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Großmeister in Radebeul

Am Sonntag startet die Mannschaftsschach-WM 50plus und 65plus. Davon hat nicht nur der Spielort Radisson Blu etwas.

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© Karsten Wieland

Von Ines Scholze-Luft

Radebeul. Der Mann mit den Schachfiguren auf Kragenecke und Krawatte strahlt. Dirk Jordan hat in Radebeul den Platz für eine der weltweit größten Schachveranstaltungen gefunden. Mit dem Lößnitzort verbindet der Präsident des ZMDI Schachfestival Vereins als Ausrichter nicht nur den Spielort Radisson Blu Parkhotel. Sondern auch eine Stadt mit erheblicher Schacherfahrung.

Volle Konzentration. Das deutsche Damenteam bei der Senioren-WM 2015 in Dresden in Aktion – mit Iris Mai (l.) und Brigitte Burchardt, beide tragen den Titel Internationale Meisterin der Frauen.
Volle Konzentration. Das deutsche Damenteam bei der Senioren-WM 2015 in Dresden in Aktion – mit Iris Mai (l.) und Brigitte Burchardt, beide tragen den Titel Internationale Meisterin der Frauen. © Karsten Wieland

Wobei der Radebeuler Großmeister Lothar Schmid offensichtlich eine Art Schlüsselfigur ist. 1927 als Sohn des Karl-May-Verlegers Schmid zur Welt gekommen, machte er sich als Stadtmeister einen Namen. Vor allem aber als Schiedsrichter in dem legendären Spiel um den Weltmeistertitel zwischen Bobby Fischer (USA) und Boris Spasski (Sowjetunion) 1972 in Reykjavik. Sozusagen auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Der Zweikampf zwischen dem amtierenden Weltmeister Spasski (35) und Herausforderer Fischer (29) gilt als Match des Jahrhunderts. Das dank des diplomatischen Geschicks von Lothar Schmid erfolgreich zu Ende ging, sagt Jordan. Schmidt starb 2013 in Bamberg.

Die Radebeuler Passion für das Brettspiel lebt weiter. OB Bert Wendsche hat dafür gleich mehrere Beispiele. Angefangen bei den Schachkontakten zur Partnerstadt Obuchiw. Da gab es 2013 ein Fernduell mit klarem ukrainischen Sieg. Jetzt kommt Obuchiw mit eigener Mannschaft zur WM nach Radebeul, auch um die Schachkollegen von Chemie Radebeul, ebenfalls WM-Teilnehmer, näher kennenzulernen.

Die Chance zum organisierten Spielen haben die Lößnitzstädter schon in jungen Jahren, wie in der Grundschule Naundorf. Der Nachwuchs tritt auch gegen das Rathaus-Team an – nicht nur für den OB ein Grund zum Schwitzen. Das Kinderschutzbund-Schachcamp im Mohrenhaus hat ebenso einen Namen wie zahlreiche Radebeuler Turniere. Und nun gar eine Weltmeisterschaft. Seines Wissens die erste in der Stadt in einem regulären Sport, sagt der OB. Ansonsten habe er nur mal was von einer WM im Felsklettern gehört, in den 70er-Jahren im Lößnitzgrund.

Die aktuelle WM 50plus und 65plus bietet große Zahlen. 525 Sportler, darunter 35 Großmeister, kommen mit 109 Mannschaften – bisher gemeldet – und etwa 150 Trainern sowie weiteren Begleitern – von vier Kontinenten. Tunesien ist wie die Damenmannschaft aus der Mongolei erstmals dabei. Island bringt seinen aktuellen Meister mit. Auch andere starke Schachnationen wie England, Israel und Titelverteidiger Slowakei dürfen nicht fehlen.

Ans Brett gefesselt

Der zehntägige Wettkampf braucht viel Platz. Etwa 1 000 Quadratmeter für das eigentliche Spiel, dazu noch mal etwa die Hälfte für den sogenannten Analysebereich. Zum Nachspielen der Partien, zum Diskutieren, auch Post-mortem-Analyse genannt. Denn das ist während des Spiels streng verboten. Da gilt: Nicht reden, kein Handy. Die Spieler sind fünf Stunden ans Brett gefesselt, von 9.30 Uhr an. Sie dürfen höchstens mal was trinken in dieser Zeit.

Außerdem stellt der internationale Schachverband FIDE strenge Auflagen. Das Licht muss stimmen, ebenso Raumhöhe samt Luftvolumen. Ein Teppich soll Geräusche dämpfen. Da nicht nach dem K.-o.-Prinzip gespielt wird, sondern um die höchste Punktzahl, bedeutet das bei 110 Teams mit jeweils vier Spielern und einem Ersatzmann: 440 Spieler sitzen täglich am Brett, auf eben so vielen Stühlen, an 220 Tischen – allein im Hauptsaal. Die Tische haben jeweils zwei Meter voneinander entfernt zu stehen. Exakt. Jordan: „Ich gehe mit dem Zollstock durch.“

In Radisson-Direktor Jan Burghardt hat Jordan seit Jahren einen bewährten Partner. Das Dresdner Hotel Wyndham Garden – dem Burghardt ebenfalls vorsteht – war beispielsweise 2015 Austragungsort der 3. Senioren-WM. Doch es kam bei 87 Teams und über 400 Sportlern an seine Grenzen. Im Radebeuler Radisson fand sich die Alternative. Zum Glück, sagt Jordan, wurde hier vor sechs Jahren ein neuer Saal gebaut. Groß genug als Wettkampfarena. Der kleine Saal bleibt für die Analyse. Und genügend Zimmer gibt es ebenfalls – von den meisten Wettkämpfern selbst bezahlt. Hausschuhturnier nennt Jordan das. Trotzdem will er Spielern und Mitreisenden auch außerhalb des Hotels einiges bieten: Beim Rahmenprogramm von Karl-May-Museum bis Hoflößnitz.

Jordan sieht in der WM einen echten Wirtschaftsfaktor. Pro Tag gibt jeder Teilnehmer durchschnittlich 100 Euro aus, weiß der Vereinschef aus einem SZ-Bericht. Das wären bei neun Übernachtungen wie bei dieser WM wenigstens rund 450 000 Euro, die in der Stadt bleiben.

Wer nun neugierig geworden ist und sich das alles mal aus der Nähe ansehen will, ist herzlich willkommen. Im Radisson, aber auch beim Simultan-Schach am 28. Juni ab 19 Uhr in Altkötzschenbroda – in Höhe der Alten Apotheke. Dort wird die Wiener Schachlegende Andreas Dückstein (88) als WM-Nestor gegen die Radebeuler spielen. Und jeder kann mitmachen.

www.schachfestival.de