum verlassen, weiß ich einfach, dass es ihnen auch Freude bereitet hat“, sagt sie.

Zahlen und einfache Fragen

Eine Tafel, bunte Stifte, ein Zettel. Mehr braucht Annett Gerold-Fathi für ihren Unterricht nicht. Auch keinen Dolmetscher. Die 49-Jährige, die im Bautzener Umland wohnt, spricht bei ihrem Kurs ausschließlich Deutsch. Und das funktioniert. Wenn einer nicht folgen kann, dann übersetzen die anderen. Und wenn es wirklich niemand versteht, dann malt die Deutschlehrerin eben ein Bild an die Tafel. Einen Wasserhahn hat sie gerade gezeichnet. Noch fällt es den Flüchtlingen schwer, das Wort richtig auszusprechen. Aber schon bald werden sie es draufhaben. Viele Vokabeln beherrschen sie schon. Alle im Raum können ihren Namen buchstabieren und sagen, wann sie geboren sind. Sie kennen die Zahlen und können einfache Fragen stellen. Ein 21-jähriger Syrer ist besonders fleißig. Er meldet sich freiwillig. Nun soll er an der Tafel zeigen, dass er die Worte auch schreiben kann. Pfanne und Kühlschrank beherrscht er genauso wie Löffel und Topf. Nur beim Wort Geschirrspüler muss Annett Gerold-Fathi noch eingreifen. „Das ist aber auch schwierig“, meint sie.

Wer der 49-Jährigen zuschaut, glaubt kaum, dass es sich hier nicht um eine ausgebildete Lehrerin handelt. Dabei hat sich die Helferin tatsächlich alles selbst angeeignet. Schon im Gründungsjahr der Bürgerinitiative nahm sie mit den Mitgliedern von „Bautzen bleibt bunt“ Kontakt auf. 2013 war das. Annett Gerold-Fathi wollte die Flüchtlinge unterstützen. Auch weil sie schon einmal mit einem Marokkaner verheiratet war und ihr die arabische Welt nicht unbekannt ist. Die Selbstständige, die unter anderem als Reiseleiterin in Tschechien arbeitet, kann sogar einige Worte auf Arabisch. „Das muss man aber nicht können, um mit den Flüchtlingen Kontakt aufzunehmen“, sagt sie. Um Deutsch zu unterrichten, sei es ausreichend, die eigene Sprache gut zu beherrschen. Und wer nicht unterrichten will, der könne auch einfach den Flüchtlingen ein paar Stunden zuhören.

Einfach ein offenes Ohr haben, den Flüchtlingen zeigen, dass sie nicht allein sind. Das haben sich die Mitglieder von „Bautzen bleibt bunt“ zur Aufgabe gemacht. Mehr als 100 Ehrenamtliche unterstützen die Initiative. Und ihr Engagement ist gefragter denn je. Im Landkreis Bautzen leben momentan 1 500 Asylbewerber. Laut offizieller Prognose werden in diesem Jahr noch 1 550 neue Flüchtlinge erwartet. Das bringt die Helfer an ihre Grenzen. Manja Richter, Sprecherin der Initiative, freut sich deshalb über jeden neuen Helfer. „In Bautzen hat sich das System der Ehrenamtlichen gut eingespielt. Es gibt aber noch genug Arbeit“, sagt sie.