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Güterzüge rasseln Dresdner krank

Wer an einer Bahnstrecke wohnt, braucht besonders dichte Schlafzimmerfenster. Und noch viel Geduld.

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© Sven Ellger

Von Christoph Springer

Dresden. Es scheppert, knirscht und quietscht immer lauter. In Sekunden wird das Geräusch vom kaum wahrnehmbaren Zirpen zum infernalischen Orkan. „Moment mal“, kann Mocia Woch gerade noch ins Telefon rufen, dann ist von ihr nichts mehr zu hören. Funkpause, eine Minute lang. Als es weg ist, meldet sich die 33-jährige Frau wieder. „Hallo? Das war ein Güterzug.“

Mocia Woch wohnt in Alttrachau, nur reichlich 100 Meter entfernt von der Bahnstrecke nach Radebeul. Dachgeschoss im vierten Stock, zwei Zimmer, ein kleiner Balkon – eigentlich ist die Wohnung perfekt für die gebürtige Polin und ihren Freund. Wenn da nicht die Eisenbahn wäre. Seit auf der Strecke durch Radebeul auch Güterzüge fahren, muss die 33-Jährige Lärm ertragen, der Gespräche unmöglich macht. „Auf dem Balkon können wir uns nicht mehr unterhalten, wenn ein Zug vorbeifährt“, sagt die junge Frau, die in Dresden als Sozialarbeiterin beschäftigt ist. Dann ist Sendepause. „Man hört die Züge auch, wenn die Fenster zu sind“, erzählt sie weiter. Nachts wird sie davon wach, außerdem hat sie sich immer noch nicht an die Zwangslüftung gewöhnt, die man ihr vor etwa einem Jahr im Schlafzimmer montiert hat. Jetzt kann sie nachts zwar das Fenster schließen und die Züge stören dann weniger. Dafür hört sie nun das Surren des Lüfters.

Die junge Frau aus Trachau will den Lärm nicht mehr hinnehmen. Deshalb hat sie sich Hilfe gesucht im Kampf gegen das Rasseln und Quietschen der Züge. In Dresden ist sie dabei nicht fündig geworden, obwohl jede Menge Güterzüge quer durch die Stadt fahren und laut Umweltamt rund 7 600 Dresdner Bahnlärm ertragen, „der als gesundheitsrelevant eingestuft werden muss“. Das hat laut Umweltamtsleiter Christian Korndörfer eine Untersuchung des Eisenbahn-Bundesamtes ergeben. Die Dresdner die diesen Lärm ertragen müssen, wohnen unter anderem nahe der Strecke von Niedersedlitz zum Hauptbahnhof, in der Friedrichstadt, in Cossebaude und Niederwartha. Denn dort fahren regelmäßig Güterzüge. Danach wechseln die Züge über die Elbe nach Coswig und nerven dort seit Jahren die Anwohner. Deshalb ist dort der Verein Bürgerinitiative (BI) Bahnemission-Elbtal entstanden. Seit sechs Jahren kämpft er gegen Bahnlärm. Oder, wie es Marco Kunze, einer der zwei Vorstandsvorsitzenden des Vereins viel lieber sagt, „für eine leise Bahn“.

Aus Strehlen und von der Wiener Straße kennt er eine Handvoll Mitstreiter, auch eine Frau aus Reick, die gar nicht in der Nähe einer Bahnstrecke wohnt, hat die BI bereits unterstützt. Das wars in Dresden. „Da tut sich nix“, bedauert Kunze. Er ist überzeugt, dass die Schlagkraft des Vereins mit der Zahl der Mitglieder wächst. Derzeit sind es etwa 180, berichtet der BI-Vorstand, der in Coswig selbst etwa 300 Meter neben der Bahntrasse gebaut hat. „Wir versuchen, das nicht nur lokal zu sehen“, erklärt er die BI-Strategie. „Wenn ich eine Lösung haben will, muss ich viele Betroffene haben, um das der Politik zeigen zu können.“

In Coswig ist das gelungen. Vor zweieinhalb Wochen hat die Bahn dort die Ergebnisse einer Machbarkeitsuntersuchung vorgestellt, bei der es um Maßnahmen zum Lärmschutz geht. Dazu gibt es Geld aus einem Programm für die freiwillige Lärmsanierung der Bahn, machten die Verantwortlichen des Unternehmens den Anwohnern Hoffnung. Wann aber zusätzliche Lärmschutzwände gebaut werden können, steht noch nicht fest. Das kann noch mehr als drei Jahre dauern, sagte in Coswig ein Bahn-Sprecher.

Mocia Woch muss den Bahnlärm noch viel länger ertragen, wenn sie weiter in Alttrachau wohnen bleibt. Abhilfe verspricht nun aber das Eisenbahn-Bundesamt. Die Behörde mit Sitz in Bonn arbeitet an einem Lärmaktionsplan für alle Haupteisenbahnstrecken des Bundes. Dazu gehören auch die Dresdner Trassen. Anwohner können einen dreiseitigen Fragebogen ausfüllen, mit dem das Amt herausbekommen will, wo, wann und durch welche Züge sich die Nachbarn der Gleistrassen besonders belästigt fühlen.

Dabei geht es auch um Geräuschdetails: sind es Schienenstoßgeräusche, dröhnen Brücken besonders, quietschen die Züge in Kurven, wollen die Verantwortlichen wissen. Bis März 2018 werden Daten gesammelt und Stellungnahmen eingeholt, im Sommer 2018 soll dann der neue Lärmaktionsplan vorliegen. Er soll später genutzt werden, um über Lärmschutzmaßnahmen zu entscheiden.

Wann davon auch Mocia Woch profitiert, ist ungewiss. Vorerst rasselt, scheppert, quietscht und knirscht es weiter vor ihrem Haus, wenn ein Güterzug vorbeifährt. Acht solche Züge hat sie an einem Abend binnen einer Stunde gezählt. Dabei ist die Gleisstrecke nach Radebeul eigentlich Personenzügen vorbehalten, Güterzüge fahren eher auf der Cossebauder Strecke. Zum Bahnlärm kommen außerdem die Turbinengeräusche der Flugzeuge hinzu, die in Klotzsche starten und landen und bei passender Windrichtung ist auch die Autobahn zu hören. „Der Ausblick ist schön“, sagt die 33-Jährige. „Aber der Lärm ist nicht zu ertragen.“

Der Fragebogen zur Lärmaktionsplanung steht im Internet unter www.laermaktionsplanung-schiene.de. Er kann im Internet ausgefüllt oder per Post an das Eisenbahn-Bundesamt geschickt werden. Einsendeschluss ist der 25. August 2017.