Merken

Was die Käfer besonders stört

Jörg Lorenz ist Fachmann für die Insekten im Osterzgebirge. Er erklärt, wie man ihnen das Leben erleichtern kann.

Teilen
Folgen
NEU!
© Jörg Lorenz

Von Franz Herz

Sächsische Schweiz- Oszerzgebirge. Die kalte Jahreszeit geht zu Ende. Die Natur erwacht wieder zum Leben. Dazu gehören auch viele Käfer, gefürchtete wie bestimmte Arten der Borkenkäfer oder niedliche wie die Marienkäfer. Über das Leben der Käfer im Osterzgebirge sprach die Sächsische Zeitung mit Dr. Jörg Lorenz. Er hat in Tharandt Forstwissenschaft studiert, lebt heute in einem Dorf bei Meißen und hat sich als Entomologe spezialisiert, als Insektenkundler mit Spezialgebiet Käfer. Als solcher hat er die meisten Naturschutzgebiete zwischen Wilsdruff und Zinnwald erforscht. Er hat unter anderem im Naturführer Osterzgebirge das Kapitel zu den Käfern verfasst.

Der Eichelbohrer liebt die Wärme an Südhängen der Täler.
Der Eichelbohrer liebt die Wärme an Südhängen der Täler. © Jörg Lorenz
Der Grüne Edelscharrkäfer ist stark gefährdet.
Der Grüne Edelscharrkäfer ist stark gefährdet. © Jörg Lorenz
Ameisenbuntkäfer leben im Wald und fressen Borkenkäfer.
Ameisenbuntkäfer leben im Wald und fressen Borkenkäfer. © Jörg Lorenz

Herr Dr. Lorenz, der Winter ist vorbei. Die Käfer beginnen wieder zu krabbeln. Wie kommen diese Insekten über die kalte Jahreszeit?

Manche Käferarten überwintern als Ei, andere als Larve oder Puppe oder Käfer. Dies ist artspezifisch. Käfer haben ja diese verschiedenen Lebensphasen. Aus dem Ei schlüpft die Larve, die sich mehrfach häutet und dann verpuppt, ehe daraus der Käfer schlüpft, den wir kennen, wenn wir vom Käfer sprechen. Die meisten Käfer leben nur wenige Wochen, während die Larven bei einigen Arten mehrere Jahre zur Entwicklung benötigen.

Welche Voraussetzungen müssen die Tiere haben, um zu überwintern?

Wichtig ist es, dass sie Unterschlupf finden. Am besten ist ein vielfältiger, ungestörter Lebensraum, ein Heu- oder Laubhaufen, der liegenbleibt, ein morscher Baumstumpf, der viele Jahre braucht, um zersetzt zu werden oder eine artenreiche Wiese, die im Herbst nicht vollständig gemäht wird, sondern wo vertrocknete Blütenstände und Stängel bis zum Frühjahr erhalten bleiben. Kein wöchentlich kurz geschorener Rasen oder mit dem Laubbläser gereinigte Beete und Rabatten, dort finden sie keine Möglichkeit, zu überwintern. Der Hauptfeind der Käfer sind nicht Spitzmäuse oder Vögel, die sie fressen, sondern übertriebene Ordnungsliebe, die alle Strukturen beseitigt, wo die Käfer leben können.

Nun gibt es ja durchaus gefürchtete Käfer. Derzeit arbeiten die Förster fieberhaft daran, das Sturmholz aus dem Wald zu bringen, damit die Borkenkäfer nicht überhandnehmen. Wie ist das zu beurteilen?

Hier geht es nur um einige wenige Arten, wie beispielsweise den Buchdrucker. Insgesamt kennen wir rund 80 verschiedene Borkenkäferarten, von denen die wenigsten ein Problem bereiten. Wenn solche misslichen Situationen mit Massenvermehrungen nach Sturmschäden auftreten, ist das meist eine Folge davon, dass die falschen Baumarten an den falschen Standorten als Monokulturen gepflanzt wurden. In einem gesunden, stabilen Mischwald gibt es weniger Sturmschäden und noch seltener solche Kalamitäten.

Wie viele Käferarten gibt es eigentlich im Osterzgebirge?

Ich habe in meiner Arbeit fast alle Naturschutzgebiete zwischen dem Tharandter Wald und Zinnwald untersucht. Es sind mehr als 1700 Käferarten, die ich im Osterzgebirge bisher gefunden habe. Das sind etwa 40 Prozent aller Käferarten Sachsens, denn aktuell sind etwa 4 400 Arten nachgewiesen. Käfer besiedeln die verschiedensten Lebensräume. Laufkäfer sind meistens am Boden anzutreffen. Die Bockkäfer sind fast alle Holzbewohner. Aber es gibt eine Vielzahl weiterer Holz- und Pilzkäferarten, die an alten Bäumen oder im Totholz leben. Aber alte Bäume fallen zunehmend der Säge zu Opfer. Auch Bergwiesen und unverbaute Bäche und Teiche mit vielfältigen Uferzonen sind Lebensräume für eine artenreiche Käferfauna.

Wo finden sich die meisten Käfer?

Die besten Lebensbedingungen bieten die Naturschutzgebiete wie der Geisingberg bei Altenberg, der Hemmschuh bei Rehefeld-Zaunhaus oder die Weißeritztalhänge bei Tharandt. Der Weicholdswald zwischen Altenberg und Bärenstein gilt als Naturwaldzelle. Hier konnten über 400 Käferarten nachgewiesen werden. Und in den Moorgebieten auf dem Erzgebirgskamm leben ein paar Besonderheiten. An ganz wenigen Stellen ist ein spezieller Moorlaufkäfer anzutreffen. In Richtung Freital, wo es wärmer wird, kommt in alten Streuobstwiesen auch der Juchtenkäfer vor. Der entwickelt sich in Baumhöhlen und ist europaweit geschützt.

Nimmt die Zahl zu oder ab?

Es sind zwei gegenläufige Tendenzen zu beobachten. In den vergangenen Jahren hat eine Zunahme des Wissens über die Verbreitung und die Vorkommen der Insektenarten stattgefunden, weil es einerseits viel mehr Untersuchungen gegeben hat. Andererseits ist als Folge der Zunahme des Handels eine hohe Verschleppungsrate von Insekten zu verzeichnen, die auf natürlichem Wege nicht zu uns gelangen können. Sei es, dass sie aus Südeuropa per Lkw oder aus Übersee per Container oder Luftfracht hierher kommen.

Insgesamt ist aber eine deutliche Verschlechterung der Vorkommenssituation bei den meisten heimischen Insekten zu verzeichnen, was die flächenhafte Verbreitung betrifft.

In den meist isolierten Schutzgebieten sind die Arten vielleicht noch vertreten, aber auf den industriell bewirtschafteten Intensiväckern, den monotonen Forstplantagen und in den sterilen Einfamilienhaussiedlungen mit kurz geschorenem Einheitsrasen, fremdländischen Koniferen und Büschen sowie Hackschnitzel oder Steinschüttungen in den Rabatten gibt es faktisch keinerlei Lebensgrundlage mehr für sie.

Welchen Nutzen haben die Käfer?

Muss immer alles einen Nutzen haben? Es fragt sich: für wen? Nun, die Mist -und Aaskäfer sind beispielsweise die Gesundheitspolizei in der Natur. Wenn irgendwo Kot und tote Tiere liegen, räumen die Käfer und andere Insekten sie zügig weg. So wird die Ausbreitung von Seuchen verhindert und das organische Material wieder dem Stoffkreislauf zugeführt.

Viele Marienkäfer- und Weichkäferarten fressen Blattläuse und verhindern so deren Überhandnehmen. Laufkäfer fressen Schnecken. Die vielen Holzkäfer fördern auch den Stoffkreislauf. Sie bohren Löcher ins Holz oder fressen den Mulm in Baumhöhlen und machen daraus den besten Humus.

Nicht zuletzt bilden die Käfer eine Nahrungsgrundlage für eine Vielzahl weiterer Arten beispielsweise Spinnen und Vögel. Aber ich bin gegen das anthropozentrische Schädlings-Nützlings-Denken. Jedes Lebewesen hat seinen Platz in der Natur. Nur der „moderne“ Mensch passt da nicht so richtig rein, und es ist eine immer stärkere Naturentfremdung feststellbar.