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Heiligabend ohne Familie

Kerzen, Schwibbögen, Tanne. Das gehört zu Weihnachten einfach dazu für die meisten, genauso wie die Familie. Aber das ist nicht überall so.

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© SZ/Archiv

Von Constanze Junghanss

Weihnachten feiere ich schon lange nicht mehr“, sagt Henry. Für den 36-Jährigen mit der tätowierten Gesichtshälfte sind andere Dinge im Leben wichtig. Dass er wieder halbwegs laufen kann, gehört dazu. „Ich saß eine ganze Weile im Rollstuhl, später brauchte ich einen Rollator“, erzählt er und nennt ganz ehrlich den Grund: Viel zu viel Alkohol habe er im Laufe seines noch jungen Lebens konsumiert. Dann machten die Beine irgendwann nicht mehr mit. Der Alkohol ruinierte die Gesundheit. Nun steht Henry wenige Tage vor dem 24. Dezember mit Krücken vor der Tür des Obdachlosenheims auf der Georgewitzer Straße. Drei Monate sei er „auf Trebe“ gewesen, schlief mal da bei einem Kumpel und mal dort. Zuvor war er aus der Wohnung der Freundin in Thüringen rausgeflogen, erzählt er. Seine Wurzeln liegen in Löbau, deshalb kam er wieder zurück. Doch ohne eigenes Dach über dem Kopf sei der Neuanfang schwer und die Kumpel hätten das „Durchschlauchen“ nicht mehr mitgemacht. Letzte Station und letzte Hoffnung ist nun das Obdachlosenheim. Dort steht in der unteren Etage ein Weihnachtsbaum, ein Tisch mit Plätzchen und frischem Obst. Ein kleiner Engel lugt unter Tannenzweigen – bestückt mit einer Kerze – hervor. Henry hat dafür erst mal keine Augen. Weihnachten sei ihm egal. Er freue sich aber, nun Unterschlupf und Hilfe zu bekommen. Das Aufnahmegespräch beginnt.

Weihnachten gilt als das Fest der Familie schlechthin. Frieden, Harmonie, Besinnlichkeit. Sucht man die Worte „Fest der Familie“ im Internet, trifft man schnell auf solche Schlagworte. Und das bekannte Lied „Sind die Lichter angezündet“ kündigt vom „Weihnachtsfrieden“. Überall, überall soll Freude sein, heißt es im Refrain. Aber so mancher im Südkreis hat ganz andere Wünsche. Und vielleicht keine Familie in der Nähe, die sie ihm erfüllen könnten. Die SZ war zu Gast in drei Einrichtungen, in denen Weihnachten anders abläuft, nicht nach den üblichen Suchkriterien: dem Obdachlosenheim von Löbau, dem Seniorenstift in Löbau-Nord – und im Tierheim Bischdorf.

Annette Lehmann und Jan Licbarski kennen die Schicksale der Bewohner vom Obdachlosenheim „Haus Regenbogen“ an der Löbauer James-von-Moltke-Straße. Nicht selten sind es Alkohol- und Drogenprobleme, teils beendete Gefängnisaufenthalte sowie alle damit verbundenen Schwierigkeiten, die die Betroffenen ins Abseits werfen. Doch auch Schicksale wie kaputte Beziehungen, Wohnungsbrand oder Erkrankungen können zu Obdachlosigkeit führen, haben sie erlebt. Für all diese Menschen sind die Mitarbeiter vom „Haus Regenbogen“ da. Doch während ihres Aufenthalts – derzeit sechs Männer und zwei Frauen – spielt Weihnachten in ihren Zimmern kaum eine Rolle. Zu sehr sind die Bewohner mit ihrer Situation beschäftigt. Geschmückt wurde der Gemeinschaftsraum trotzdem. Und auch eine Weihnachtsfeier fand im Vorfeld statt. Jeder Bewohner bekam einen Einkaufsgutschein in Höhe von zehn Euro für einen Lebensmittelmarkt.

Weihnachtsmusik und Plätzchenduft durchziehen das Foyer vom Pflegestift Löbau Nord. Der Speiseplan für Weihnachten steht: Zum Mittagessen gibt es die traditionelle Bratwurst mit Sauerkraut und Kartoffelmus, am Abend Kartoffelsalat mit Wiener Würstchen. Hier spielt Weihnachten den gesamten Monat über eine wichtige Rolle. Tischschmuck und Dekorationen für den Tannenbaum haben die Bewohner gebastelt, Kekse gebacken. Ohne Familie mögen die 43 Bewohner der Pflegeeinrichtung den 24. Dezember vielleicht feiern – alleine sind sie aber nicht. „Hier habe ich Gemeinschaft, bin nicht alleine“, sagt Hildegard Döring, 85 Jahre alt. Die Malteser bringen das Friedenslicht ins Heim und zum Heiligen Fest wird zusammen gesungen, Stollen genascht, Spiele gespielt. „Meine Tochter ist Pfarrerin. Ich bleibe hier, obwohl ich bei ihr feiern könnte“, erzählt Irma Baudach. Die Seniorin möchte ihre Tochter an diesem Tag entlasten und freut sich stattdessen auf die vielen Besuche, die die Pfarrerin im Pflegestift macht.

Karten für ihre Angehörigen haben die Bewohner gestaltet, mit eigenen Fotos verziert und lieben Wünschen bestückt. Die Weihnachtspost ist eine Tradition in der Einrichtung. Eine Weihnachtsfeier und Adventsandachten gab es auch sowie für jeden ein individuelles Geschenk. „Das Wichtigste aber ist: Wir schenken uns gegenseitig Aufmerksamkeit, Liebe und Respekt“, sagt Heimleiterin Doreen Stephan und erntet dankbares Lächeln in der Runde. „Das Pflegepersonal hat immer ein offenes Ohr für uns und wir im Miteinander eine sehr gute Gemeinschaft“, ergänzt Irena Hirche.

Helga Leiste lebt gemeinsam mit ihrem Mann im Pflegeheim. Das Zusammensein sei ihr besonders wichtig. „Heutzutage sind doch so viele Familien durch die Berufe weit verstreut und sehen sich kaum noch“, sagt sie. Ihr Zimmer und das der anderen Bewohner ist festlich geschmückt. Das gehöre selbstverständlich mit dazu. Dann kommen die Erinnerungen und die Damen erzählen von ihren Erlebnissen, als sie noch junge Frauen waren. Den Gottesdienst im Fernsehen wird Hildegard Döring zu Heiligabend nicht verpassen. „Den schaute ich mir schon immer so gerne an“, sagt sie.

Leo schaut mit großen Augen durch die Glaswand. Die winzigen Füße trappeln kurz im Sand. Dann verharrt der Leopardengecko still und verschmilzt mit seiner Terrarium-Umgebung. Nur wenn Leo blinzelt, ist er noch zu erkennen. Der Gecko gehört zu den rund 150 Tieren, die Weihnachten im Tierheim Bischdorf bleiben werden. Das sind aktuell etwa 25 Hunde, 100 Katzen und dazu noch Kleintiere wie Chinchillas, Meerschweinchen und Kaninchen. Klar, eine schnelle Vermittlung in gute Hände sei immer das Beste, sagt Tierheimmitarbeiter Wolfgang Loske. Doch so einfach gestalte sich das nicht. Und Tiere sollten auch nicht zwingend unterm Tannenbaum als Überraschungsgeschenk landen. Wie oft wären dann der oder die Beschenkte letztendlich überfordert – und Stubentiger oder Bello mussten doch wieder ins Tierheim. Für die Vierbeiner Stress pur und enttäuschend.

Nicht enttäuschend soll Weihnachten im Tierheim über die Bühne gehen. Mitarbeiter sind an Heiligabend und den beiden Feiertagen bis 12 Uhr vor Ort. Dann gibt es spezielle Leckerlis, wie Wolfgang Loske bestätigt. Gänsebraten ist das nicht. Aber neben den üblichen Fressportionen stünde eine extra Portion gekochtes Fleisch und Knochen für Katzen und Hunde auf dem Speisezettel. Ein regionaler Fleischer sponsert das Zusatzfutter. Allerdings nicht nur in der Weihnachtszeit. Über Leute, die mit den Hunden über die Feiertage Spaziergänge unternehmen, würden sich die Tiere freuen. Wer auf diese Art noch spontan ehrenamtlich helfen möchte, findet die Kontaktdaten vom Tierschutzverein Löbau-Zittau im Internet. In diesem Monat fand als Premierenveranstaltung außerdem ein Weihnachtströdelmarkt statt. Dessen Einnahmen sollen dem Tierheim zugutekommen. „Allerdings blieb leider sehr viel von dem gespendeten Trödel übrig, denn wir hatten Pech mit dem Wetter und demzufolge nicht so eine gute Resonanz“, erzählt der Mitarbeiter. Voraussichtlich beim Tag der offenen Tür im kommenden Jahr sollen die übrig gebliebenen Sachspenden noch mal im Rahmen eines Trödelmarktes unter die Leute gebracht werden.