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Heimat auf Zeit

Seit Kurzem wohnen Flüchtlinge in Bautzens neuem Asylbewerberheim an der Flinzstraße. Wie lebt es sich dort?

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© Uwe Soeder

Von Stefan Schramm

Hell sind die Wände, aber völlig nackt. Die Zimmerpflanze, die in einer Ecke steht, hat schon so einige verdorrte Blätter. Und die aus drei, vier Sofas bestehende Sitzgruppe in dem Hausflur hat ihre besten Zeiten auch schon hinter sich. Für etwa 60 Asylbewerber ist dieser Bereich aber trotzdem so etwas wie eine Lounge, in der sie sich gern tummeln. Kinder springen über die Lehne einer Garnitur mit aufgerissener Bespannung. Gleich daneben sitzt eine kosovarische Familie und diskutiert gestenreich. Auf der nächsten Couch tippt ein junger Nordafrikaner etwas in sein Handy.

Die drei Nordafrikaner Oussama Zarroug, Elkadi Abderrahn und Hekmet Melliti (v. r.) erledigen bei der Herrichtung des Asylheims an der Flinzstraße kleine Hilfsarbeiten.
Die drei Nordafrikaner Oussama Zarroug, Elkadi Abderrahn und Hekmet Melliti (v. r.) erledigen bei der Herrichtung des Asylheims an der Flinzstraße kleine Hilfsarbeiten. © Uwe Soeder

Sie alle füllen das neue Asylbewerberheim an der Flinzstraße in Bautzen mit Leben. Vor nunmehr einem Monat sind die ersten zwölf Männer aus Libyen in der Unterkunft eingezogen, nachdem sie vorher übergangsweise im Hoyerswerdaer Notquartier ausharren mussten. Seither hat sich die Zahl der Bewohner schrittweise erhöht. Mitte Januar trafen auch die ersten Familien aus der sächsischen Erstaufnahmestelle in Chemnitz im Bautzener Greenpark ein. Zwei, drei Tage vorher informiert die sächsische Ausländerbehörde das Bautzener Landratsamt über die Anzahl jener Personen, die dann beinahe wie Stückgut auf die knappen Unterkünfte verteilt werden. Bei 62 Personen ist nun die Kapazitätsgrenze für die erste Ausbaustufe des Asylbewerberheims erreicht. In Betrieb ist bislang nur der mittlere der drei Teile des Gebäudekomplexes. In der unteren Etage des zweigeschossigen Bauwerks wohnen junge Männer zumeist aus Afrika, die allein nach Deutschland gereist sind. Im Obergeschoss befinden sich die Familienzimmer.

Darin geht es spartanisch zu. Ein bisschen wie in einer Jugendherberge. Einfache Doppelstockbetten stehen in den Räumen. In der Mitte ein, zwei kleine Tische, um die sich ein paar Stühle gruppieren. An den Wänden stehen hohe Kleiderschränke. Die Wintersonne steht flach am Horizont und leuchtet herein. Denn Jalousien fehlen noch. Zwei-, Vier- und Fünfbettzimmer gibt es. In den größeren Räumen befinden sich zwei Kühlschränke, in den kleineren einer. Ihr Essen machen sich die Asylbewerber in den Gemeinschaftsküchen, die aus kaum mehr als Backöfen und Kochflächen bestehen. Über den Gang sind die Sanitäranlagen zu erreichen. Duschen und Toiletten, schön nach Herren und Damen getrennt.

Familien und alleinstehende Männer zusammen

Die Bewohner kommen aus dem Kosovo und aus Serbien, aus Libyen und Tunesien, aus Palästina und Afghanistan. Darunter sind elf Kinder, zudem sind zwei Frauen schwanger. Die Heimleitung sorgt dafür, dass die Familien und die alleinstehenden Männer nicht komplett voneinander isoliert werden, sondern in Austausch bleiben können. Im Flur spielen junge Männer mit Kindern. „Das senkt das Konfliktpotenzial“, sagen die Betreuer von der Freiberger Firma Campanet. Sie tauschen sich auch mit Peter-Kilian Rausch aus, dem Betreiber des Asylheims im einstigen Spreehotel, um aus dessen Erfahrungen zu lernen.

Auch einen Sozialraum gibt es. Mit einer Schultafel an der Wand. Und Tischen und Stühlen. Dort haben ehrenamtliche Lehrerinnen schon die ersten Unterrichtseinheiten für die Bewohner gehalten. „Die erste Deutschstunde fing mit zehn Asylbewerbern an. Vier wollten gar nicht mehr aufhören. Wir mussten sie nach zwei Stunden schließlich rauswerfen“, freut sich Betreuerin Stefanie Dittrich über die Wissbegierde der Sprachschüler. Jetzt, in den Winterferien, läuft ein einwöchiger Intensivkurs zur deutschen Sprache. Nach den Ferien gehen die Kinder dann in die Grund- sowie die Oberschule in Gesundbrunnen. Allerdings gibt es dort nur eine Lehrerin, die Deutsch als Zweitsprache unterrichtet. Der Bedarf ist groß und wächst noch weiter.

Viele Dingen werden noch gebraucht

Bedarf herrscht auch noch bei zahlreichen Dingen des alltäglichen Lebens. Das fängt in der Küche an. „Wir brauchen Töpfe, Pfannen, Geschirr, Besteck“, zählt Sozialarbeiter Jörg Jonas auf, der schon vor der Wende bei Lautex Mosambikaner, Vietnamesen, Polen und Kubaner betreute. Auch Fahrräder, Klamotten, Kinderwagen, Spielzeug, Besen und Kehrschaufeln sind gern gesehen. „Was die Leute bringen, nehmen wir. In der Bevölkerung ist die Hilfsbereitschaft groß“, berichtet Jörg Jonas. Für diese Spenden gebe es ein Zwischenlager in einem anderen Gebäude des Komplexes.

Dort herrscht nun auch rege Bautätigkeit. Bis April will der Betreiber das Nachbarhaus für weitere 100 Asylbewerber herrichten. Die Bewohner, die schon jetzt da sind, packen im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit an. Er helfe dabei, die Tapete zu entfernen, erklärt Oussama Zarroug in gebrochenem Deutsch, das er sich schon bei seinem einmonatigen Aufenthalt in Bautzen angeeignet hat. Der 37-jährige Handwerker sei aufgrund der politischen Lage aus seiner Heimat Libyen geflohen. Auf die Frage, wie es sich denn an der Flinzstraße lebe, antwortet er schlicht: „Alles gut.“ Dann machen er und seine Mitbewohner sich wieder an die Arbeit. Und hellen eine weitere Wand in dem Gebäude auf.