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Großstädter zieht es nach Görlitz

Görlitz punktet bei den Probebewohnern mit seiner Atmosphäre – aber nicht mit Jugendlichkeit und Dynamik.

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© nikolaischmidt.de

Von Ingo Kramer

Wenn es drauf ankommt, vergleicht Robert Knippschild Görlitz schon mal mit Münster. Die Einwohnerzahl der westfälischen Stadt ist binnen zehn Jahren um mehr als 14 Prozent gewachsen. Im nur 60 Kilometer entfernten Recklinghausen sieht es genau andersherum aus. Ein Grund dafür sind „die weichen Standortfaktoren, das Image der Stadt“, sagt der Leiter des Interdisziplinären Zentrums für ökologischen und revitalisierenden Stadtumbau (IZS) in Görlitz: „Und diese weichen Standortfaktoren werden immer wichtiger.“

Görlitz habe wahnsinnig viele davon, die historische Stadt, das reiche kulturelle Erbe, die Grünanlagen, den Ruf als Görliwood: „Damit sollte die Stadt noch viel offensiver Werbung machen.“

Mit seinem Team vom IZS, mit der Stadt Görlitz und der städtischen Tochter Kommwohnen hat Knippschild gerade die dritte Staffel des Probewohnens ausgewertet. Das Ergebnis: Fast 80 Prozent der Menschen, die zwischen September 2015 und Oktober 2016 in Görlitz probegewohnt haben, finden die Stadt so attraktiv, dass sie sich grundsätzlich vorstellen können, dauerhaft herzuziehen. Vierzig Prozent – vor allem jene aus Großstädten – beurteilen die Wohnqualität in Görlitz als besser oder sogar viel besser als in ihrem derzeitigen Wohnort, weitere 31 Prozent als ungefähr gleich.

Positiv bewertet werden auch Atmosphäre, Gastfreundlichkeit, Sauberkeit, Gastronomie und die Grenzlage. Auf der anderen Seite finden nur 24 Prozent, dass Görlitz jung und dynamisch ist. Ebenfalls weniger als die Hälfte (47 Prozent) hält Görlitz für familienfreundlich, 63 Prozent für seniorenfreundlich. Insgesamt haben 199 Erwachsene und 28 Kinder in diesem Zeitraum probegewohnt. Davon haben 195 Erwachsene die Fragen beantwortet. Die Hälfte von ihnen stammt aus Großstädten.

Ein schönes Ergebnis: Acht Probewohner sind inzwischen schon hergezogen, darunter unter anderem der Berliner Internet-Unternehmer Benjamin Andreas, ein älteres Ehepaar aus Hamburg, ein weiteres aus dem ländlichen Nordrhein-Westfalen sowie ein Berufspendler mittleren Alters, der zuvor jeden Tag aus Richtung Cottbus nach Görlitz gefahren ist. Niemand von ihnen hat eine Wohnung bei Kommwohnen gemietet. Stattdessen profitieren mehrere private Vermieter von der Aktion.

Kommwohnen-Chef Arne Myckert sieht aber auch die Ergebnisse der Befragung als wichtig für die weitere Entwicklung seines Unternehmens an. So hätten viele Probewohner angegeben, dass sie in den drei Probewohnungen in der Schwarze Straße einen Balkon und einen Aufzug vermissen. Beides sei in seinem Unternehmen ein Dauerthema, seit er vor acht Jahren nach Görlitz gekommen ist: „Seither haben wir die Zahl unserer Wohnungen mit Aufzug verzehnfacht.“ Beim Anbau von Balkonen hingegen seien durch das Landesdenkmalgesetz Grenzen gesetzt.“

Für Hartmut Wilke vom Amt für Stadtentwicklung zeigen die jetzt vorliegenden Ergebnisse, „dass wir mit vielen Dingen, die wir tun, schon ganz richtig liegen.“ Allerdings gebe es auch Defizite, gerade wenn es darum geht, jüngere Leute anzuziehen. An denen müsse die Stadt arbeiten, sagt Wilke – ohne dabei aber konkret zu werden. Robert Knippschild empfiehlt ihm, Görlitz als Alternative für gestresste Großstädter zu bewerben: „Solche Leute interessieren sich weiterhin für Städte, aber eben mehr für Mittelstädte, in denen die weichen Standortfaktoren stimmen.“

Nach zwei Staffeln in der Innenstadt und einer Dritten in der Altstadt überlegen Kommwohnen, Stadt und IZS nun, wie es mit dem Probewohnen weitergehen könnte. „Eine Fortführung des Ganzen ist sehr wahrscheinlich, wir kommen sehr gut miteinander aus“, sagt Knippschild. Beschlossen sei das aber noch nicht. Wilke denkt sogar schon darüber nach, in welchem Stadtteil die nächste Staffel stattfinden könnte: „Uns würde auch interessieren, wie Menschen von außerhalb die Südstadt finden oder auch Rauschwalde und Weinhübel.“

Dieser Beitrag wurde um 19.32 Uhr aktualisiert.