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Hauptkommissar als Zeugen-Chauffeur

Der Prozessauftakt gegen einen Angeklagten, der einen Mann erstochen haben soll, hat eine neue Überraschung offenbart.

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Von Alexander Schneider

Wie am Ende muss die Polizei sein, wenn Streifenbeamte in den Revieren nicht einmal mehr wichtige Zeugen zum Gericht bringen können? Gestern war es wieder so weit. Volker Wichitill höchstselbst, Chef der Mordkommission (Moko) der Dresdner Polizei, holte Jens S., einen 46-jährigen Alkoholiker, in einem Obdachlosenwohnheim ab und lieferte den Mann termingerecht vormittags in einem Prozess am Landgericht Dresden ab. Dort stellte man fest, dass S. bereits 2,09 Promille Alkohol im Blut hatte, was nun Fragen zur Verwertbarkeit seiner Zeugenaussage aufwirft.

Es war nicht das erste Mal. Schon im September hatte Wichitill einen Zeugen zu einem Totschlagprozess gebracht. Seine Beamten hätten viel zu tun, also habe er kurzfristig den Fahrerjob übernommen, soll der Moko-Chef damals zur Vorsitzenden Richterin Birgit Wiegand gesagt haben. Und nun waren die fahrerischen Qualitäten des Ersten Kriminalhauptkommissars also wieder in einem Schwurgerichtsprozess bei Richterin Wiegand gefragt. Der Mann hat die Aufgabe gemeistert.

Seit gestern muss sich Bogdan K., ein 59-jähriger Pole, wegen Totschlags verantworten. Laut Anklage hat K. am Abend des 5. März den 46-jährigen Silvio L. mit einem Messer in den Bauch gestochen. L. erlag noch in der Wohnung in dem Hochhaus in der Prohliser Allee einem Verblutungsschock. Es war eine Tat im Trinkermilieu.

K. bestreitet den Vorwurf. Ja, er sei mit einem Messer in der Hand in die Nachbarwohnung gegangen, weil deren Mieter Jens S. an die Wand geklopft habe. K. sagte, er sei hinüber gegangen und habe das Messer noch in der Hand gehabt. Er habe gerade Brot geschnitten. „Das war ein Fehler.“ In der Wohnung habe ihm Silvio L. das Messer aus der Hand gerissen, sagte K. Mehr könne er dazu nicht sagen. So ganz nahm ihm das Gericht die Aussage nicht ab. Zum Brotschneiden jedenfalls brauchte K. das Messer nicht. Sein Brot sei schon beim Einkauf geschnitten gewesen. Das Gericht hat bis Mitte November sechs Verhandlungstage geplant. Man darf gespannt sein, ob auch der Moko-Chef wieder einspringen muss.