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Hausmannskost aus Riesa

2 500 Mahlzeiten verkauft Gastro-Selle jeden Tag. Zu den Kunden gehören längst nicht nur die Stahlwerker.

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© Sebastian Schultz

Von Stefan Lehmann

Riesa. Wenn Holger Selle morgens um 6 Uhr dem Hauptsitz seines Unternehmens an der Gröbaer Straße betritt, dann ist er in der Regel einer der Letzten, sagt er und lacht. „Der Chefkoch schließt meist um 4.30 Uhr auf.“ Schließlich wird ab 10.30 Uhr in der Kantine das Mittagessen ausgegeben – und bis dahin muss noch einiges vorbereitet werden. Bis zu 15 Mitarbeiter sind dann gleichzeitig mit dem Kochen beschäftigt.

Seit 2010 ist Holger Selle Geschäftsführer beim gleichnamigen Gastroservice. Am Hauptsitz des Betriebs befand sich auch die Hauptküche für das Stahlwerk. Aus den fünf großen Küchen wurden insgesamt 10 000 Menschen versorgt. „Mein Vater Christian war dort bis zur Wende Bereichsleiter Versorgung“, erklärt Holger Selle. Nach der Wende wurde die Großküche zunächst von einem Catering-Unternehmen übernommen. Sein Vater habe erkannt, dass das Unternehmen langsam ausbluten würde – und sich gemeinsam mit weiteren ehemaligen Mitarbeitern der früheren Stahlwerks-Küche für den Weg in die Selbstständigkeit entschieden. „Mit viel Bauchschmerzen“, sagt Holger Selle. 1993 öffnete die „Gastroservice Selle GbR“. Das Risiko hat sich gelohnt. Heute ist der Name Selle stadtbekannt. Mehr als 60 Mitarbeiter stehen auf der Gehaltsliste des Unternehmens, 30 davon sind fest beschäftigt.

Treffpunkt für die Müllfahrer

Am Standort hat sich in all den Jahren nichts geändert. Nach wie vor befindet sich der Hauptsitz mitten im ehemaligen Stahlwerksgelände. Eine Umsiedlung wäre auch nicht einfach, es gebe nur wenige Grundstücke in der benötigten Größe. „Trotzdem kann man von einer freundschaftlichen Nachbarschaft sprechen“, erzählt Holger Selle. Erst recht, nachdem sein Unternehmen auch wieder die Kantine im Stahlwerk betreibt. Das sei seit 2010 wieder der Fall. Bis dahin war ein anderer Betrieb der größte Kunde für Gastro-Selle. „Mit dem Reifenwerk haben wir seit 1995 einen Vertrag“, sagt Holger Selle. So viel Treue sei selten in der Branche.

Den Speisesaal an der Gröbaer Straße besuchen vor allem Handwerker. Er habe auch beobachtet, dass sich die Fahrer der Müllfahrzeuge zur Pause hier treffen, sagt Holger Selle und schmunzelt. „Unser großes Plus ist der Parkplatz. Anderswo ist es deutlich schwieriger, mit seinem Lkw überhaupt einen Stellplatz zu finden.“

Der Kantinenbetrieb ist mittlerweile nicht mehr das einzige Standbein des Unternehmens. Auf insgesamt 14 Touren wird derzeit Essen auf Rädern ausgeliefert, teilweise bis nach Meißen und Großenhain. Viel weiter geht es kaum: Innerhalb von drei Stunden muss die Mahlzeit ausgeliefert sein, damit sie noch warm beim Kunden ankommt.

Auch die JVA Zeithain und das Betonwerk beziehen ihre Mahlzeiten aus der Großküche an der Gröbaer Straße. Dazu kommen noch Kunden, die den Partyservice in Anspruch nehmen. Außerdem verkauft Selle seit einiger Zeit hausgemachte Wurst, die auch direkt im Haus geräuchert wird. „Um uns vom Markt abzuheben“, erklärt der Geschäftsführer.

Was das Kantinenessen anbelangt, setzt die Großküche auf altbewährte Hausmannskost. „Deftig und fleischlastig“, dieses Rezept habe sich bewährt, sagt Selle. Warum solle man also nicht auf diese Stärken bauen? „Wer es exotisch möchte, der geht eben zum Griechen oder Italiener.“ Dem Ruf nach vegetarischen Alternativen hat das Unternehmen zwar nachgegeben. Unter den bis zu 2500 Mahlzeiten, die am Tag verkauft werden, machen die aber weiterhin nur einen geringen Teil aus.

Die Zutaten bezieht Selle zu großen Teilen aus der Region: Eier und Sauerkraut aus Lommatzsch, Fleisch aus Belgern, Gemüse vom Riesaer Großhändler Macoo. Dass die Arbeit der Köche in seinem Betrieb einfacher sei als in einem Restaurant, möchte Holger Selle so nicht stehenlassen. „Wir versuchen, es immer so hinzubekommen, dass sich in vier Wochen kein Gericht wiederholt.“ Bei drei Mahlzeiten pro Tag seien das 60 Rezepte, die der Koch beherrschen müsse. Und der Chefkoch müsse außerdem noch gut kalkulieren können, damit nicht ein Gericht schon nach einer Stunde vergriffen ist. „Dafür hat man hier geregelte Arbeitszeiten.“ Schließlich ist in der Regel 14.30 Uhr Schluss, während Restaurants bis in die Nachtstunden noch warme Küche anbieten. Vielleicht macht sich der Nachwuchsmangel deshalb in seinem Betrieb nicht so stark bemerkbar. „Es ist nicht einfach, gutes Personal zu finden“, sagt Holger Selle. „Aber die Probleme sind nicht so groß wie in anderen Branchen.“