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Gut für Deutschland, schlecht für Dresden

Zwei Dresdner Trainer hadern mit dem Speerwurf-Weltmeister. Und doch gibt es auch Verständnis für Johannes Vetter.

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© dpa

Von Jochen Mayer und Alexander Hiller

Die Ansage war deutlich. „Ich glaube, die in Dresden werden sich jetzt gewaltig in den Arsch beißen. Das sollen sie auch tun.“ Das sagte Speerwurf-Weltmeister Johannes Vetter in der Stunde seines größten Erfolges über seinen Ex-Verein. Der einzige deutsche Leichtathletik-Weltmeister beklagte in London, dass der Dresdner SC ihn nicht genügend gefördert habe.

Katharina Wünsche Ex-Trainerin von Johannes Vetter
Katharina Wünsche Ex-Trainerin von Johannes Vetter

Mit der Förderung war es tatsächlich so eine Sache. Für Werfer drohte in Dresden vor zwölf Jahren das Licht auszugehen: Nicht förderwürdig, hieß es. Das akzeptierte Steffen Krüger nicht. Der einstige Trainer von Ute Richter, die 1980 um winzige zwei Zentimeter Speer-Olympiabronze in Moskau verpasst hatte, wollte zusammen mit Katharina Wünsche „die Werferei in Dresden retten“, Talenten der Region eine Chance geben. Aber er bekam ins Gesicht gesagt: „Du kannst es machen, bekommst aber null Unterstützung“, wie Krüger am Montag gegenüber der SZ berichtete.

Der Plan war, dass sich Vetter, Lars Hamann und Richard Oelsner – inzwischen als Bobpilot Junioren-Weltmeister – gegenseitig vorantreiben. Die Schwierigkeit: Der inzwischen 73-jährige Krüger ist seit 2005 Rentner, trotz aller Fitness „zwickt und zwackt es mal“. Er arbeitet weiter im Ehrenamt, Wünsche ist als Sportlehrerin im Schuldienst eingebunden, kann kaum in Trainingslager mitreisen.

Krüger ahnte früh, dass Vetter mal ein Großer werden kann. „Er hat die gleiche Muskulatur wie Gunther Rodehau“, zieht der Trainer einen Vergleich mit dem einstigen DDR-Rekordhalter im Hammerwerfen. „Geschmeidig und beweglich sind die Muskeln bei beiden.“ Dabei war Vetters Kraftpotenzial in Dresden als große Reserve gesehen und noch gar nicht angetastet worden. „Phänomenal, was dabei jetzt herausgekommen ist“, sagt Krüger und doch klingt es bitter, wenn er anfügt: „Der erste Schock war für mich, als Richard zum Bob wechselte, dann ging Johannes, ohne sich zu verabschieden oder ,Danke‘ zu sagen. Dabei wurden seine Grundlagen in Dresden gelegt.“ Fast trotzig klingt sein: „Aber wir machen weiter.“

Das sieht auch Katharina Wünsche so, denn Vetter hatte in Dresden als 21-Jähriger knapp 80 Meter geworfen. „Das ist nicht ganz schlecht. Dass er sich in seinem Alter technisch weiterentwickeln kann und muss, halte ich für ganz normal“, sagt die Trainerin und verweist auf das Potenzial: „Kraft hatte er damals schon, aber da wog er noch 80 Kilo, jetzt sind es 105. Wir wollten ihn ganz behutsam aufbauen.“ Und sie rätselt, ob er sich in Dresden auch so entwickelt hätte wie bei Bundestrainer Boris Obergföll in Offenburg. „Wir können ihm nicht das Gegenteil beweisen“, gibt sie zu und zählt auf: „Die ersten Schritte hat er hier bei uns gemacht. Wir haben ihn durch die Schule, zum Abitur, durch die Pubertät gebracht. Ich habe ihm eine Stelle bei der Landespolizei besorgt. Er wäre jetzt nicht dort, wo er ist, wenn wir nicht ordentlich mit ihm gearbeitet hätten.“

Sie ärgert immer noch, wie der Vereinswechsel 2014 über die Bühne ging. „Alle wussten es, nur ich als seine Trainerin habe zuletzt davon erfahren. Und das nicht einmal von ihm persönlich. Er hat mit mir nicht ein Wort darüber geredet, sich nicht mal verabschiedet.“ Sie sprach den Bundestrainer auf die fehlende Kommunikation an. „Er sagte mir, dass das der Athlet selbst entscheiden muss“, bekam sie als Antwort. „Die ganzen Umstände des Wechsels und dann jetzt so nachzukarten – das macht man nicht. Das ist menschlich enttäuschend.“

Nach dem Vereinswechsel löschte Wünsche ihre Vetter-Kontaktdaten aus dem Handy, „die Enttäuschung saß einfach zu tief. Wenn wir uns heute sehen, grüßen wir uns kurz, und das war es dann.“ Und sie erzählt vom Beinahe-Ausstieg Vetters aus der Leichtathletik. In der Altersklasse U16 sollte der am Sonnabend zum Weltmeister gekürte Sachse vom Sportgymnasium ausgeschult werden, „weil er in keiner Disziplin die erforderliche Norm vorweisen konnte. Er war damals noch kein überragender Werfer, aber hinterließ beim Speerwerfen einen guten Eindruck. Also habe ich bei der Schule durchgesetzt, dass er zumindest ein Jahr bleiben kann, mit der Maßgabe, dass er sich entsprechend weiterentwickelt. Das haben wir geschafft. Wenn ich damals Nein gesagt hätte, wäre er für die Leichtathletik vielleicht verloren gewesen. Das hat er wahrscheinlich vergessen.“

Trotz aller Frust-Erinnerungen lobt Wünsche den London-Auftritt ihres Ex-Schützlings: „Wie er sich bei der WM verkauft hat, war genial. Hut ab vor dieser Leistung, das war hervorragend.“ Und sie verweist auf ihren Athleten Lars Hamann, der als viertbester deutscher Speerwerfer keinen Platz im WM-Team fand: „Er steigerte sich auf 86,71 Meter, er entwickelt sich auch weiter.“ Und mit Lisa Weißbach stellt der DSC die deutsche U-20-Meisterin, die bei der Junioren-EM gestartet ist, die „perspektivisch eine Große werden kann. Wir scheinen also nicht alles falsch gemacht zu haben.“

Der neue Hoffnungsträger der deutschen Leichtathletik bekommt aber auch Zuspruch aus Dresden. „Vetter hat es richtig gemacht“, sagt Dietmar Jarosch, der zur selben Zeit, als der Werfer den Verein verließ, seinen Posten als DSC-Cheftrainer hinwarf. Begründung: Unter Dresdner Bedingungen lassen sich keine Weltklasse-Athleten entwickeln. Über Vetter sagt Jarosch: „Der Junge ist intelligent, er hat sich Gedanken gemacht, hat für sich eine Potenzialanalyse erstellt“, vermutet er und kam zum Ergebnis, dass „das Dresdner Umfeld mit dem Werferplatz nicht ideal ist. In seinem ersten Trainingslager in Südafrika war zudem kein Heimtrainer dabei, es gab erstmals engen Kontakt zum Bundestrainer. Da ist es logisch, dass ein junger Athlet ins Grübeln kommt, materielle Dinge werden keine Rolle gespielt haben.“

Im Frühjahr war Jarosch mit zwei Läufern in Südafrika und erlebte aus der Distanz die heutige Konstellation unter den deutschen Speerwerfern: „Drei hatten ihren Heimtrainer dabei – nur der Dresdner Lars Hamann nicht. Da ahnte man schon, wie die WM-Qualifikation ausgeht. So kam es leider auch …“ Als einstiger Cheftrainer sah er die Probleme mit der guten Speerwurfgruppe, die sich entwickelte. „Aber ob das für die absolute Weltspitze gereicht hätte, für den i-Punkt auf der Entwicklung, da habe ich meine Zweifel. Für die deutsche Leichtathletik war Vetters Wechsel natürlich gut, für Dresden allerdings schlecht. Wenn sich nichts ändert, gibt es solche Wechsel auch künftig.“