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Hat Gröditz ein Demokratie-Problem?

Vor zehn Jahren ist das Bündnis für Demokratie und Zivilcourage entstanden. Im SZ-Interview blicken zwei Vorstände zurück – und kritisieren auch Stadträte.

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© Eric Weser

Von Eric Weser

Herr Ehme, Herr Arndt, hat Gröditz ein Demokratie-Defizit?

Thomas Arndt: Der ganze Osten hat eins.

Norbert Ehme: Sie müssten fragen, ob ganz Deutschland eins hat. Den Leuten ist oft zu wenig klar, dass sie in einer Demokratie leben, obwohl im Alltag so vieles demokratisch entschieden wird: Urlaubsplanung, Freizeitaktivitäten, Klassensprecher-Wahl.

44 Mitglieder

Gegründet wurde das Gröditzer Bündnis für Demokratie und Zivilcourage im Oktober 2007.

Mitglieder zählt der Verein 44, darunter die Stadt Gröditz, den CDU-Landtagsabgeordneten Sebastian Fischer oder Mitglieder aller Stadtratsfraktionen außer den Freien Wählern.

Finanziell unterstützt wird die Arbeit des Vereins unter anderem vom Land Sachsen, der Stadt Gröditz, Geldern der IG Metall. Das jährliche Budget ist eine untere fünfstellige Summe.

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Stadtpolitisch könnte man die Demokratie auf dem Rückzug sehen. Im Stadtrat gibt es keine Ausschüsse mehr. Ist das nicht auch ein Problem?

Arndt: Es ist nicht unsere Arbeit, über den Stadtrat zu wachen. Das ist ein gewähltes Gremium, das demokratische Entscheidungen trifft. Was ich eher kritisch sehe: Wenn wir als Bündnis eine Podiumsdiskussion mit Landtags-Fraktionschefs veranstalten, finden viele Stadträte nicht mal die Zeit, dorthin zu kommen.

Ehme: Beim Thema Bildung waren auch kaum Eltern da. Ich finde das schade, da es ja um ihre Kinder geht.

Sie feiern zehn Jahre Bündnis, was rechnen Sie sich als Erfolg an?

Ehme: Die Versachlichung der Debatte ums Thema Asyl. Als es damit 2012 losging, gab es ja große Emotionen und viel Aufregung. Wir haben damals im Bündnis kontrovers diskutiert, wie wir reagieren. Am Ende haben wir entschieden, einen ganzseitigen Appell im Röderjournal zu schalten, in dem wir die Bürger gebeten haben, die Asylbewerber als Gäste zu sehen und sie zu respektieren. Es gab auch danach noch Leute, die die Situation nicht gut fanden, aber die Emotionen waren raus.

Bündnis für Demokratie und Zivilcourage, das ist ein sperriger Name. In wenigen Worten: Was tun Sie eigentlich?

Ehme: Es gibt drei große Bereiche: Wir organisieren regelmäßig Fahrten in KZ- und Stasi-Gedenkstätten für Schulklassen, aber auch für jeden, den es interessiert. Wir wollen, dass die Leute nachdenken, was passieren kann, wenn totalitäre Regimes an die Macht kommen. Daneben veranstalten wir Demokratie-Projekte wie unsere Podiumsdiskussion mit Landtagsabgeordneten oder das Speed-Dating zwischen Schülern und Stadträten. Als Drittes organisieren wir mit einem Partner Kurse zur Präventionsarbeit in Kitas und Schulen.

Was heißt das genau?

Ehme: Bei diesen Kursen geht es um Persönlichkeitsbildung. Zum Beispiel, wie man Konflikte ohne Gewalt löst.

Arndt: Wir organisieren aber auch das größte Frauenfußball-Hallenturnier im Kreis ...

Ehme: ... und sind bei der Jugendweihe dabei. All unsere Projekte zusammengenommen, kommen wir auf 40 Termine im Jahr.

Beschäftigen Sie Mitarbeiter, die das alles organisieren?

Ehme: Nein, nicht mehr. Das passiert alles über uns als Ehrenamtliche.

Wir haben darüber gesprochen, was Sie geschafft haben in den letzten zehn Jahren. Was haben Sie nicht geschafft?

Ehme: Zum Beispiel, dass mehr Leute die Möglichkeit nutzen, Demokratie zu leben und zu unserer Podiumsdiskussion kommen.

Arndt: Uns fehlen junge Mitglieder. Viele sind im Erwachsenenalter. Wir haben zwar durch unseren Vorstandskollegen Marco Wegner, der hier Streetworker ist, Kontakt zur Jugend. In Beitritten hat sich das aber noch nicht niedergeschlagen.

Woran liegt das?

Ehme: Viele haben immer noch den Eindruck, dass wir parteipolitisch unterwegs sind.

Das könnte an der parteipolitischen Aktivität einiger Mitglieder liegen.

Ehme: Das Bündnis ist aber parteiübergreifend.

Arndt: Viele scheuen sich, gesellschaftspolitisch aktiv zu werden, weil sie sagen: Da muss man ja in einer Partei sein. Aber das stimmt nicht, bei uns wäre so jemand zum Beispiel genau richtig.

Dem Bündnis wurde eine gewisse Linkslastigkeit und eine reine „Anti-Rechts-Agenda“ nachgesagt.

Ehme: Der Kampf gegen Rechts hat bei der Gründung des Bündnisses eine wichtige Rolle gespielt.

Arndt: Das war ja damals die Zeit, als die Deutsche Stimme nach Riesa kam und die NPD in der Region sehr aktiv war.

Ehme: Aber wir sehen uns nicht als Kämpfer gegen Rechts, sondern sind gegen jegliche Form des Extremismus, sei er links, rechts oder religiös.

Am Freitag, 7. Juli, feiert das Bündnis mit Gästen ab 18 Uhr im Gröditzer Kultur- und Vereinszentrum Dreiseithof sein zehnjähriges Bestehen.