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Gut drauf im Seniorenhaus

Seit 10 Jahren gibt es das altengerechte Wohnen der Awo in Bischofswerda.

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© Steffen Unger

Von Constanze Knappe

Bischofswerda. Mit der Nachbarin beim Kaffee sitzen, für Ilse Barber ist das die selbstverständlichste Sache der Welt. Zumal Käthe Grunzel mit ihrem grünen Daumen dafür sorgt, dass es in dem kleinen Innenhof des Seniorengerechten Wohnens am Neumarkt in Bischofswerda grünt und blüht. Die 87-Jährige müsste sich nicht um die Pflanzen kümmern. Sie macht es gern, weil sie ursprünglich aus einer Landwirtschaft stammt und bis heute eine Vorliebe fürs Grüne hat. Besonders für die Knollenbegonien, deren Zwiebeln sie im Winter vorsorglich in Papier wickelt, damit im Januar neue Triebe sprießen. „Über zehn Jahre sind die Begonien alt“, sagt Käthe Grunzel. Sie brachte sie mit, als sie 2006 als eine der Ersten in das Objekt der Arbeiterwohlfahrt (Awo) einzog. Am Mittwoch wird dort das zehnjährige Bestehen gefeiert.

Von dem früheren Haus waren nur die Außenwände stehengeblieben. Zusammen mit ihrem Mann verfolgte Käthe Grunzel den Bau am Neumarkt. Da war mit keiner Silbe daran zu denken, dass sie selbst einmal dort wohnen würde, sagt sie. In Schlesien geboren, kam sie 1947 mit Mutter und vier Geschwistern nach Bischofswerda. Sie arbeitete in einer Hauswirtschaft, dann 15 Jahre als Krankenschwester in Entbindung und Chirurgie des Krankenhauses Bischofswerda. 1989 ging sie in den Ruhestand. Da wohnte sie mit ihrem Mann in dessen Elternhaus. Nach seinem Tod 2004 wurde es für sie immer schwerer, das Haus alleine zu bewirtschaften. Zumal ihr Sohn in Bayern lebt. Sie entschloss sich zum Verkauf. „Um nicht darauf warten zu müssen, bis jemand helfen kommt“, wie sie sagt. Durch Zufall stieß sie 2006 auf den Tag der offenen Tür in der Awo-Einrichtung. Sie ging hin und hatte drei Tage später Mietvertrag und Schlüssel in der Tasche. Für eine Zwei-Raum-Wohnung mit 54 Quadratmetern. In einem Haus, in dem sie sich selbst um nichts mehr kümmern muss. „Besser geht es nicht“, sagt sie voller Überzeugung.

Super Wohnung im Bahnhof

Etwas größer ist die Wohnung von Ilse Barber, die zwei Jahre später dort einzog. Sie stammt aus Bernbruch bei Kamenz und lebt seit 1964 in Bischofswerda. In die Stadt zogen sie und ihr Mann, weil dieser bei der Bahn tätig war. „Wir bekamen eine super Wohnung im Bahnhof. Geheizt wurde von unten“, erinnert sie sich. Sie selbst war 25 Jahre bei der Staatsbank in Bischofswerda und drei Jahre in Dresden tätig. 2008, da war ihr Mann bereits vier Jahre tot, musste sie wegen Bauarbeiten aus dem Bahnhof raus. Mehrere Wohnungen schaute sie sich an. Mit dem Gedanken an das Objekt am Neumarkt konnte sie sich erst gar nicht anfreunden. „Ich gehe doch nicht ins Altersheim“, habe sie damals gedacht. Ihre Schwiegertochter hingegen sah es lockerer und zog gleich bei der ersten Besichtigung die Schmiege aus der Tasche. Nur ihr schöner großer alter Bücherschrank habe nicht reingepasst, bedauert Ilse Barber noch immer. Sie fand einen Ähnlichen etwas Kleineren, in dem sie die Karl-May-Buch-Sammlung ihres Mannes aufbewahrt. Sie fühlt sich wohl in ihrer Wohnung. Zwei Zimmer, Küche, Bad und Balkon. Ein Bild ihres Lieblingskomponisten Franz Liszt. Goethe mag sie besonders und Balladen von Ludwig Uhland. Ilse Barber gerät ins Schwärmen. Klavier habe sie eine Weile nicht mehr gespielt, sagt die 81-Jährige und greift in die Tasten. Über ihr einstiges Vorurteil vom Altenheim könne sie nur lachen. Jeder in dem Haus gestalte sein Leben, wie er es gerne möchte. Sie und Käthe Grunzel kochen noch selbst, andere lassen Essen kommen, was und von welchem Anbieter entscheidet jeder selbst.

Notrufsystem für alle Mieter

In dem Haus wohnen 18 Bewohner in 16 jeweils abgeschlossenen Wohnungen. Objektleiterin Martina Füllner verweist auf 60 Prozent Leerstand im ersten Jahr. Da sei die Idee dahinter noch nicht so bekannt gewesen. Für eine Betreuungspauschale zur Miete sind alle Bewohner mit einem Notrufsystem verbunden, es gibt Reinigungskraft und Hausmeister. Der wechselt auch mal eine Glühbirne oder kümmert sich um eine quietschende Schranktür. Das Seniorengerechte Wohnen ist so beliebt, dass es für das Haus sogar eine Warteliste gibt. In der Begegnungsstätte im Erdgeschoss finden Veranstaltungen statt, kommen die Kinder der Kita Frankenthal zum Singen und Basteln mit den Senioren. „Nur zwei der Bewohner sind unter 80 Jahre. Alle können ein selbstständiges Leben führen, auch wenn einige dabei die Unterstützung eines Pflegedienstes brauchen“, erklärt Martina Füllner. Freundschaften sind über die Jahre entstanden. Die Senioren sind reiselustig und zumeist noch recht fit. Wie Ilse Barber, die täglich mit dem Fahrrad in ihren Garten oder zum Einkaufen fährt. Oder Käthe Grunzel, die am liebsten strickt. Fleischer, Bäcker und Markt um die Ecke, das sei ein großer Vorteil, sagt sie. Händler wie Gemüse-Teich oder der Käseladen auf der Bautzener Straße hätten sich auf die Bedürfnisse der Alten eingestellt. Käthe Grunzel wünscht sich Sitzbänke am Napoleonsteig, wo sie oft spazieren geht. Ilse Barber ärgert, dass wegen der Außenbewirtschaftung der Gaststätten am Markt zu wenig Platz auf dem Fußweg bleibt. „Und eine Kaufhalle in der Stadt fehlt“, darin stimmen die beiden Frauen überein. Einig sind sie sich auch darin, dass sie aus ihrem schönen Zuhause um nichts in der Welt mehr weg möchten.