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Hebamme gesucht

Das letzte Geburtenhaus in der Stadt muss schließen, wenn sich keine Nachfolgerin findet.

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© Christian Juppe

Von Nina Schirmer

Radebeul. Ab jetzt werden keine Kinder mehr in Radebeul geboren. So hieß es, als Anfang 2014 die Geburtenstation im hiesigen Krankenhaus geschlossen wurde. Doch falsch, es kommen sehr wohl noch Babys in Radebeul auf die Welt. Nämlich im Geburtenhaus „Tor ins Leben“ von Hebamme Waltraud Frietsch. Seit 2003 hat sie ihre Praxis an der Meißner Straße 108. Es ist derzeit das einzige Haus in der Stadt, in dem noch Kinder das Licht der Welt erblicken. Hunderte Babys waren es in den letzten 14 Jahren.

Doch damit könnte bald Schluss sein. Waltraud Frietsch möchte kürzer treten und ihre Praxis abgeben. Eigentlich ist die 67-Jährige schon in Rente. Trotzdem hat sie noch jeden Monat Entbindungen. Und das bedeutet, dass sie permanent in Rufbereitschaft ist. Jeden Moment könnten bei einer ihrer Patientinnen die Wehen einsetzen.

An Urlaub ist für die Hebamme nicht zu denken. Sie kann nie weit weg fahren. Selbst wenn sie Konzertkarten geschenkt bekommt, weiß sie nicht, ob sie zusagen kann. Für die Geburtshelferin ist das eine psychische Belastung, weil sie den Frauen, die auf ihre Hilfe vertrauen, nicht absagen möchte. Selbst zur Hochzeit ihres Sohnes stand eine Entbindung an. Zum Glück kam das Baby dann zwei Tage früher. Einen Weihnachtsbesuch bei ihrem anderen Sohn, der in Brasilien lebt, musste sie absagen. Wieder war ein Baby unterwegs.

Jetzt wünscht sich die gebürtige Schwäbin mehr Zeit für sich. Am besten wäre, findet Waltraud Frietsch, wenn ihre Praxis von einem Team aus zwei oder drei Hebammen übernommen wird. Die könnten sich dann die Arbeit aufteilen. Das Inventar können die Nachfolgerinnen komplett übernehmen. Findet sich niemand, dann werden in Zukunft bis auf ein paar wenige Hausgeburten wohl wirklich keine Kinder mehr in Radebeul geboren.

Doch nicht nur um die Ortsangabe in der Geburtsurkunde ist es schade. Auch die Betreuung der Schwangeren läuft im Geburtenhaus anders ab als in der Klinik. Waltraud Frietsch weiß, wovon sie spricht. Über 30 Jahre hat sie in Krankenhäusern als Hebamme gearbeitet. Und war dort mit dem Vorgehen der Ärzte oft nicht einverstanden. Viel zu häufig werde mit den Frauen irgendetwas gemacht, ohne dass die Mediziner erklären, was genau sie tun. Auch ein vorzeitiges Einleiten der Geburt lehnt die Hebamme ab. „In der Klinik wird spätestens zehn Tage nach dem errechneten Termin die Geburt eingeleitet“, sagt sie. „Dabei sind auch 14 Tage drüber noch vollkommen normal.“ Ein Kind sollte selbstbestimmt auf die Welt kommen.

Ihr früherer Chef in einer Klinik in Pforzheim war ein Befürworter des geplanten Kaiserschnitts, erzählt Waltraud Frietsch. Sie nennt das „den Gipfel der Perversität“. Häufig würden die werdenden Mütter nicht ausreichend über die Risiken aufgeklärt. „Die Säuglingssterblichkeit ist bei Kaiserschnitten höher als bei natürlichen Geburten“, sagt sie. „Das wissen die meisten nicht.“

Ihr Geburtenhaus in Radebeul macht nicht den Eindruck einer Krankenstation. Jeder Raum ist in einer anderen Farbe gestrichen. Im Entbindungsraum gibt es ein Bett und eine große Badewanne. „80 bis 90 Prozent der Frauen entscheiden sich für eine Wassergeburt“, erklärt Waltraud Frietsch. Die Mütter lernen die Hebamme und die Räume schon lange vor der Geburt kennen, fühlen sich dann wohl, wenn es so weit ist. „Die Frauen sind entspannter“, sagt die Geburtshelferin. Fast nie brauche jemand Schmerzmittel während der Geburt. Auch wenn das Baby da ist, kümmert sich Waltraud Frietsch weiter. In den ersten zehn Tagen kommt sie sogar zweimal täglich zu Besuch.

Wie dankbar ihr die Frauen sind, zeigt sich an einer Wand neben dem Kursraum. Unzählige Dankeskarten und Fotos von lachenden Babys hängen dort. Ihren Kundenstamm möchte die Hebamme mit abgeben.