Merken

Grüezi mitenand

Mengia Bretschneider ist eine besondere Heidenauerin. Sie ist damit nicht allein.

Teilen
Folgen
© Norbert Millauer

Von Heike Sabel

Heidenau. Das Auswandern war eine absolute Entscheidung und ein lustiges Durcheinander, das sie zwischendurch sogar abbrechen wollte. Doch nun ist Mengia Bretschneider schon viereinhalb Jahre Heidenauerin mit Schweizer Pass. Ihr Mann stammt aus Freital und arbeitet in der Uhrenindustrie. Sie hatten sich in der Schweiz kennengelernt, dann ein Jahr nichts voneinander gehört und sich über einen Freund von ihm in der Schweiz wiedergetroffen. Es war das Jahr, in dem ihr Vater und sein Opa starben. Die Trauer hat sie zueinandergebracht. Mittwochs buchte sie den Flug, freitags hob sie ab.

Ich bin ein freier Vogel, sagt Mengia über sich selbst. Umziehen, in Bewegung bleiben, Teile der Welt und des Lebens entdecken. „Aber dass es mich mal nach Deutschland verschlägt, hätte ich nie gedacht.“ Und dann noch Heidenau. München, Frankfurt, Hamburg, die Städte kennt man. Aber Heidenau?

Nach einem Jahr Fernbeziehung stand fest: Sie wandert aus. Ihr Mann hat Arbeit in Glashütte als IT-Systemadministrator. Mengia ist Heilerziehungspflegerin und hat in der Schweiz auch mit behinderten Menschen gearbeitet. Derzeit ist sie mit Tochter Liah noch in der Elternzeit. Mittlerweile kann sie genau sagen, was das Leben hier und in der Schweiz unterscheidet – und was ihr fehlt. Die große Familie mit vielen Neffen und Nichten zum Beispiel. Manchmal auch die Sauberkeit, wenn sie mit Liah und vielen anderen Müttern und Kindern auf den Spielplatz an der Ringstraße sitzt und den Müll sieht. Manchmal würden die Schweizer von den Deutschen für hochnäsig gehalten, sagt Mengia. „Aber das macht nichts, ich kann ja auch nicht jeden Deutschen leiden.“

Ob das alles – das Zusammenleben und die Arbeit – so klappen würde, wusste sie vorm Auswandern nicht. Immerhin: Sie mag Heidenau. Es ist schöner als Freital, sagt sie. Die Stadt kannte sie durch ihren Mann. Doch dort wollte sie nicht wohnen. Als sie dann mal durch Heidenau fuhren, konnte sie sich vorstellen, hier zu leben. Den Hafen fand sie schön, auch wenn es nur eine Fähr- und Schiffsanlegestelle ist. Inzwischen sind die Bretschneiders schon das erste Mal innerhalb von Heidenau umgezogen.

Mengia sieht Heidenau immer noch mit den Augen der Fremden, sieht, was hier fehlt. Ein Kindercafé mit Platz für Muttis im Sessel und für Kinder zum Krabbeln und Spielen zum Beispiel sowie ein schönes Restaurant und einen Kiosk am Bahnhof. Apropos Bahnhof: „Ich finde vieles in der Gegend renovierungsbedürftig. Zumal ein Bahnhof ja auch ein Aushängeschild für die Stadt bzw. das Dorf ist.“

Angekommen und angenommen

Mengia ist für Heidenau eine Art Aushängeschild, jedenfalls ist sie die einzige Schweizerin in Heidenau. Ihre Tochter ist eigentlich die Zweite, doch weil sie mit ihren 14 Monaten noch keinen Pass hat, taucht sie in der Statistik auch nicht auf – eine Statistik, die 61 Nationalitäten von afghanisch bis zentralafrikanisch beinhaltet. Gerade mal 589 Heidenauer, rund 3,5 Prozent, sind keine Deutschen. Neben größeren Gruppen wie Syrern, Vietnamesen und Polen gibt es 17 Nationalitäten, von denen nur ein Vertreter in Heidenau wohnt. Neben der Schweizerin Mengia sind das zum Beispiel ein Kanadier, eine Kenianerin und ein Dominikaner.

Am 1. August wird im Haus Bretschneider immer gefeiert. Mit Freunden, Raclette und Schweizer Musik, obwohl niemand Geburtstag hat. Es ist der Schweizer Nationalfeiertag. Mengia ist auch nach viereinhalb Jahren Schweizerin geblieben. Sie sagt auf dem Spielplatz zu Liah „Näsli putze“ und „äs Kussi geh“, wenn sie ihr die Nase putzen möchte und ein Küsschen will, und spricht auch mit ihrem Mann Schweizerdeutsch. Doch auf dem Spielplatz verschwinden Ländergrenzen. Hier greifen alle Kinder in den Sand, tauschen sich Mütter aus und haben immer auch die anderen Kinder im Blick. Für Politik sei der Spielplatz nicht der richtige Ort, sagt eine junge Mutter. Mengia hat damit weniger Probleme. „Vielleicht kann man sich hier in Sachen Politik was von der Schweiz abgucken“, sagt sie. Zum Beispiel eine generelle Abstimmerlaubnis der Städte. Das heißt: Bürgerentscheid. „Da sind die Bürger involviert und können mitwählen.“ Nicht bei Krisen wie dem Hochwasser, da sollten einfach Notfallpläne existieren, die die Politiker schnell und überlegt umsetzen.

Auf dem Spielplatz wurde auch die Idee einer Mitbestimmung im Kleinen geboren. Mengia rief die Facebook-Gruppe „Kidds & Mom’s Talk“ ins Leben. Es geht der 32-Jährigen um den Austausch – von Erfahrungen, aber auch von Hilfsmitteln, um Verabredungen zum Spielen oder Essen. Die Resonanz ist gut, Mengia ist dankbar. Sie ist hier angekommen und wurde angenommen. Auf dem Spielplatz ist sie sowieso nicht die Schweizerin, sondern die Mama von Liah.

Die nächsten Jahre will Mengia nicht zurück in die Schweiz. Wenn es ganz schwierig für sie hier in Deutschland, in Sachsen, in Heidenau wäre, wäre sie schon nicht mehr hier, sagt sie. „Ich bin meinem Mann dankbar für eine so tolle Tochter und für seinen Respekt.“ Aber auch: „Ich wüsste nicht, ob ich das alles noch einmal machen würde, aber man weiß vorher nie, was wird. Jede Erfahrung macht stark.“