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Händler kämpfen ums Überleben

Seit Monaten wird in der Innenstadt gebaut. Kunden bleiben dadurch weg. Dabei gäbe es einfache Lösungen.

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© Claudia Hübschmann

Von Jürgen Müller

Lommatzsch. Nein, die typische Einkaufsstadt ist Lommatzsch nicht. Zahlreiche Läden in der Innenstadt stehen leer. Diejenigen, die noch geöffnet haben, kämpfen oft um ihre Existenz. Im Moment ist es besonders schwierig. Denn seit Monaten wird in der Innenstadt gebaut, zahlreiche Geschäfte sind mit dem Auto nicht mehr und zu Fuß nur schwer zu erreichen. Die Händler klagen über dramatische Umsatzeinbußen. Bei Susanne Hoppstock an der Döbelner Straße wird praktisch vor der Tür gearbeitet. Vor drei Jahren hat sich die ehemalige Schlecker-Frau selbstständig gemacht, richtete in den früheren Räumen von Schlecker eine Drogerie ein. Das Geschäft lief gut – bis im Mai die Bauleute anrückten. Seitdem hat sie Umsatzeinbußen von etwa 40 Prozent. Das blieb nicht ohne Konsequenzen. Ihre einzige Angestellte musste sie entlassen. Diese arbeitet jetzt nur noch auf 165-Euro-Basis. „Wie lange das so bleiben wird, weiß ich nicht, mindestens aber bis die Arbeiten beendet sind und die Straße wieder offen ist“, sagt sie.

Verzweifelter Kampf um Kunden: Trotz Baustelle ist geöffnet.
Verzweifelter Kampf um Kunden: Trotz Baustelle ist geöffnet. © Claudia Hübschmann

Gleich gegenüber befindet sich eine Filiale der Bäckerei Krell aus Leuben. Auch hier haben die Bauarbeiten Spuren hinterlassen. „Bisher ging es noch, aber seit der Fußweg aufgerissen ist, bleiben auch viele der restlichen Kunden weg“, sagt Verkäuferin Heidi Schwärig. Die Hälfte des Umsatzes sei weggebrochen. Auch hier gab es schon Konsequenzen, die Öffnungszeiten wurden verkürzt, es gibt jetzt „Baustellenöffnungszeiten“. Statt 18 Uhr ist jetzt in der Woche nur noch bis 17 Uhr geöffnet. „Vorher kamen viele Kunden nach Dienstschluss mit dem Auto. Seit das nicht mehr geht, bleiben diese Kunden ganz weg“, so die Verkäuferin. Das Geschäft nach 17 Uhr offen zu halten, lohne sich derzeit nicht.

Die große Leere herrscht auch im Sport- und Spielgeschäft Rakette. Norbert Rakette, der das Geschäft vor 24 Jahren gründete, hat viel Zeit zum Plaudern. „Seit den 90er Jahren ging es mit dem Umsatz stetig bergab. So schlimm wie jetzt war es aber noch nie“, sagt der 57-Jährige, der das Geschäft inzwischen an seinen Sohn übergeben hat und bei diesem angestellt ist. In den Anfangsjahren zählte die kleine Firma vier Mitarbeiter. Daran ist heute nicht mehr zu denken, in der gegenwärtigen Situation gleich gar nicht. Auf etwa 20 Prozent schätzt Norbert Rakette die Umsatzeinbußen aufgrund der Bauarbeiten und Straßensperrungen. Das kann auch durch Verkäufe im Internet nicht kompensiert werden. Doch er sieht als Ursache für den Niedergang des Handels in Lommatzsch durchaus nicht nur die Bauarbeiten. „Es fehlt im Stadtzentrum einfach ein Zugpferd, ein Zentrum, das Kunden anzieht. Discounter am Stadtrand helfen uns Händlern in der Innenstadt überhaupt nicht“, sagt er.

Dass weniger Kunden kommen, sei aber auch ein hausgemachtes Problem, sagt Antje Harder. Die 44-Jährige hat seit 15 Jahren einen An- und Verkauf an der Döbelner Straße. Sie klagt jetzt über 40 Prozent weniger Umsatz. „Es ist ganz hart an der Grenze“, sagt sie. Dabei gäbe es ihrer Meinung nach einfache Lösungen. Die Ausschilderung verwirre Kunden und schrecke sie ab. „Wenn man die Frauenstraße hochfährt, kommt ein Schild Sackgasse und keine Wendemöglichkeit. Da fährt natürlich niemand rein, obwohl das geht, man hinter der Kirche entlangfahren und man dort auch parken kann“, sagt sie. Gemeinsam mit anderen Händlern war sie im Rathaus bei der Bürgermeisterin. „Ich habe dort aus Verzweiflung geheult“, sagt sie. Klar müssten die Straßen gemacht werden, aber die Ausschilderung sei eine Katastrophe.

Viele Händler ärgert zudem, dass die Bauarbeiter in der Regel spätestens um 15 Uhr die Schaufel aus der Hand legten. Würde zweischichtig oder wenigstens bis zum Einbruch der Dunkelheit gearbeitet, ginge alles viel schneller, sagen sie. Auch sonnabends sei Ruhe auf der Baustelle. „Mein Freund ist auf dem Bau in Dresden, der muss auch sonnabends ran“, so Antje Harder.

Appell an die Kunden

Bürgermeisterin Anita Maaß (FDP) hat Verständnis für die Nöte der Händler. Die Baufirma bemühe sich, eine Zugänglichkeit der Geschäfte sicherzustellen. Zeitweise ließe sich jedoch die Sperrung des Kirchplatzes und des Kreuzungsbereiches Döbelner Straße und Kirchplatz nicht vermeiden. Sie appelliert an die Kunden: „Bitte laufen Sie ein paar Schritte. Die Schotterdecke ist zwar uneben, aber passierbar. Die Parkplätze in der Kornstraße und derzeit noch neben dem Rathaus sind nicht weit entfernt“, sagt sie. Auch die Bürgermeisterin ärgert der Bauverzug, der durch einen Stillstand der Arbeiten durch die Enso verursacht wurde. Wenn das Wetter mitspiele, sollen die Arbeiten im November abgeschlossen sein. Jedenfalls für dieses Jahr. Doch 2017 gehen die Arbeiten weiter. Dann sollen die Straße hinter dem Rathaus und Fußwege im Innenstadtbereich gebaut werden.

Norbert Rakette gibt der Bürgermeisterin keine Schuld: „Sie muss doch nur ausbaden, was einst von anderen versäumt wurde. In den 90er Jahren wurde die Innenstadt vernachlässigt. Zwar wurden Häuser saniert, Straßen - und Kanalarbeiten jedoch vernachlässigt“, sagt er. Jetzt müsse das eben nachgeholt werden.