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Härtetest für Rolli-Fahrer

Der Regionalverkehr übt mit Gehbehinderten das Busfahren. Eine Dippserin kämpft darum, dass sie einsteigen darf.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Annett Heyse

Dippoldiswalde/Freital. Einfach Tür auf, reingehen, hinsetzen – was für den Großteil der Fahrgäste normal ist, ist für Elke Zemann inzwischen Stress pur. Denn die Freitalerin ist aufgrund einer Erkrankung derart schlecht zu Fuß, dass sie außerhalb ihrer Wohnung auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Nun steuert sie das sperrige Monstrum auf die Tür eines Busses zu, der eigens zu Übungszwecken am Freitaler Busbahnhof vorgefahren ist. Der Fahrer hat schon die Rampe ausgeklappt, aber die Vorderräder von Zemanns Rollstuhl schaffen es nicht über die Kante. Nervös steuert die Rentnerin zurück, nimmt abermals Anlauf, bleibt wieder hängen. „Ein bisschen nach hinten lehnen“, ruft ihr Ehemann ihr hinterher. Elke Zemann nimmt Schwung, presst den Rücken an die Lehne – und der Rollstuhl macht die Bewegung mit. Endlich ist sie im Bus, muss nun aber noch hin und her rangieren, bis sie halbwegs sicher steht. „Uff, wenn das im echten Busverkehr passiert...“, sagt sie und spricht den Gedanken lieber nicht aus. Später sagt sie dann: „Wenn alle zugucken, alle es eilig haben und der Fahrer seinen Fahrplan einhalten muss, halte ich doch die Leute doch nur auf.“ Es sind die Sorgen einer Rollstuhlfahrerin und sie ist da nicht die Einzige.

„Einsteigen in Bus und Bahn ist für behinderte Menschen extrem anstrengend“, sagt Mathias Dasse. Er arbeitet für den sächsischen Landesverband Selbsthilfe Körperbehinderter und hat gemeinsam mit dem Regionalverkehr Dresden ein Busfahrtraining organisiert. Es geht ums richtige Ansteuern der Rampe, ums Einparken im Bus, ums Aussteigen, ohne mit Schwung auf den Bürgersteig zu rollen oder gar zu kippen. Sechs Interessenten sind zum Training gekommen. „Einen Rollstuhl sicher zu steuern, ist nicht so einfach. Das muss gelernt sein“, sagt Mathias Dasse.

Das findet auch Matthias Hofmann. „Solange es nur geradeaus geht, gibt es keine Probleme“, erzählt der Freitaler. Aber Busse und Bahnen – schwierig. „Ich sage mir dann immer, ruhig bleiben. Aber wenn alle zuschauen und warten, dass ich endlich drin bin, werde ich nervös.“ Elke Zemann stimmt ihm zu. „Die sollen alle froh sein, dass sie nicht behindert sind.“

Wo es wirklich hakt und welche Probleme der Alltag von Rolli-Fahrern so mit sich bringt, ist auch für die Mitarbeiter vom Regionalverkehr eine neue Erfahrung. „Wir haben Rampen, Symbole an den Türen, extra Tasten für Rollstuhlfahrer“, zählt Unternehmenssprecher Volker Weidemann auf. Die gesamte Busflotte sei zu 100 Prozent barrierefrei und die Fahrer seien geschult, beim Ein- und Ausfahren behilflich zu sein. Einerseits. Andererseits sind es die kleinen Dinge, die wie dicke Steine im Weg liegen. Nicht alle Haltestellen sind behindertengerecht umgebaut. Und manche Bus-Stopps sind derart eng, dass schlicht der Anlauf fehlt, um den Rollstuhl so in Schwung zu bringen, damit er die Rampe problemlos schafft. „Machen Sie sich bemerkbar. Sprechen sie die anderen Fahrgäste an und bitten um Hilfe“, rät Mathias Dassler.

Doch was nützt es, wenn man erst gar nicht in den Bus hinein darf. Heike Wend aus Dippoldiswalde ist aufgrund Multipler Sklerose auf einen Rolli angewiesen. Jahrelang hatte sie einen mechanischen Krankenfahrstuhl. Vor zwei Jahren stieg sie auf einen elektrischen Rolli um. „Ich wollte aber nicht so einen typischen Rollstuhl. Da sehe ich ja absolut krank darin aus“, meint die 48-Jährige. Im Internet stieß sie auf das Angebot eines Herstellers aus Süddeutschland. Die Firma baut Segways, also die Stadtflitzer auf zwei parallel gelagerten Rädern, zu Rollstühlen um. Das sportliche Gerät hat ein Versicherungskennzeichen – und damit darf sie in Sachsen nicht im Bus mitfahren. „Seit eineinhalb Jahren kämpfe ich darum, dass ich dafür eine Erlaubnis bekomme und dass sich das hier durchsetzt“, schildert sie. In Süddeutschland und auch im Urlaub an der Küste sei das problemlos gegangen. „Da wurde ich ohne Diskussionen mitgenommen.“

Die Männer vom Regionalverkehr können nur auf Vorschriften und versicherungsrechtliche Punkte verweisen. „Wir werden uns bemühen, das zu klären“, verspricht Weidemann. Heike Wend selbst will auch weiterkämpfen. „Ich habe im sächsischen Verkehrsministerium angerufen und dort um einen Gesprächstermin gebeten.“ Die Dippoldiswalderin hofft auf eine Lösung und hat sich schon für den nächsten Übungstermin angemeldet: Am 21. April gibt es den Kurs „Bahnfahren in Dresden“. Treffpunkt ist an der Gleisschleife im Stadtteil Coschütz.

Tipps für Körperbehinderte zum Fahren in Bahnen und Bussen gibt es unter www.selbsthilfenetzwerk-sachsen.de. Kontakt zum Landesverband unter Tel. 0351 47935017.