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Hausarzt dringend gesucht

Jeder fünfte Allgemeinmediziner im Landkreis Bautzen ist schon über 60. Aber nicht jede Praxis hat einen Nachfolger.

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© Steffen Unger

Jana Ulbrich

Dr. Günther Biesold könnte bei dem schönen Wetter jetzt auch in einem Spreewaldkahn sitzen. Oder im Fahrradsattel. Oder gemütlich mit einem Buch im Schaukelstuhl. Geht alles nicht. Dr. Biesold sitzt wie immer an seinem Schreibtisch in seinem Sprechzimmer. Und wie immer ist das Wartezimmer voll an diesem Vormittag, und die Liste für die Hausbesuche am Nachmittag ist lang.

© SZ-Grafik: Gernot Grunwald

Dr. Günther Biesold ist Hausarzt in Putzkau. Er ist jetzt 68 Jahre alt. Seine Arbeit macht ihm immer noch Freude, und er fühlt sich auch immer noch gesund und fit genug für die anstrengenden Arbeitstage. Aber er könnte auch längst sein Rentnerleben genießen. Manchmal, gibt er zu, reizt ihn der Gedanke an den Spreewald schon. Aber was würde dann aus seiner Praxis?

Eine besondere Lösung

Ein paar Jahre will der Arzt noch durchhalten. Eine Nachfolge-Lösung für seine Praxis ist – im Gegensatz zu manchen anderen – schon lange in Sicht. Es ist eine ziemlich Besondere. Denn Biesold bereitet sie schon seit zehn Jahren vor. Damals hat der Allgemeinmediziner aus Putzkau die Patenschaft über einen jungen Medizinstudenten übernommen, hat ihn begleitet, ihm jährliche Praktika in seiner Praxis ermöglicht. Es ist vereinbart, dass Alexander Thomas, der mittlerweile promoviert und sein Studium abgeschlossen hat, nach der Pflichtzeit als Arzt im Praktikum bei ihm auch die Facharztausbildung absolviert. Danach soll er die Praxis übernehmen. Aber ehe das so weit ist, ist es 2020. Dr. Günther Biesold wird dann 73 Jahre alt sein.

Inzwischen hat er noch eine andere junge Kollegin an seiner Seite, die ihn bei der Arbeit entlastet. Dr. Antje Heiser absolviert bei ihm ebenfalls ihre Facharztausbildung zur Allgemeinmedizinerin. Nächstes Jahr wird sie fertig. Ein Glücksfall für die Region. Denn die 35-Jährige, die jetzt in Rammenau lebt, würde nach dem Abschluss ihrer Ausbildung gern ebenfalls eine Praxis im Landkreis übernehmen. Theoretisch könnte sie sich eine aussuchen:

Viele Hausärzte im Kreis Bautzen suchen händeringend einen Nachfolger. Von den 210 niedergelassenen Allgemeinmedizinern sind bereits 45 über 60 Jahre alt, darunter 20 zum Teil schon weit über 65. Viele Praxen stehen bereits leer. Allein in den letzten beiden Jahren wurden im Kreis Bautzen neun Hausarztpraxen geschlossen, weil sich kein Nachfolger fand – vor allem in der Region um Kamenz und Hoyerswerda, wo es in jüngster Zeit gleich mehrere ersatzlose Praxisschließungen aus Altersgründen gegeben hat.

Anreize für junge Mediziner

Elf offene Niederlassungs-Planstellen hätte die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) im Kreis Bautzen derzeit zu vergeben. Nur für eine Einzige hat sich bisher ein Bewerber gefunden. Dabei locken Freistaat und KVS mit Investitionszuschüssen und Förderprogrammen, um junge Mediziner für eine Niederlassung im ländlichen Raum zu begeistern. Bisher allerdings nur mit mäßigem Erfolg.

Reiner E. Rogowski, Geschäftsführer der Oberlausitz-Kliniken und ihrer Tochtergesellschaft, der Oberlausitz Pflegeheim und Kurzzeitpflege gGmbH (OLPK) sieht auch noch ein anderes großes Problem: die vertragsärztliche Bedarfsplanung.

Beispiel Ohorn: Seit der einzige Hausarzt in der Gemeinde in den Ruhestand gegangen ist, steht die Praxis leer. Alle Bemühungen, einen Nachfolger zu finden, scheitern hier nicht an einem Nachfolger, sondern an der Statistik. Ob eine Niederlassung genehmigt wird oder nicht, hängt vom Versorgungsgrad ab, der sich nach der Anzahl der Einwohner in einem bestimmten Planungsraum richtet.

Andere Maßstäbe für den ländlichen Raum nötig

Ohorn gehört zum Planungsbereich Radeberg. Der aber ist statistisch gesehen mit Hausärzten überversorgt. Eine neue Praxiszulassung wird von der KVS in diesem Bereich nicht genehmigt. Die Ohorner haben das Nachsehen und müssen bis nach Pulsnitz, Bretnig oder Großröhrsdorf fahren, wenn sie zum Arzt wollen. Ein Unding, findet Reiner E. Rogowski, der schon seit Jahren als Vorreiter und Querdenker gilt, wenn es um die medizinische Versorgung auf dem Lande geht. „Wir können doch hier keine Gesundheitspolitik aus Sicht der großen Ballungsräume machen“, sagt er. „Für den ländlichen Raum müssen andere Maßstäbe gelten“.

Rogowski hätte da auch so einige Ideen und Visionen: Er könnte sich vorstellen, das Netz der Medizinischen Versorgungszentren zu erweitern, in denen Allgemeinmediziner ähnlich den Ärzten im Krankenhaus angestellt werden, wenn sie sich die finanziellen und bürokratischen Belastungen einer eigenen Niederlassung nicht zumuten wollen. Rogowski könnte sich auch „rollende Praxen“ vorstellen oder Möglichkeiten, das medizinische Potenzial in den Rettungswachen des Kreises auch für die medizinische Grundversorgung zu nutzen. Das aber müsste alles es erst einmal gesetzlich geklärt sein.

Sechs Medizinische Versorgungszentren hat er unter dem Dach der Oberlausitz-Kliniken bereits gegründet, in denen auch Hausärzte arbeiten. Auf seinem Tisch, sagt er, liegen weitere 55 Anfragen von Ärzten aus dem Kreis und darüber hinaus, die ihre Praxis abgeben wollen.