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Gut behütet

Elise Schneider-Marfels ist als Putzmacherin eine handwerkliche Seltenheit.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Carina Brestrich

Nichts geht ohne den Holzkopf: Elise Schneider-Marfels stülpt eine dünne Wollmütze über den hölzernen Schädel, der vor ihr steht. Die Halbkugel ist mit Hunderten kleinen Löchern übersät. Hat sich etwa der Holzwurm durch den Kopf gefressen? „Nein, das ist von den Nadeln“, sagt sie. Aber die sind erst später an der Reihe. Erst kommen die Mützen. Mit ihnen fängt jeder Hut an. Je nach Kopfumfang ihrer Kunden zieht Elise Schneider-Marfels mehrere über den Holzkopf. Diesmal reichen zwei. „Ein Herrenkopf mit schmaler Krempe wird das“, sagt sie. Manchmal werde die Form auch als Trilby bezeichnet. „Ein Hut wie Humphrey Bogart einst getragen hat: oben der Teich, vorn die zwei eingedrückten Dellen, die Augen.“

Elise Schneider-Marfels ist Modistin, früher auch Putzmacherin genannt. Die 26-Jährige fertigt, reinigt und weitet Kopfbedeckungen aller Art. Dazu hat sie sich vor zwei Jahren ein kleines Atelier in der Dresdner Neustadt eingerichtet. Mit Laura Wedell, einer befreundeten Schneiderin, betreibt sie das Geschäft samt Werkstatt. Ihre berufliche Basis hat sie ursprünglich in Kreischa. In ihrem Elternhaus betreibt sie ein Lädchen. Immer montags ist Elise Schneider-Marfels dort. „Aber von Kreischa allein lässt sich eben nicht leben.“

Der Dämpfer spuckt. „Das macht er beim Warmwerden immer“, sagt sie und drückt ein Küchentuch auf den metallenen Schnorchel. Wenige Augenblicke später sprüht die Maschine feinsten Wasserdampf aus. Elise Schneider-Marfels hält einen dunkelroten Hutstumpen in die Wolke. Der Stumpen ist eine Art Hutrohling. Er besteht aus Kaninchenhaar und wird durch die warmen Wassertröpfchen formbar. Nur noch wenige Händler in Deutschland bieten Stumpen an. Überhaupt wird für Hutmacher kaum noch Werkzeug produziert. Bei Elise Schneider-Marfels hat deshalb fast jedes ihrer Geräte mehr Arbeitsjahre auf dem Buckel als sie selbst. Für ihre Werkstatt ist die Modistin im Internet fündig geworden – und in der Zeitung. „Über eine Annonce konnte ich das Inventar einer alten Hutmacherin in Dresden-Lockwitz aufkaufen.“

Als Hutmacherin ist Elise Schneider-Marfels eine Rarität. Nur fünf Modisten gibt es laut Handwerkskammer Dresden in deren Zuständigkeitsbereich. Auf den Köpfen ist Hut eben nur noch selten zu sehen. Vor hundert Jahren war das ganz anders. Allein in Elises Heimatstadt Kreischa gab es früher fünf Hutfabriken. Die Verbindung zu dieser Hutmachertradition sei aber Zufall, sagt Elise Schneider-Marfels. Ihr Vater ist Geigenbauer, die Mutter Floristin. Und was sie selbst mal werden will, das wusste sie nach der Schule zunächst nicht. Ein Praktikum in der Schneiderei der Semperoper sollte helfen. Doch zwei Wochen Knöpfe annähen, brachte keine Erkenntnis. Eine Führung durchs Haus am Ende des Praktikums dagegen schon. Die führte damals auch in die Putzmacherei. „Ich sah das und war ganz verzaubert“, erzählt Elise Schneider-Marfels. Nur wenige Monate später begann sie in einem Hutgeschäft am Ku’damm in Berlin ihre Ausbildung zur Modistin.

Etliche Nadeln durchdringen den Kopf. Den Holzkopf. Elise Schneider-Marfels hat den feuchtwarmen Hutstumpen über die Mützen gezogen und mit einem Gummiband und Stecknadeln fixiert. Jetzt beginnt der schwierigste Teil: das Formen der Krempe. Mit beiden Händen und etwas Kraft zieht Elise Schneider-Marfels den Filzrand unterhalb des Gummis in die Breite. Fünf bis sechs Runden und ein gutes Augenmaß sind nötig, bis die Krempe gleichmäßig ist. Das Formen per Hand ist ihre Spezialität. „Es gehört heute nicht mehr zur Ausbildung, aber meine Lehrmeisterin hat darauf Wert gelegt“, sagt sie.

Nun hat der Hut eine Nacht Pause zum Trocknen. Danach muss er ein letztes Mal ins Dampfbad. Erst fast zum Schluss bekommt das Modestück sein Markenzeichen: Der runde Hutkopf wird mit den Fingern zum Teich eingedrückt, die Vorderseite bekommt die typischen Augen. Danach bügelt Elise Schneider-Marfels die Krempe platt, schneidet sie auf die gewünschte Breite und näht innen das Futterband ein. Als letzter Schritt folgt die Garnitur. Die fällt beim Trilby schlicht aus. Ein einfaches schwarzes Hutband vollendet ihn.

Elise Schneider-Marfels ist überzeugt: Der Hut wird nie ganz aus der Mode kommen. Im Gegenteil: Inzwischen sei er wieder im Aufschwung. „Neulich hatte ich einen Kunden. Er war 17 und wünschte sich unbedingt einen Hut“, erzählt sie. Den hat er auch bekommen – zu Weihnachten. Elise Schneider-Marfels ist immer noch gerührt. „Das Budget, das ihm seine Familie zur Verfügung gestellt hat, hat er ausgerechnet in einen Hut von mir gesteckt.“ Natürlich ein Modell à la Humphrey Bogart.

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